Aktualisierte Fassung Oktober 2017 - Wenn in Deutschland ein Atomkraftwerk abgerissen wird, landet der Großteil seiner Überreste im Recycling, in der Müllverbrennung und auf konventionellen Deponien – so steht es im Atomgesetz und so ist es am kostengünstigsten. Auch radioaktiv belastetes Material darf auf diese Weise wiederverwertet und beseitigt werden. In Baden-Württemberg ist darüber ein heftiger Streit zwischen einem CDU-Landrat und dem grünen Minister Franz Untersteller entbrannt.
Achim Brötel ist Landrat im Neckar-Odenwald-Kreis und zugleich Vorsitzender des Aufsichtsrats der landkreiseigenen Abfallentsorgungsgesellschaft AWN. Im Juni weist Brötel die AWN-Deponie in Buchen an, keine Abriss-Abfälle aus dem AKW Obrigheim anzunehmen. Er verweist dabei auf die Entschließungen des 120. Deutschen Ärztetages (Beschlussprotokoll, Seite 240) und der Landesärztekammer. Beide Gremien lehnen die Freigabe von radioaktiven Abfällen in die Abfallwirtschaft ab und warnen vor der Verharmlosung der Strahlenrisiken.
In Stuttgart stößt der Landrat auf Missfallen. Der Kreis sei verpflichtet, die AKW-Abfälle anzunehmen, heißt es aus dem Ministerium von Franz Untersteller (Grüne). Die Entschließung der Ärztekammer, so Untersteller, sei „nicht nachvollziehbar“ und „revisionsbedürftig“: Es gehe keine Gefahr von den AKW-Abfällen aus, diesbezügliche Sorgen seien „abwegig“. Alternativen, etwa der Verbleib am Standort unter atomrechtlicher Aufsicht, verschöben das Problem (das laut Minister Untersteller ja eigentlich gar kein Problem ist!) – auf nachfolgende Generationen …
Brötel bleibt zunächst bei seinem „Nein“, auch als das grün geführte Ministerium in harschen Worten droht: Für Schäden, die durch eine Nichtannahme oder eine Verzögerung der Abfallannahme entstehen, werde der jeweilige Amtsträger gegebenenfalls in vollem Umfang persönlich haftbar gemacht. Der Landrat kontert: Es habe schon zu anderen Zeiten als probates Mittel gegolten, unliebsame Kritiker*innen durch Schadensersatzandrohungen einzuschüchtern und möglichst mundtot zu machen.
Ende September macht Brötel dann doch einen Rückzieher. Sofern eine gesetzliche Entsorgungspflicht bestehe, werde man dieser nachkommen, verkündet der Aufsichtsrat der Buchener Deponie, dem Brötel vorsitzt, und bedauert gleichzeitig, dass das Ministerium sich nicht dialogbereit zeige.
Dialogbereitschaft fordern auch Bürgerinitiativen und Umweltorganisationen. In Schwieberdingen im Kreis Ludwigsburg gehen Mitte Juli mehrere Hundert Menschen auf die Straße, um gegen die Freigabe strahlender Abfälle aus dem Abriss des AKW Neckarwestheim zu demonstrieren. Das Ministerium ignoriert den Protest, die Deponierung soll in den kommenden Monaten beginnen.
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