Die „Kulturelle Landpartie“ steht vor der Tür. Zwischen Himmelfahrt und Pfingsten, 25. Mai bis 5. Juni 2017, findet im Wendland das größte selbstorganisierte Kulturfestival Norddeutschlands statt. Die Idee dazu hatten Atomkraftgegner*innen vor fast 30 Jahren, um „die schönen Seiten des Atommüll-Landkreises“ zu zeigen.
Zur 28. Kulturellen Landpartie öffnen an mehr als 100 Orten die Menschen ihre Höfe, Ateliers, Scheunen. Es finden Konzerte, Ausstellungen, Führungen, Workshops statt. Die Webseite
http://kulturelle-landpartie.de
gibt einen Eindruck von dem Umfang der Orte & des Programms.
- .ausgestrahlt beteiligt sich in diesem Jahr mit Infoständen, Ausstellungen und Vorträgen an den Orten Göttien, Klein Witzeetze und auf der„Kulturellen Widerstandspartie“ an den Atomanlagen am Pfingstfreitag, 2. Juni.
Wir hatten Euch nach Eurem „Gorleben-Moment“ gefragt, Erlebnisse aus den letzten 40 Jahren, die euch in Erinnerung blieben und die Euch geprägt haben. Wir beenden unsere Artikelreihe „Mein Gorleben-Moment“ mit diesem fünften Teil. Und danken an dieser Stelle allen ganz herzlich, die uns ihre Erinnerungen zugesendet haben.
Lebenslaute
von Gerd Büntzly
„Mein Gorleben-Moment? Das war der stille, heitere Samstagmorgen im Sommer 2009, als etwa 50 Mitglieder von Lebenslaute mit Hilfe einer Treppe die vier Meter hohe Mauer zum Bohrgelände überstiegen. Wir waren in kleinen Gruppen auf verschiedenen Wegen zu einem Treffpunkt in der Nähe gelangt, in Konzertkleidung, mit Instrumenten, Hockern, Notenständern. Auf der anderen Seite gab es eine Rampe. Die hatten die Betreiber bauen lassen, um mit Wasserwerfern Demonstranten zu beschießen. Wir nutzten also die Infrastruktur, die uns vom Gegner bereit gestellt worden war. Dann zogen wir zu einem Platz in der Nähe des Haupteingangs, bauten uns auf und begannen zu musizieren. Hauptwerk war eine Kantate von Georg Philipp Telemann mit dem Titel „Der Morgen“, in der die Sonne gepriesen wird, das Symbol der Anti-Atom-Bewegung. Als ich nach dem ersten Chorstück aufblickte, waren wir von Polizei umstellt, die hatte ich überhaupt nicht kommen sehen. Sie hinderte uns aber nicht, unser Konzert zu Ende zu bringen. Dieses wurde durch unsere Aktionsunterstützer sogar nach draußen übertragen, wo vor dem Tor eine zahlreiche Zuhörerschaft lauschte.“
Lied vom Lebensvogel
von Brigitte Krüger, Hamburg
„Da, wo die Elbe rauskommt aus dem Zaun, der unter Strom steht und schießt…, Gorleben, im Mai 1980:
Walter Mossmann singt und spielt im Hüttendorf das „Lied vom Lebensvogel“
...Schaut euch mal zwischen Gorleben und Gartow diesen Platz heute an:
Mensch, tut das gut, zu seh'n, was unsereins aufbauen kann!
Da lag verkohltes Holz, wo jetzt die kleinen Bäumchen sind
Schau in der Luft die Räder, die fangen sich den Wind
Und auf dem großen Spielplatz spürt auch jedes Kind:
Die Lebenslust ist Grund für Widerstand!...
Den Refrain singen wir mit ihm gemeinsam:
So sing doch, Vogel sing, dass Gorleben lebt
Dass dort der Totengräber seine eig'ne Grube gräbt!
Sing doch, Vogel sing, dass Gorleben lebt
Dass dort der Totengräber seine eig'ne Grube gräbt!
Das ist für mich heute noch ein bewegender Moment. Der Widerstand in Gorleben und anderswo ist für mich untrennbar mit Walter Mossmann verbunden. Seine Lieder erinnern, mahnen, machen Mut.“
Wo ich kann, bin ich dabei!
von Katrin Sievers
„Mit einer guten Freundin bin ich 2011 in einem alten VW-Bus zu einer Kundgebung gegen das Atom-Endlager in Gorleben gefahren. Es sollte ab Mittag eine friedliche Familiendemo geben und für den Abend hatten sich Aktivisten angekündigt, die u. a. Schotteraktionen an den Bahngleisen durchführen wollten. Wir gingen nur zu der friedliche Familiendemo und freuten uns über die, auch bei den Polizisten, nette Stimmung.
Es war eine große, bunte und starke Demo. Unendlich viele Reisebusse und Auto's standen an den Straßenrändern. Zum Sonnenuntergang gingen wir zu unserem VW-Bus zurück, machten uns auf einem kleinen Gasfeld eine heiße Tasse Kaffee, setzten uns auf die Ladefläche und unterhielten uns noch eine Weile über die schöne Demo. Als zuerst ein Traktor an uns vorbeifuhr und 100 Meter weiter parkte. Dann kam der nächste Traktor dazu und 50 Meter vor uns machte noch einer halt. Es lag ganz plötzlich eine merkwürdig angespannten Stimmung in der Luft.
Wir gingen hin und fragten, bekamen aber nur die Antwort: wenn wir an den abendlichen Aktionen nicht dabei sein wollten, sollten wir besser jetzt losfahren, da die Polizei dabei wäre, die Wege zu sperren. Uns wurde mulmig zumute. Für eine Nacht im Freien waren wir nicht gut genug gerüstet.
Hinterher hörten wir, dass die Bauern mit ihren Traktoren die ganzen Straßen verbarrikadiert hatten, damit die Aktivisten von der Polizeit nahezu ungestört, die Bahntrasse schottern oder sich an frisch gegossenen Betonklötzen anketten konnten. Wir hatten gerade noch soeben der Einkesselung entkommen können.
Wo ich kann, bin ich dabei!!!“
Vom Schüler-Referat zur Öffentlichkeitsarbeit gegen Atomkraft
Jürgen Faber aus Flensburg
Als Physiklehrer veranlasste mich der Gorleben-Konflikt Ende der 70er Jahre, meine damaligen Schüler/innen einer 10. Realschulklasse mit Referaten zum Thema Energie zu beauftragen. Je zwei sollten sich über einen der unterschiedlichen Aspekte der Energieversorgung informieren und in den nächsten Wochen darüber referieren. Um die sachliche Richtigkeit ihrer Referate beurteilen zu können, musste ich mich natürlich erst einmal selbst in die Materie vertiefen. Dabei stieß ich dann u. a. auf kritische Literatur zum Thema Atomenergie. Bis dahin teilte ich die allgemeine Auffassung, dass diese Form der Energienutzung gerade rechtzeitig kam angesichts der absehbaren Verknappung fossiler Energien. Auch das Schülerduo mit dem Thema Atomenergie war auf diese kritischen Stimmen gestoßen. Das veranlasste uns, dieses Thema in der folgenden Zeit näher zu behandeln. Danach war die gesamte Klasse einschließlich ihres Lehrers der Überzeugung, dass es nicht zu verantworten war auf die Atomenergie zu setzen.
Für mich persönlich begann ab 1979 die Periode einer 12-jährigen Öffentlichkeitsarbeit in Schleswig-Holstein (und 1987 – wegen Tschernobyl - auf Einladung des Goethe-Instituts Istanbul auch dort und in Ankara). 'Bewaffnet' mit Overhead-Projektor und guten Argumenten hielt ich mehr als 100 Vorträge, wobei ich nicht nur über die Gefahren der Atomenergie, sondern natürlich auch über die besseren Alternativen informierte. Für mich war schon damals der Wasserstoff die beste langfristige Alternative.
1991 beendete ich dann aus familiären und psychischen Gründen meine diesbezüglichen Aktivitäten. Erst jetzt wird langsam erkannt, dass die Wasserstofftechnologie ein, vielleicht sogar DER Königsweg sein könnte.“
Unser Rechtsstaatsverständnis ist seitdem ein ganz anderes
von danzi
„.... beim vorletzten castortransport waren wir mit familie und freunden nachts an der strecke bei harlingen als der castorzug anrollte und irgendwo in der göhrde schon lange stand. wir waren wie viele andere auf dem weg zum gleis vom westlichen infopunkt aus. als wir noch im wald waren, ca.100 meter vom gleis entfernt, stürmten demonstranten aus richtung gleis zurück auf den dortigen gleisparallelen mastenweg (schneise). wir bemerkten sofort, dass die fliehenden demonstranten von in der dunkelheit nur sehr schwer auszumachenden und total vermummten - offenbar polizisten in kampfmontur -, die offensichtlich mit nachtsichtgeräten auf den helmen ausgerüstet waren, mit schlagstöcken - ohne vorwarnung oder ansprache - geschlagen wurden.
nur durch unsere signalpfeife und parole konnten wir uns als autonome bezugsgruppe gerade noch in eine tiefe tannenschonung zurückziehen und uns hinter fichten verstecken. vom mastenweg hörten wir schreie und wüste beschimpfungen und fluchtgeräusche. da wir um unsere körperliche unversehrtheit fürchteten blieben wir fast 20 minuten in deckung und haben uns dann wegen der frauen zum infopunkt zurüchgezogen. dort haben wir den vorfall dem filmteam von graswurzel tv geschildert. leider haben wir danach nie wieder etwas von dem rechtswidrigen einsatz und angriff der polizei gehört. unser rechtsstaatsverständnis ist seitdem ein ganz anderes. ......x-tausendmal quer!“
Die Raupe
von Birgitt Kruse aus Legden-Asbeck (früher Breselenz)
„Den einen Gorleben-Moment gibt es nicht, es sind viele Momente, die mir in lebhafter Erinnerung sind. Ich könnte auf Anhieb dutzende Momente aufzählen. Aber hier der, der mir am meisten zugesetzt hat:
Wir hielten jeden Sonntag Mahnwache in Hitzacker, monatelang, etwa von März bis Oktober, weil die Bahnstrecke saniert wurde für weitere Castortransporte. An einem Sonntag wollten wir die Gleise unter einem langen Tuch, in das Löcher für die Köpfe geschnitten waren, so dass wir aussahen wir eine große Raupe, überqueren. Das gestattete die Polizei natürlich nicht. Wir gingen zurück, wendeten uns nach und liefen auf einer kleinen Straße entlang der Gleise etwa 500 m weit um an anderer Stelle dieses Mal als Einzelpersonen die Gleise zu überqueren. Die Polzisten kamen uns entgegen. Einige konnten ihnen entwischen. Ich wurde gleich von vier jungen, kräftigen Polizisten festgehalten, man wollte meinen Ausweis kontrollieren. Bei mir setzte sofort der Widerstand ein und ich wehrte mich nach Kräften, war aber hoffnungs unterlegen. Das hat mir so zugesetzt, dass ich ohnmächtig zu Boden ging. Ich höre noch den Einsatzleiter, wie er den Polizisten zurief, lasst sie los, die ist bekannt! Eine Freundin kam, hob mich auf und führte mich weg. Eine Woche später hielt ich eine Anzeige in den Händen.
Der Vorwurf: Unerlaubtes Überschreiten des Gleiskörpers.
Das war nur eine der Geschichten, die mir in guter Erninnerung sind. Insgesamt war die Zeit im Wendland die schönste meines Lebens, so viel Lebendigkeit, so viel positiver Ungehorsam hat mich gestärkt. Vor ca. 6 Jahren sind wir ins Münsterland gezogen, unserer Kinder wegen. Jetzt kämpfen wir in Ahaus und Gronau gegen die Atommafia.“
Proteste gegen Hüttendorf-Räumung in Kassel
von Utz Weißenfels
„Bei der Räumung der freien Republik Wendland war ich Student in Kassel. Wir hatten uns schon wochenlang vorbereitet. Am Morgen der Räumung kam mir auf der Straße ein Freund entgegen und forderte mich auf mit zum Stern (eine große Straßenkreuzung) zu kommen; dort würde besetzt. Ich öffnete meine Tragetasche und zeigte ihm unser Megaphon und teilte ihm mit, dass ich im innersten Orgateam der Kasseler sei und wir die Rathauskreuzung besetzen würden.
So geschah es. Der innerstädtische Auto und Straßenbahnverkehr war stark beeinträchtigt. Ein verantwortlicher Polizist kam zu mir und fragte nach der geplanten Dauer der (natürlich nicht angemeldeten) Aktion. Er zog friedlich wieder ab. Ein Privat-PKW verlangte freie Durchfahrt wegen einer hochschwangeren Frau; nach kurzer Gassenbildung wurde die Aktion gestoppt, da keine schwangere Frau im PKW war. Unsere bangen Gefühle im Bewußtsein, dass jetzt in Gorleben die Mitstreiter aus den Hütten geschleift werden. Großer Bericht in der HNA (Ortszeitung).“
Der Baum
von Barbara Klimesch
„Ich war noch nie in Gorleben. Mir gefällt der Baum so sehr und das 'Gorleben soll leben' und ich danke allen, dass er zu mir kam - mein Herz zu beflügeln, den Mut und die Aktionen zu bewundern. Bin einfach dankbar ein Mensch unter Menschen sein, die Widerstand leisten.“
Blockade
von Barbara Khanavkar, Vietze
„Sitzblockade vor dem Zwischenlager, buntes Volk aus allen Altersgruppen auf dem Asphalt für Stunden und Tage, leger, diskussionsfreudig, solidarisch. Rechts und links wachen die uniformierten Ordnungsrepräsentanten des Staates, Unbehagen ist ihrer Körperhaltung zu entnehmen, aus freien Stücken stehen sie nicht neben der Straße. Spannung spüre ich bei den meist jugendlichen Polizisten.
Von Starkscheinwerfern ist der Platz vor dem Tor zum Zwischenlager beleuchtet. Musik ertönt, es gibt eine bestrahlte Salsa-Session für die und mit den Blockierern - polyrhythmisch und voller Lebensfreude. Wir stellen uns nicht nur quer, wir haben einen anderen Lebensentwurf. Alt und jung, etabliert und frei schwebend, einfach und differenziert - wir treffen uns in dieser Überzeugung: wir möchten anders leben. Wir möchten Raum schaffen für alle ohne Bedrohung für Leib und Leben, auch wenn es auf Kosten des Wohlstandes geht. Wir haben die Kraft der Fantasie. Wissen um die Alternative macht uns stark.“
Der kurze Sommer der Anarchie
von Dieter Halbach aus Bad Belzig
Ein Text von 1980, geschrieben von mir mit heißer Feder und dem originalen Pathos der Bewegung (wegen seiner Länge hier etwas gekürzt):
„Wie aus dem großen Zauberhut der Bewegung schlüpfte am 3. Mai 1980 die „Republik Freies Wendland“ und besetzte den Platz der Tiefbohrstelle 1004. Gemeinsam erlebten wir die 33 Tage des Sommers der Anarchie der „Freien Republik Wendland“ und lebten den „Traum von einer Sache“ (so hieß später der Film der wendländischen Filmkooperative).
'Laßt uns aus all unseren verschiedenen Meinungen und Einstellungen einen Brei kochen, und ihr werdet sehen, der wird den Herren schlecht bekommen und die Haare zu berge stehen lassen...Jede Feindschaft zwischen uns ist den Mächtigen eine Delikatesse, jeder Konflikt eine Hoffnung, jeder ausgetragene Konflikt aber eine Greuel. Ich freue mich riesig, die Stadtindianer immer noch hier zu sehen. Wir haben miteinander gekämpft, fast mit Fäusten- das erste Greuelgericht ist fertig: Wir brauen es zusammen- das Völkergemisch der Freien Republik Wendland.'
So begrüßte uns Waltraud von den Gorleben-Frauen, und dann ergießen sich 5.000 Menschen ungehindert, schwerelos wie im Traum auf den sandigen Platz, lassen ein buntes Gewirr von Zelten und ersten Hütten entstehen. Auf dem kleinen Hügel steht einsam der Dorfplan. Auf ihm ist eingezeichnet, wie sich einige aus unserem Kernteam das Dorf vorstellen: Immer drei Häuser ergeben einen Innenhof, Gebiete für Zelte und Werkstätten sind markiert. Doch stattdesssen grassiert auf dem Platz das wilde, befreite Baufieber.
Auf der ersten Sitzung des Sprecherrates (unserem gewählten 'Parlament') sagt die Wendländerin Rebecca Harms aus unserer Gruppe (mittlerweile Fraktionschefin der Grünen im Europaparlament): 'Wir meinen, dass dieser Platz auch für die Leute von den Dörfern attraktiv und schön sein muß...aber bisher ist das noch nicht das Dorf, wie wir es uns gewünscht haben. (Zwischenruf: 'Das sehe ich gar nicht ein!') Wir sollten versuchen, mehr Struktur in das Dorf reinzukriegen. Ich wohne ja schon immer auf dem Dorf, so wie das jetzt ist, ist das eine Stolperfalle an der anderen. Den Sinn vieler Hütten kann ich nicht erkennen.' Unter Beifall wir dem entgegnet: 'Du sollst ja auch nicht drin wohnen, die müssen den Leuten gefallen, die drin wohnen. Grundsätzlich finde ich, dass es in diesem Scheißland endlich mal Zeit wird, dass jeder sein Haus baut, wie er will!' Rebecca aber lässt nicht locker: 'Wenn wir wollen, dass die Leute aus den Dörfern hierher kommen und sich auch wohl fühlen und dass es auch ihr Dorf wird, dann fällt es mir nicht schwer da einen Schritt auf sie zuzugehen.' 'Bald kriegen wir dann auch noch eine Dorfpolizei, oder was!?'
Später fand jeder, der in diesem Labyrinth etwas suchte, den Übersichtsplan am Dorfeingang. Auf ihm waren alle über 100 Häuser mit dem Namen der Gruppe oder Region eingezeichet. Als ich den Plan zeichnete, war er am nächsten Tag schon wieder überholt, denn neue Häuser waren aus dem Boden geschossen. Doch bei meinen wiederholten Rundgängen mit Zeichenblock konnte ich jedem, der mich mit 'Ah, der Dorfplaner!' anmachte, beruhigen: 'Ich bin nur der Chronist!' Dieses Dorf der tausend Improvisationen war es, das viele Besucher fazinierte und unseren 'Fleiß' und unser 'Können' loben ließ. Anarchie ist machbar, Herr Nachbar! Selbst der Polizeisprecher Meyer meinte: 'Einen Tag würde ich so schon mal gerne leben- aber auf Dauer geben darf es sowas nicht!'
4.Juni 1980 - Der Tag der Räumung der Freien Republik Wendland
Truppen marschieren auf, greifen zu, schleppen, prügeln uns aus unserem Dorf. Wir haben dort gelebt. Maschinen wälzen unsere Häuser nieder. Wir haben in ihnen gewohnt. Die Greifarme der Maschinenmenschen zerren uns weg. Wir haben in der Zukunft gewohnt. Tag für Tag. Unerbittliche Räderwerke drehen die Zeit zurück, zermalmen unsere Wirklichkeit. Unsere Häuser zerbersten, zerfallen in den Traum, aus dem sie entstanden sind. Aus dem sie wieder entstehen werden. Solange müssen wir emigrieren. Wir werden auf fremd-vertrauten Gebiet ausgesetzt. Dem harten Boden ihrer Realität. Dem Land, das unser Land sein soll. Doch wir schauen in stumme Visiere, mörderische Waffen. Sie sollen uns daran hindern wieder die Grenze zum verbotenen Traumland zu überschreiten. Dort vor unseren Augen, dort wo jetzt eine Wüste entsteht. Dort wo wir uns vor kurzem noch in Streit und Liebe getummelt haben. Wo es auf viele Fragen so viele Antworten gab. Wo es jetzt still ist. Nur die Maschinen lärmen gehorsam, planieren, wegradieren, auslöschen, Ungeziefer, Bazillus, Epidemie...
Dort, wo unsere Bewacher sich ihren eigenen Knast bauen. Ich würde sie gerne befreien, doch sie lümmeln sich satt und zufrieden auf den letzten paar Bänken, sonnen sich in ihrer dummen Macht. Sehen aus, als träumten sie davon, die ganze Welt zum Knast zu machen. Damit es 'so etwas' nicht mehr geben kann. So etwas, was ihnen mulmige Gefühle machen könnte...
Das Schlachtfeld ist gesäubert. Es war natürlich Rechtsbruch, den Garten unserer Hoffungen dort anzulegen, wo das Atomklo der BRD hin soll. Die zarte Pflanze wird abgeschnitten, zertreten. Doch ich pflanze sie in meine Erinnerung und lese es in euren Gesichtern: Ihr habt sie auch. Wir waren dort. Keiner kriegt uns fort aus dem Dorf, in dem unsere Träume Wurzeln geschlagen haben. Nachdem sie das erste Dorf der 'Republik Freies Wendland' niedergemacht haben, werden unzählige entstehen. Sie werden entstehen auf sandigem Boden und aus Holz, sie werden entstehen zwischen Feldern aus Stein, oder sie stehen schon, ohne es zu wissen. Sie werden aus der Idee der 'Träumer und Pfadfinder' von 1004 (Innenminister Möcklinghof) eine Realität machen.
Der DDR-Dissident, linke Gewerkschafter und Pazifist Heinz Brandt rief während der Räumung uns allen zu: 'Bei allem was jetzt passieren wird, denkt daran, wir sind die Glücklichen! Wir haben hier gebaut und gepflanzt. Die Unglücklichen sind die, die jetzt in weißen Helmen, die jetzt mit Knüppeln gegen und losgehen sollen.' (...)“
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