Eindrücke von der Wahl des Nationalen Begleitgremiums (NBG)

Ende Oktober 2016 nahm ich an einer Veranstaltung zur Auswahl von Bürgervertreterinnen und -vertretern für ein sogenanntes Nationales Begleitgremium teil, das im Rahmen des Standortauswahlverfahrens für ein atomares Endlager eingerichtet wird. In diesem Text schildere ich meine subjektiven Eindrücke von der Veranstaltung.

Im September 2016 erhielt ich einen Anruf vom Bamberger Centrum für Empirische Studien (BACES) und wurde gefragt, ob ich an einem „Bürgerforum zur Auswahl der Bürgervertreterinnen und -vertreter für das Nationale Begleitgremium zum Standortauswahlverfahren für ein atomares Endlager“, so der sperrige Titel, teilnehmen wolle. Wie auf seiner Homepage zu lesen organisiert das BACES empirische Erhebungen und Gruppendiskussionen zu sozialwissenschaftlichen Themen; man hatte meine Telefonnummer per Zufallsgenerator ausgewählt.

Ein Anschreiben von Frau Hendricks

Ich verstand so schnell zwar nicht, was genau meine Aufgabe bei dem Bürgerforum sein sollte, aber da das Thema ja durchaus relevant ist, bekundete ich mein Interesse und ließ mir die Anmeldeunterlagen zuschicken. Einige Tage später erhielt ich ein Anschreiben der Umweltministerin Barbara Hendricks, aus dem hervorging, dass „Wissenschaft, Politik und gesellschaftliche Gruppen bereits gemeinsam in der Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe Vorschläge für den Ablauf und die Kriterien des Auswahlverfahrens“ für ein atomares Endlager erarbeitet und „die Einrichtung eines Nationalen Begleitgremiums (NBG) vorgeschlagen“ hatten.

Protestaktion von AKW-GegnerInnen
Foto: Karin Behr/PubliXviewinG
Wohin mit dem Atommüll? AKW-GegnerInnen bei einer Protestaktion

Dazu gab es einige spärliche Informationen zum Hintergrund der "Endlager"-Suche und ein dreiseitiges Infoblatt, das mich in knappen Worten über das Procedere des Auswahlverfahrens aufklärte: In einem ersten Auswahlschritt sollten insgesamt 120 zufällig ermittelte Bürgerinnen und Bürger (von denen ich nun einer war) in fünf regionalen Foren (eines war ausschließlich jungen Leuten zwischen 16 und 27 Jahren vorbehalten) jeweils sechs Vertreter in ein sogenanntes „Beratungsnetzwerk“ wählen. Dessen 30 Teilnehmerinnen und Teilnehmer würden schließlich in einem zweiten Schritt die drei Personen unter sich auswählen, die dann als Bürgerinnen- und Bürgerverteter ins insgesamt neunköpfige NBG einziehen. Die anderen sechs Mitglieder des NBG sollen „anerkannte Personen des öffentlichen Lebens“ sein und noch von Bundestag und Bundesrat bestimmt werden. Zu einem späteren Zeitpunkt würde die Zahl der Teilnehmer noch auf insgesamt 18 verdoppelt werden. Mehr Informationen erhielt ich nicht.

Reumütiger Tonfall der Kommission

Ich nahm mit dem Bürgerforum also lediglich am ersten von zwei Auswahlprozessen teil. Da ich von der Thematik wenig mehr wusste, als dass der atomare Müll nun einmal irgendwohin muss, auch wenn ich schon immer dagegen war, dass wir ihn überhaupt produzieren, und dass alle bisherigen Lagerungsversuche, salopp gesagt, in einem Riesendesaster endeten, nahm ich mir vor, mich vor Beginn der Veranstaltung noch etwas besser zu informieren.

Mittels eines mit den Anmeldeunterlagen mitgelieferten Links gelangte ich an den (öffentlich zugänglichen) Abschlussbericht der Endlagerkommission. Ich erfuhr, dass der Weg zur Kommission nach dem Beschluss zum Atomausstieg im Jahr 2011 geebnet und die Kommission im Juli 2013 auf der Grundlage des Standortauswahlgesetzes eingerichtet wurde. Drei Jahre später legte sie im Juli 2016 ihren Abschlussbericht vor. Es würde viel zu weit führen, hier ausführlicher aus dem umfangreichen und streckenweise redundanten Bericht zu zitieren, aber der Tonfall machte mich stutzig. Die Kommission gibt sich darin reumütig und erklärt optimistisch einen Neuanfang bei der Endlagersuche.

Öffentlichkeit müsse in alle Vorgänge einbezogen werden

Es fallen Begriffe wie Nachhaltigkeit, Verantwortung und Gerechtigkeit, Gemeinwohlgestaltung, Transparenz und Partizipation und es wird für eine neue „Kultur im Umgang mit Konflikten“ geworben; man müsse aus der Vergangenheit die Lehre ziehen, dass Großprojekte jeglicher Art nur bei ausreichender Akzeptanz der Bevölkerung umsetzbar seien, weshalb die Öffentlichkeit in alle Vorgänge des Auswahlverfahrens einbezogen werden müsse. Hierzu schlug die Kommission die Einrichtung des erwähnten Nationalen Begleitgremiums (NBG) sowie sogenannte Regionalkonferenzen in all den Regionen vor, die im Laufe des Auswahlverfahrens als mögliche Standorte in Frage kommen könnten.

Der weit umfangreichste Teil des Kommissionsberichts befasst sich mit Kriterien der Standortauswahl und der Ansprüche, die an ein atomares Endlager zu stellen wären. Da ich nicht einschätzen konnte, was inhaltlich von den Empfehlungen der Kommission zu halten war, suchte ich nach weiteren Informationen und stieß auf der Webseite von .ausgestrahlt auf den Reader vieler mit dem Thema befasster Bürgerinitiativen zum Abschlussbericht der Kommission.

Mir wurde rasch deutlich, dass es seitens der Umweltverände und -initiativen massive Kritik gibt, u.a. schon an der einseitigen Zusammensetzung der Kommission, am überambitionierten Zeitplan der "Endlager"-Suche, an der vorschnellen Festlegung auf "Endlager"-Kriterien, an der aus ihrer Sicht völlig unzureichenden Form der Öffentlichkeitsbeteiligung u.v.m. Ausgestattet mit meinem angelesenen Halbwissen fuhr ich schließlich am letzten Oktoberwochenende zum insgesamt dreitägigen Bürgerforum in Hamburg und war gespannt, was mich erwarten würde.

Im Rückblick lässt sich die Veranstaltung aus meiner Sicht grob in vier Phasen gliedern. Zu Beginn wurden die insgesamt 26 Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Freitagabend von zwei Moderatoren der IKU GmbH – "Die Dialoggestalter" begrüßt, die uns durch das Wochenende führen, mit Informationen versorgen und die Wahl der sogenannten Bürgervertreterinnen und -vertreter durchführen sollten, die bereits ein Wochenende später aus ihren Reihen die drei wählbaren Mitglieder des neunköpfigen NBG bestimmen würden. Als Experten zum Thema wurden uns der Physiker Jörg Reckers vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit und der Sozialwissenschaftler Jörg Ohlsen vom Bundesamt für Strahlenschutz vorgestellt, die am Samstag noch um das Kommissionsmitglied Bernhard Fischer, u.a. Ex-Chef von Eon-Kernkraft, ergänzt wurden.

Der Start der Veranstaltung verlief durchaus bemerkenswert, denn schon in der kurzen Vorstellungsrunde wurde eine ausgesprochen kritische und misstrauische Haltung im Grunde aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer deutlich, die die Moderatoren und Experten sichtlich überraschte - vielleicht hatten sie nicht realisiert, dass sie sich in Norddeutschland und damit in einer Region befanden, die von jahrzehntelangen Anti-AKW-Protesten geprägt war. In der anschließenden Diskussionsrunde herrschte unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern große Skepsis sowohl bzgl. der versicherten Neutralität der Endlagersuche als auch hinsichtlich der Beteuerungen von Transparenz, Offenheit und Öffentlichkeitsbeteiligung. Und es trat eine erhebliche Verunsicherung zutage, was die Aufgaben und vor allem die Funktion eines NBG anbelangt; immer wieder wurde die Befürchtung geäußert, lediglich als Feigenblatt und Prellbock dienen zu sollen. Am Ende des ersten Tages gab es keine einzige Teilnehmerin und keinen einzigen Teilnehmer, die oder der die Frage, ob man sich am Sonntag zur Wahl stellen wolle, mit einem eindeutigen Ja beantwortete.

Der Samstag wurde von den Moderatoren dann mit einem Strategiewechsel begonnen. Tenor: Das Ausmaß an Skepsis und Misstrauen sei verständlich, aber die Empfehlungen der Kommission böten ja gerade die Chance zu einem Neuanfang, und wir hätten die Gelegenheit, an einer Form von Bürgerbeteiligung mitzuwirken, die es so noch nicht gegeben habe.

Die damit eingeläutete zweite Phase bestand in erster Linie darin, dass die Herren Reckers und Ohlsen uns über den Stand der Endlagersuche und die Empfehlungen der Kommission informierten. Sie taten das auf eine durchaus engagierte, ja derartig enthusiastische Weise, dass man ihnen die ehrliche Begeisterung für die Kommissionsempfehlungen und für die einzigartige Art der Öffentlichkeitsbeteiligung ohne weiteres abnahm; diese beiden meinten, was sie sagten. An diesem Vormittag war auch das Kommissionsmitglied Bernhard Fischer zugegen, der launig von der so differenzierten, ganz unterschiedliche Positionen vertretenden Zusammensetzung der Kommission, ihrer zähen und doch immer konstruktiven Arbeit und vom harten Ringen um die vorliegenden wegweisenden Empfehlungen erzählte.

Kein Wort zur Kritik aus der Umweltbewegung

Diese einseitige (Selbst-)Darstellung hatte nun doch nur noch sehr wenig mit der angepriesenen Transparenz und vorbehaltlosen Information zu tun. Kein Wort wurde von VeranstalterInnen wie ExpertInnen von sich aus zur Kritik aus der Umwelt- und Anti-AKW-Bewegung geäußert und zu deren Entscheidung, aus ganz grundlegenden Überlegungen heraus die Mitarbeit in der Endlagerkommission abzulehnen; kein Wort zur einseitigen Zusammensetzung der Kommission und zur Überrepräsentation der Energiekonzerne; und kein Wort wurde übrigens auch dazu verloren, dass die IKU GmbH – Die Dialoggestalter laut eigener Webseite bereits im April 2016 eine Konsultation zum Entwurf des Kommissionsberichts moderiert und bei der griffigen Formulierung von Kernbotschaften mitgewirkt hatte und damit als Moderator alles andere als neutral zu nennen ist. Diesbezügliche kritische Nachfragen kamen ausschließlich aus den Reihen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer und wurden quasi wegmoderiert, indem sie freundlich als durchaus berechtigt aufgenommen, dann aber nicht weiter verfolgt wurden. Schließlich sollte ja auch eine Wahl vorbereitet und durchgeführt werden...

Kaum nennenswerte Vorstellungen über das "Wie"

Damit kommen wir zur dritten Phase der Veranstaltung, nämlich der Beschäftigung mit der Frage, worin denn nun eigentlich die Aufgabe eines Nationalen Begleitgremiums bestehen soll. Laut Kommissionsempfehlungen sind die zentralen Aufgabe des NBG „die vermittelnde und unabhängige Begleitung des Standortauswahlverfahrens, insbesondere auch die Umsetzung der Öffentlichkeitsbeteiligung am Standortauswahlverfahren.“ Dazu sollen die Mitglieder „Einsicht in alle Akten und Unterlagen erhalten“, „Veränderungs- und Innovationsbedarf identifizieren“, „zur Beilegung und Schlichtung von Konflikten beitragen“ und „eine vermittelnde Funktion in der Debatte mit kritischen Stakeholdern ausüben“. Rasch zeigte sich, dass es nicht nur unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern, sondern auch bei den Veranstaltern kaum nennenswerte Vorstellungen davon gab, wie diese Aufgaben inhaltlich ausgestaltet sein werden. Es war zu erfahren, dass in aktuellen Haushaltsverhandlungen das Budget für das NBG erst noch festgelegt werden wird, und dass bereits eine Geschäftsstelle eingerichtet wurde, die bis zu zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigen wird.

Feigenblattfunktion für vermeintliche Öffentlichkeitsarbeit

Aber womit? Diese Frage war gänzlich ungeklärt. Die Sorgen von uns, die wir über diese Fragen diskutierten, bewegten sich zwischen der Befürchtung, die Aufgaben wegen fachlicher Überforderung gar nicht verantwortungsvoll wahrnehmen zu können und der Ahnung, als letztlich einflussloses Gremium lediglich eine Feigenblattfunktion für vermeintliche Öffentlichkeitsarbeit erfüllen und als Puffer zwischen Regierung und Öffentlichkeit herhalten zu sollen. Doch trotz aller Bedenken entstand allmählich eine Art Aufbruchstimmung im Raum und es wuchs der Optimismus, ganz persönlich an einer gesellschaftlich wichtigen Aufgabe mitwirken zu können. Dieser Stimmungswechsel wurde durchaus auch von den Moderatoren unterstützt, indem bspw. kurze Videoschnipsel von den anderen parallel laufenden Bürgerforen eingespielt wurden, in denen gut gelaunte Moderatoren Nachricht von den dortigen Kandidatenzahlen gaben, die uns, so der Eindruck, anstacheln sollten, mit ihnen gleichzuziehen. Am Ende des Tages standen, ganz anders als noch am Vortag, tatsächlich neun Personen auf der Liste der Wahlkandidatinnen und -kandidaten, von denen sich am folgenden Sonntagmorgen schließlich acht zur Wahl stellten (vier Frauen und vier Männer).

Ernsthafte Akzeptanz und Einbeziehung nicht ernsthaft gewollt

Zur letzten Phase, der Wahl am Sonntagmorgen, bleibt nur noch wenig zu sagen. Zuguterletzt hatten wir sechs Personen für ein „Nationales Beratungsnetzwerk“ gekürt, die mit deutlich mehr Optimismus, als der Veranstaltungsbeginn am Freitag erwarten ließ, aber auch mit einer nach wie vor spürbaren Zurückhaltung und Skepsis dem kommenden Wochenende entgegensahen. Sie würden aus ihren Reihen Mitglieder in ein „Nationales Begleitgremium“ wählen, über dessen Zusammensetzung, Aufgaben, Arbeitsinhalte, Arbeitspensum und zukünftige Schwierigkeiten sie im Grunde genommen kaum etwas wussten. Diese Mitglieder sind, noch während ich dies schreibe, inzwischen gewählt, und als Teilnehmer des Vorauswahlverfahrens weiß ich, dass es sich um ernsthafte, engagierte, kritisch denkende und zweifelnde Personen handeln wird, die ihrer Aufgabe mit vorsichtigem Optimismus, aber auch mit Bangen entgegensehen. Ich wünsche ihnen von ganzem Herzen, dass sie nicht bald schon ernüchtert erkennen müssen, dass sie sich doch vor einen Karren haben spannen lassen, den aus dem Dreck zu ziehen ihnen die Kraft und die Möglichkeiten fehlen.

Ich fürchte aber, dass genau das geschehen wird, da eine größere Akzeptanz in der Öffentlichkeit ohne die echte Einbeziehung der über Jahrzehnte hinweg engagierten und mit viel Expertise ausgestatteten Umweltund Anti-AKW-Bewegung nicht gelingen kann. Dies scheint mir aber nach wie vor nicht ernsthaft gewollt zu sein.

Zwischenüberschriften von .ausgestrahlt eingefügt
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