Jahr für Jahr veröffentlicht eine Expertengruppe um Mycle Schneider den „World Nuclear Industry Status Report“, ein (kritischer) Überblick über den Zustand der weltweiten Atomindustrie. Das Ergebnis ist seit einigen Ausgaben immer gleich - und erfreulich: die Atomindustrie befindet sich weiter auf dem absteigenden Ast. Die Atomlobby-Verbände behaupten das Gegenteil, doch ihre Zahlen sind irreführend.
In Expertenkreisen gilt der jährliche Bericht zur internationalen Nuklearwirtschaft als Standard-Werk. Unterstützt wird die Publikation von der Schweizer Energiestiftung SES, den amerikanischen MacArthur Foundation und Natural Resources Defense Council, den Grünen im EU-Parlament, der französischen „Le Monde diplomatique“ sowie der deutschen Hatzfeldt Stiftung. Mitautor Mycle Schneider ist durch seine langjährige, autodidaktische Arbeit zu einem der gefragtesten Atomenergie-Kenner weltweit geworden. Er beriet in der Vergangenheit neben zahlreichen Umweltverbänden auch Ministerien in Deutschland, Frankreich oder Belgien. Im Juli erschien die aktuelle Ausgabe des Reports für 2016. Schneider berichtete kürzlich auf einer Veranstaltung in der Heinrich-Böll-Stiftung (Berlin) über die Inhalte.
Auf einen Aspekt geht er immer wieder ein: Dass die Daten über die in Betrieb befindlichen Reaktoren der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA), auf die sich viele Institutionen oder Medien berufen und damit ein „positives Bild vom nuklearen Wachstum“ zeigen, falsch seien. Er spricht von einer „Irreführung“ und fordert: „Es ist an der Zeit, die internationalen Atomenergie-Statistiken an die Realität anzupassen“. Besonders in Japan erweise sich die Statistik, die weltweit aktuell „450 nuclear power reactors in operation“ anpreist, als Trugschluss. Denn dort erzeugen die 43 Reaktoren „in operation“ aktuell weniger als ein Prozent Strom. Einer der Meiler ist schon seit 1995 nicht mehr in Betrieb.
„Fehlerhafte Marketingaktion der IAEA“
Es handle sich um eine „fehlerhafte Marketingaktion der IAEA“, betonte Christian Meyer zu Schwabedissen, ehemaliger Leiter des Berliner Büros der Nuklearfirma AREVA GmbH in Deutschland. Als die IAEA-Datenbank "PRIS" ins Leben gerufen wurde, hätte niemand mit solchen Ausfallzahlen und -zeiten gerechnet.
Die Forderung von Schneider: Eine Kategorie für solche Reaktoren, die für einen längeren Zeitraum nicht in Betrieb sind – aber noch nicht endgültig vom Netz. Laut Schneider ergäbe sich auf Grundlage seiner Überlegungen im Gegensatz zur Wachstums-Propaganda ein „dramatisches Bild“ für die Atomwirtschaft. Zwar seien 2015 erstmals seit der Katastrophe von Fukushima wieder „signifikant viele“, nämlich zehn Reaktoren, ans Netz gegangen. Davon allein acht in China, dem einzigen Land, das massiv zugebaut habe. So sei die Atomstrom-Produktion 2015 weiter gestiegen, jedoch um lediglich 1,3 Prozent. Ein „bescheidener Wert gegenüber dem Anstieg Erneuerbarer Energien“, so Schneider. Überdies dürfe man nicht vergessen, dass die Alterung der Kraftwerke massive Auswirkungen auf die Sicherheit habe.
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Bericht zur Fachdiskussion in Berlin am 2. November von Juliane Dickel
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zur Webseite des www.worldnuclearreport.org
weiterlesen:
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Status-Report: Atomkraft weltweit am Ende
14.07.2016 - Der „World Nuclear Industry Status Report“ liefert einmal im Jahr kritische Fakten zum Abgesang der Atomenergie weltweit. Der Trend seit Jahren: Erneuerbare Energien werden immer günstiger und dadurch alte Atomkraftwerke immer unrentabler. Die Atomkonzerne geraten unter finanziellen Druck, teilweise legen sie ihre Meiler sogar vorzeitig still. -
Auslaufmodell Atomkraft: Report liefert Zahlen
16.07.2015 - Der „World Nuclear Industry Status Report“ beschreibt einmal im Jahr die weltweite Entwicklung der Atombranche und nimmt kritische Bewertungen vor. Auch 2015 kommen die Autoren zu folgendem Ergebnis: Die Atomenergie ist ein Auslaufmodell, weltweit befindet sie sich auf Talfahrt.
Quellen (Auszug): neueenergie.net, de.wikipedia.org, worldnuclearreport.org, iaea.org/pris; 14.11.2016