Bundesumweltministerin erwägt Stilllegung von Urananreicherungsanlage

09.08.2016 | Jan Becker

In einem Brief an ihren nordrhein-westfälischen Amtskollegen Johannes Remmel (Grüne) erwägt Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) Ende Juli erstmals eine Betriebsende für die Urananreicherungsanlage in Gronau. AtomkraftgegnerInnen fordern einen umgehenden, detaillierten Stilllegungsfahrplan.

01.02.2016: Blockade in Lingen
Foto: nirgendwo.info
Protest-Aktion in Lingen

In der Bundesregierung „gebe es zwar keine gemeinsame Position, den Betrieb in Gronau zu beenden“, betont Hendricks in dem Schreiben. Sie sei aber „vor dem Hintergrund Ihrer [Remmels] sehr nachdrücklichen Forderung gerne bereit, die Möglichkeit einer neuen politischen Einigung zu einer Stilllegung der Anlage in Gronau innerhalb der Bundesregierung und mit dem Koalitionspartner zu erörtern“. Das Land müsse aber „die detaillierten, insbesondere zeitlichen Vorstellungen“ formulieren.

Anfang Juli hiess es noch von der Bundesregierung, dass eine sofortige Stilllegung der Anlage „im Moment trotz des Atomausstiegs nicht in Betracht“ komme.

Wendepunkt? Auch Uranmülllagerhalle stoppen!

Münsterländer Anti-Atomkraft-Initiativen und der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) begrüßen, dass Hendricks erstmals eine Stilllegung der umstrittenen Anlage erwägt. Die NRW-Landesregierung solle nun sofort mit den Vorbereitungen für die Stilllegung beginnen und einen entsprechenden Fahrplan dem Bundesumweltministerium übermitteln, fordern die Initiativen in einer gemeinsamen Presseerklärung. Außerdem müsse die Landesregierung „in dieser neuen Situation“ die noch für 2016 geplante Inbetriebnahme der zeitlich unbefristeten Uranmülllagerhalle auf dem Gelände der Fabrik verhindern, damit „keine neuen Fakten“ am Atomstandort Gronau geschaffen werden, die eine Stilllegung erschweren könnten.

„Sollte Frau Hendricks ihre Ankündigung ernst meinen, könnte dies ein Wendepunkt für die Urananreicherung in Gronau sein“, so Udo Buchholz vom Arbeitskreis Umwelt (AKU) Gronau und Vorstandsmitglied im BBU.

Die Landesumweltminister hatten im Juni einstimmig die Stilllegung der Anlage gefordert. Diese und das Brennelementewerk in Lingen sind besonders in der Kritik, weil sie im Gegensatz zu den letzten acht Atomkraftwerken eine unbefristete Betriebsgenehmigung besitzen. Das ist mit dem deutschen Atomausstieg nicht vereinbar, monieren AtomkraftgegnerInnen seit Jahren.

„Wer in Deutschland aus der Atomenergie aussteigen will, darf nicht den Weiterbetrieb von AKW in anderen Ländern durch eigene Atomanlagen ermöglichen und täglich neuen Atommüll produzieren," so Matthias Eickhoff vom Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen. „Die Stilllegung der Urananreicherungsanlage in Gronau und der Brennelementefertigung in Lingen ist mehr als überfällig.“

Skandal-AKW werden weiter aus Deutschland beliefert

Mit einem Rechtsgutachten haben AtomkraftgegnerInnen Ende Juli belegt, dass ein Exportstopp von AKW-Brennstoff aus der Brennelemente-Fabrik in Lingen (Emsland) möglich ist. Doch von dort aus werden offenbar weiter Skandal-Meiler beliefert: Trotz ihrer eigenen öffentlichen Kritik am Betrieb der belgischen Pannenreaktoren Doel und Tihange Anfang Juni habe die Bundesumweltminsterin „stillschweigend über das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) und das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) bis zu 50 neue Brennelementtransporte von der Brennelementefabrik Lingen für die Atomkraftwerke in Doel bei Antwerpen genehmigen lassen“, kritisiert die Ärztevereinigung IPPNW. Im Juni seien bereits die ersten vier Transporte von Lingen nach Doel gerollt. Die restlichen Brennelemente sollen bis April 2018 nach Belgien gebracht werden, heisst es in Transportelisten des Bundesamt für Strahlenschutz.

„Die aktuelle Exportgenehmigung verstößt eindeutig gegen das Atomgesetz und zeigt, dass die Bundesumweltministerin ihre eigene öffentliche Kritik an den belgischen Schrottreaktoren überhaupt nicht ernst nimmt“, so Dr. Angelika Claußen vom IPPNW. „Mit der Lieferung macht sich Hendricks auch für eventuelle Störfälle mitverantwortlich.“

"Atomstandort Lingen nicht länger tolerieren"

Inzwischen unterstützen mehr als 230 Organisationen die Resolution „Atomstandort Lingen nicht länger tolerieren“, die Ende 2014 gestartet wurde. Für den 29. Oktober rufen zahlreiche Verbände und Initiativen zudem zu einer überregionalen Anti-Atom-Demonstration in Lingen auf.

weiterlesen:

  • Gutachten: Exportverbot für Brennelemente aus Lingen möglich
    25.07.2016 - Mit einem Rechtsgutachten belegen AtomkraftgegnerInnen, dass ein Exportstopp von AKW-Brennstoff aus der Brennelemente-Fabrik in Lingen (Emsland) möglich ist. Mehr noch: Bestehende Ausfuhrgenehmigungen für die Meiler Cattenom, Fessenheim oder Doel könnten aus „Vorsorgegründen“ widerrufen werden.

  • "Gekommen um zu bleiben": Urananreicherungsanlage Gronau blockiert
    11.07.2016 - Erneut wurde die Urananreicherungsanlage im westfälischen Gronau von AtomkraftgegnerInnen lahm gelegt: Heute morgen wurden beide Zufahrten versperrt.

  • Atomstandort Lingen dicht machen!
    03.03.2016 - Knapp 200 Anti-Atomkraft-Initiativen und Umweltverbände fordern gemeinsam mit der „Lingen-Resolution“, die Atomanlagen im Emsland zu schließen. Ein Vorwurf: Die Politik habe das dortige Brennelementewerk beim Atomausstieg „offenbar bewusst vergessen“. Denn die Anlage darf im Gegensatz zu den letzten acht Atomkraftwerken - darunter das AKW Emsland - ohne zeitliche Beschränkung in Betrieb bleiben.

Quellen (Auszug): bbu-online.de, ippnw.de, 28.7.2016

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Jan Becker

Jan Becker hat jahrelang die Webseite www.contrAtom.de betrieben und täglich aktuelle Beiträge zur Atompolitik verfasst. Seit November 2014 schreibt der studierte Umweltwissenschaftler für .ausgestrahlt. Jan lebt mit seiner Familie im Wendland. Mit dem Protest gegen regelmäßig durch seine Heimatstadt Buchholz i.d.N. rollende Atommülltransporte begann sein Engagement gegen Atomenergie, es folgten die Teilnahme und Organisation zahlreicher Aktionen und Demonstrationen.

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