Fukushima verhindert Wiedereinstieg / Stand 05/16
Italien gehörte zu den ersten Ländern mit Atomkraftwerken überhaupt. Es war Gründungsmitglied der Internationalen Atomenergie-Organisation IAEO und der europäischen Atomgemeinschaft EURATOM. 1966 trat es bereits als drittgrößter Atomstromproduzent nach den USA und England hervor; der 270-MW-Druckwasserreaktor in Trino Vercellese war bei seiner Inbetriebnahme 1964 das leistungsfähigste AKW der Welt. Insgesamt gingen in Italien vier AKW ans Netz, die aber nie mehr als 5 Prozent des Strombedarfs deckten. Drei in Bau befindliche AKW wurden nie fertiggestellt. Daneben gibt beziehungsweise gab es sechs weniger bekannte, an Forschungseinrichtungen angegliederte Reaktoren, deren Geschichte immer recht geheimnisumwittert blieb – etwa die des Forschungsreaktors RTS-1 „Galileo Galilei“ des Centro Interforze Studi per le Applicazioni Militari („… für militärische Anwendungen“) bei Pisa, wo selbst die Abriss- und Dekontaminierungsarbeiten seit mehr als 25 Jahren nur streng geheim vonstatten gehen.
Super-GAU bringt Ausstieg
Die Atom-Katastrophe von Tschernobyl führte in Italien ein Jahr später zu einem landesweiten Referendum über die Atomfrage. Mehr als 80 Prozent sprachen sich dabei gegen Atomenergie aus. Dazu muss man wissen, dass schon mehr als fünf Jahre vor Tschernobyl die Anti-Atom-Bewegung in Italien massiven Zulauf bekommen hatte. Damals sollten acht neue AKW gebaut werden, die Pläne führten insbesondere zwischen 1982 und 1985 im ganzen Land zu großen Demonstrationen, vor allem in den Standortregionen. Die Vorhaben wurden nach dem Volksentscheid aufgegeben.
2003 kam es erneut zu massiven Anti-Atom-Protesten, auch diesmal mit Erfolg: Es gelang, die Pläne für ein Atommüll-Lager in der Basilikata zu kippen.
Die Berlusconi-Regierung jedoch schuf 2009 dann gesetzliche Grundlagen für einen Wiedereinstieg in die Atomkraft. Die Pläne für mindestens vier neue AKW lagen bereits auf dem Tisch. Erneut sammelte sich die Anti-Atom-Bewegung, 2011 kam es wieder zu einer Volksabstimmung. Und just wenige Wochen zuvor explodierten die Reaktoren im japanischen Fukushima. Der Super-GAU dort war sicher mit ein Grund für die große Wahlbeteiligung und das eindeutige Ergebnis: 94 Prozent stimmten gegen einen Wiedereinstieg in die Atomkraft.
Trotzdem ist die Atom-Gefahr noch nicht für alle Zeiten gebannt. Man muss immer wachsam bleiben. Schon wenige Jahre nach dem Referendum von 1987 etwa versuchten einige Regierungen, die Atomkraft in Nacht-und-Nebel-Aktionen handstreichartig wieder einzuführen, auf Druck der Mafia oder von Lobbys. Der Regierung Berlusconi ist es 2010 fast gelungen, die Rückkehr der Atomkraft durchzusetzen. Deshalb mahnt die RNA, sich trotz des „Sieges“ von 2011 nicht zurückzulehnen: Die Lobbys und die starken Kräfte, denen die italienische Politik unterworfen ist, werden nicht noch einmal 25 Jahre warten, um erneut zu versuchen, ihre nuklearen Pläne umzusetzen.
Leider ist die Debatte über Atomkraft derzeit völlig verstummt. Es ist, als ob sich nach dem erfolgreichen Referendum 2011 alles wie durch Zauberhand aufgelöst habe. Die Anti-Atom-, Energiewende- und Umweltbewegung ist dramatisch geschwächt, weil unterschiedliche politische Strömungen versuchen, ihre jeweiligen Interessen darin durchzusetzen. Die Niederlage beim jüngsten Referendum über die Erdöl-Förderung, bei dem nicht mal jeder dritte überhaupt zur Wahl ging, ist da ein gutes Beispiel. Man kann nicht immer auf Unglücke zählen, damit die Menschen die Augen aufmachen und vernünftige Entscheidungen treffen – mehr Bewusstsein und Entschlossenheit tun not.
Ausbau der Erneuerbaren
In den letzten Jahren hat die Stromproduktion aus erneuerbaren Energien deutlich zugenommen. Fotovoltaik etwa spielte noch 2010 kaum eine Rolle; 2014 hatte sie bereits einen Anteil von 7 % am Strommix. Zusammen mit Windkraft (5 %), Biomasse (6 %) und Geothermie (2 %) sowie der in Italien schon seit Langem vielgenutzten Wasserkraft ( 18 %) deckten die Erneuerbaren damit 2014 bereits 37,5 % des Stromverbrauchs. 29 % des Stroms stammten aus Gaskraftwerken, die gut auf die fluktuierende Einspeisung erneuerbarer Energien reagieren können.
Dieser Text erschien ursprünglich im .ausgestrahlt-Magazin im Mai 2016