Weil die Energiewende viel zu schleppend vorran kommt, will Frankreich nun die Laufzeit seiner ältesten Atomkraftwerke pauschal um zehn Jahre verlängern. Den Fehler machten 2010 auch die Deutschen, als schwarz/gelb den Altmeilern Bestandschutz gewährte. Massenproteste und Fukushima brachten damals die Wende.
Rund die Hälfte der 58 Atomkraftwerke in Frankreich erreicht bald das Ende der vorgesehenen Lebensdauer von 40 Jahren. Ersatzkraftwerke fehlen und der Ausbau erneuerbarer Energien erfolgt viel zu langsam. Die französische Energieministerin Segolene Royal hat nun verkündet, die Laufzeiten der AKW um zehn Jahre zu verlängern, vorausgesetzt die Atomaufsicht stimmt zu.
Wenn die Autorité de sûreté nucléaire, die oberste französische Atomaufsicht, nichts gegen eine Verlängerung von 40 auf 50 Laufzeitjahre einzuwenden habe, sei sie bereit, „grünes Licht zu geben“, erklärte Royal am Sonntag im TV-Sender France 3.
Absage an „groß angelegte Energiewende“
Die 58 Meiler liefern derzeit etwa 75 Prozent des französischen Stroms. Es ist erst wenige Monate her, dass Frankreich eine „groß angelegte Energiewende“ verkündete. Umweltministerin Ségolène Royal sprach im letzten Juli vom „ehrgeizigsten Energiewendegesetz in Europa“, das den Ausbau der Erneuerbaren Energien und Projekte wie Gebäudesanierungen bis hin zur Elektromobilität vorsah. Innerhalb von zehn Jahren, bis 2025, sollte der Anteil an Atomkraft auf unter 50 Prozent am Strommix sinken, die Erneuerbaren Energien von heute knapp zwei Prozent auf 32 Prozent ausgebaut werden.
Doch um wirtschaftliche Anreize für den Ausbau von Sonnen- oder Windenergie zu gestalten, müssen alte abgeschriebene und daher günstig produzierende Atomkraftwerke stillgelegt werden. Deutschland macht es vor, und der Wettbewerb am Strommarkt zeigt, dass es funktioniert: Gefährliche Technologie wird verdrängt und durch langfristig kostengünstige und saubere ersetzt. Die aktuellen Laufzeit-Pläne der französischen Regierung sind also genau das falsche Signal, um der geplanten Energiewende Geschwindigkeit zu verleihen.
Dass sich die Franzosen mit dem Abschied von der Atomkraft schwer tun, beweist die Debatte um die beiden ältesten Meiler im Land: Fessenheim. Zwar ist weiter unstrittig, dass beide Reaktoren bald vom Netz gehen sollen. Doch bislang konnte sich die Politik auf keinen konkreten Zeitpunkt festlegen.
Gefahr kurz hinter der Grenze
Ein neues Gutachten zum französischen AKW Cattenom zeigt, dass das 30 Jahre alte Kraftwerk gegen Kernschmelzen und den Austritt von Radioaktivität nicht gewappnet ist. Die vier Reaktorblöcke sind nur zwölf Kilometer von der deutschen Grenze entfernt. In den 30 Jahren Betriebszeit seit 1986 hat es dort rund 800 meldepflichtige Zwischenfälle gegeben, darunter Brände, Notabschaltungen und Strahlenunfälle.
Defizite gebe es unter anderem beim Schutz gegen Erdbeben, Flugzeugabstürze und Überflutungen. Die Sicherheitsauslegung der Reaktoren sei deutlich niedriger, als hierzulande, urteilt der Gutachter und Atomtechnik-Experte Professor Manfred Mertins. Die Reaktoren wären schon zur Bauzeit in Deutschland nicht genehmigt worden. Es sei „völlig ausgeschlossen, dass die Sicherheitsstandards erreicht werden, die auch die französische Atomaufsicht für nötig hält“. Doch auch für Cattenom würde die Betriebszeit pauschal von 40 auf 50 Jahre verlängert werden.
Massenproteste und Fukushima brachten die Wende
Als die deutsche Politik 2010 den gleichen Fehler beging, und die Laufzeit der alten Atomkraftwerke pauschal verlängerte, erntete sie Massenproteste. Nach dem Super-GAU von Fukushima im März 2011 kam dann die Wende - und der Beschluss für den neuen Atomausstieg wurde gefasst. Es drängt sich jetzt die Frage auf: Was muss in Frankreich passieren, um den gleichen Lerneffekt zu erzielen?
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Quellen (Auszug): iwr.de, klimaretter.info; 28./29.2.2016