Rückblick zum Atommülllager Gorleben: „Alles falsch gemacht!“

25.01.2016 | Jan Becker

“Ohne den jahrzehntelangen Widerstand und die Sachkompetenz auf unserer Seite wäre das Endlager in Gorleben längst in Betrieb gegangen", so fasste Wolfgang Ehmke, Pressesprecher der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg die Veranstaltung „Alles falsch gemacht!“ am vergangenen Samstag zusammen. In Fachvorträgen nahmen Experten zu unterschiedlichsten Themen, die alle im Zusammenhang mit dem Atommmülllager Gorleben stehen, Stellung.

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Foto: publixviewing.de
Gorleben: "Öffentlichkeitsbeteiligung" am 23.1.16

Es entstand ein Rückblick auf zahlreiche Kritikpunkte, die zwar alle (mehr oder weniger) bekannt sind aber mit Blick auf die Arbeit der Atommüllkommission des Bundestages nicht oft genug wiederholt werden können. Denn in einem Punkt waren sich alle Referenten einig: Gorleben müsse als möglicher Standort für ein Atommülllager vom Tisch.

Der Journalist Karl-Friedrich Kassel etwa betonte, das bei der Standortbenennung 1977 die heute im Fokus stehende „Langzeitsicherheit“ eines Lagers keine Rolle gespielt habe. 30 Jahre lang seien Mängel vertuscht worden, um das deutsche Atomprogramm nicht zu gefähren. Ausgleichszahlungen für die Region bezeichnete er als „Akzeptanzbeschaffung“, es habe weder Vergabekriterien noch eine ausreichende Ausgabenkontrolle gegeben. Damit handle es sich eher um eine Art „Politikerbestechung zur Fixierung des Standortes“ als um eine „gesellschaftlich orientierten Ausgleichszahlungen für besondere Belastungen künftiger Generationen“.

Darüber hinaus sei über 37 Jahre lang die Öffentlichkeitsbeteiligung „systematisch umgangen“ worden, kritisierte BI-Sprecher Ehmke. Die Flucht vom Atomrecht ins Bergrecht verfolgte die Vermeidung von Transparenz, Öffentlichkeitsbeteiligung und einer fundierten gesellschaftlichen Diskussion, ergänzte Rechtsanwalt Nikolaus Piontek. Damit seien Rechtsschutzmöglichkeiten etwa für AnwohnerInnen bewusst ausgehebelt worden.

Misstrauen gegen das Verfahren und den Standort Gorleben „unüberwindbar“

Doch neben politischen Aspekten stelle auch die Geologie Fakten, die „für sich genommen und alle gemeinsam Ausschlusskriterien“ sind, berichtete Diplom-Geologe Ulrich Schneider. Auch diese schon früh geäußerten Bedenken seien „nicht ernst genommen, sondern verharmlost, vertuscht und weggerechnet“ worden. Geologische Befunde wurden uminterpretiert, verschwiegen oder gefälscht, so Dieter Schaarschmidt, Geschäftsführer der Wendland-Wind GmbH. Von Anfang an seien zum Beispiel Gasvorkommen unter dem Salzstock Gorleben verschwiegen worden. Die Bundesanstalt für Geowissenschaft und Rohstoffe habe sich „in das politische Ränkespiel verwickeln lassen“ statt mit geologischen Befunden transparent umzugehen.

Neben diesen, das Atommülllager direkt betreffende Themen, referierten die Rechtsanwälte Dieter Magsam und Martin Lemke zur Kriminalisierung von KritikerInnen. Mit Sonderrechtszonen seien bei den Castor-Transporten Bürger- und Freiheitsrechte ausgehebelt worden um den starken gesellschaftlichen Widerstand zu brechen. Unrechtmäßig sei die Bevölkerung „bespitzelt und kriminalisiert“ worden. Die Verantwortlichen hätten den Konflikt „verpolizeilicht“ – was zu einer Lösung bekanntlich nicht beigetragen hat.

Der jahrzehntelange Widerstand und die Sachkompetenz auf Seiten der Gorleben-GegnerInnen haben verhindert, dass das Atommülllager nicht schon längst in Betrieb ist.


Auch wenn viele Fakten bekannt sind, diese Rückschau „sei aus vielen Gründen notwendig“, erklärt BI-Sprecher Wolfgang Ehmke, der massgeblich an der Organisation der Veranstaltung beteiligt war. Immer noch werde behauptet, dass es für Gorleben ein „Auswahlverfahren nach dem damaligen Stand von Wissenschaft und Technik“ gab. Die Trickserei bei der Durchsetzung des Projekts, das Verschweigen geologischer Bedenken sei dem entgegen „die politisch-moralische Hypothek, die jedes Vertrauen in einen fairen Umgang mit Gorleben zerstört hat“, so Ehmke.

weiterlesen:

  • Suche nach Atommüll-Lager: Gorleben-GegnerInnen starten „Widerstandsjahr 2016“
    04.01.2016 - Am 1. Januar trafen sich mehr als 100 AtomkraftgegnerInnen vor dem Bergwerk Gorleben und stießen auf das „Widerstandsjahr 2016“ an. Ende Juni soll die Atommüll-Kommission des Bundestages ihren Abschlussbericht vorlegen, anhand dessen das weitere Verfahren für die Suche nach einem Atommüll-Lager bestimmt wird. Die KritikerInnen gingen Neujahr nicht von einem „Befreiungsschlag“ für das Wendland aus – im Gegenteil: Namentlich bleibt Gorleben bisher als einziger Standort bei der künftigen Suche gesetzt. Die Ergebnisse zweier Studien untermauern aber die Forderung nach einem Ausschluss aus dem Suchverfahren.
  • Atommüll – Strahlendes Erbe
    Beim Betrieb von Atomkraftwerken entsteht täglich hochgiftiger, radioaktiver Abfall, der etwa eine Million Jahre sicher verwahrt werden muss. Tatsächlich ist noch kein einziges Gramm davon schadlos „entsorgt“.
  • Atommüllkommission: Unter Ausschluss der Öffentlichkeit
    Im Sommer 2013 haben Bundestag und Bundesrat das Endlagersuchgesetz beschlossen. Darin wurde vorgesehen, eine Kommission einzurichten, die das Gesetz evaluiert und dem Bundestag Vorschläge zu seiner Veränderung macht, Kriterien für die Standortsuche entwickelt und etliche andere wesentliche Fragen in Bezug auf die Atommüll-Lagerung bespricht.

Quelle (Auszug): bi-luechow-dannenberg.de, 25.1.2016

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Jan Becker

Jan Becker hat jahrelang die Webseite www.contrAtom.de betrieben und täglich aktuelle Beiträge zur Atompolitik verfasst. Seit November 2014 schreibt der studierte Umweltwissenschaftler für .ausgestrahlt. Jan lebt mit seiner Familie im Wendland. Mit dem Protest gegen regelmäßig durch seine Heimatstadt Buchholz i.d.N. rollende Atommülltransporte begann sein Engagement gegen Atomenergie, es folgten die Teilnahme und Organisation zahlreicher Aktionen und Demonstrationen.

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