Exportverbot für deutsche Brennelemente zu belgischen Pannenmeilern!

07.01.2016 | Jan Becker

AtomkraftgegnerInnen fordern nach der nicht abreissenden Pannenserie in belgischen Atomkraftwerken, dass Deutschland dorthin keinen AKW-Brennstoff mehr liefern solle. Die Bundesregierung hatte Einflussmöglichkeiten auf die belgische Atompolitik verneint. Unterdessen erhöhen auch Nachbarländer den Druck und belgische Politiker sprechen davon, dass sie die „Energiewende verschlafen“ haben.

Der letzte Zwischenfall betraf den erst letzte Woche wieder angefahrenen Block 1 des Atomkraftwerks Doel. Nach monatelangem Stillstand aus Alters- und Sicherheitsgründen hatte die belgische Atomaufsicht den Reaktoren 1 und 2 wieder grünes Licht zum Anfahren gegeben. Doel-1 stand seit dem 15. Februar 2015 – exakt 40 Jahre nach Beginn des kommerziellen Betriebs – still. Block 2 startete am 25.12., Block 1 wurde am 30.12. in Betrieb genommen. Nach nur drei Tagen wurde Block 1 notabgeschaltet. Am Sonntagabend war die Ursache noch unklar, am Montag mittag lieferte der Meiler bereits wieder volle Leistung.

Der wegen tausender Risse im Reaktorbehälter besonders umstrittene Nachbarblock 3 war eineinhalb Jahre vom Netz, bis die Atomaufsicht ihn ohne umfangreiche Nachrüstungen wieder für „sicher“ erklärte. Trotz internationaler Proteste wurde Doel-3 am 21. Dezember gestartet. Nach einer unplanmäßigen Abschaltung am 25.12. steht der Reaktor wegen einer Leckage noch bis mindestens Mittwoch still. Glaubt man den Prognosen des Betreibers Electrabel, sollen ab dann wieder alle vier Doel-Meiler Strom produzieren.

Probleme auch im AKW Tihange

Das ebenfalls wegen Rissen im Reaktorbehälter umstrittene AKW Tihange 2 wurde am 14.12. wieder in Betrieb genommen. Zuletzt machte der älteste Reaktorblock 1 am Standort Schlagzeilen: Am 18.12. brannte es dort im konventionellen Teil des Kraftwerks, was zur automatischen Notabschaltung führte. Seit dem 26.12. produziert das Kraftwerk wieder Strom.

Die belgischen Reaktoren sollten ursprünglich nach jeweils 40 Jahren endgültig abgeschaltet werden. Für Tihange-1 war die Abschaltung am 1. Oktober 2015 vorgesehen, was Betreiber Electrabel aufgrund fehlender Rentabilität im November 2011 auch plante. Im Juli 2012 wurde vom Parlament allerdings eine Laufzeitverlängerung bis 2025 gebilligt.

Druck aus Deutschland & den Niederlanden

Nachdem die Bundesregierung ihren Einfluss auf den belgischen Reaktorbetrieb verneinte, fordern AtomkraftgegnerInnen jetzt den Lieferstopp deutscher Brennelemente für die Störfall-Meiler. Der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) und regionale Anti-Atom-Initiativen aus Aachen und dem Münsterland haben in einem offenen Brief an die Umweltministerien in Berlin und Niedersachsen zum umgehenden Handeln aufgefordert. In Belgien entstünde so zumindest „zunächst ein Engpass“, den aber sicher andere Lieferanten stopfen würden, vermutet Jörg Schellenberg vom Aktionsbündnis gegen Atomenergie Aachen. Ein Exportverbot für Brennelemente wäre dennoch „sinnvoll“ und ein wichtiges politische Signal. Auch könnte die Bundesregierung entgegen ihrer Beteuerung zum „Nichtstun“ die geplante deutsch-belgische Stromtrasse Alegro auf Eis legen.

15 Brennelementelieferungen aus Deutschland

Der Betriebsstoff für Doel und Tihange stammt aus einer Fertigungsanlage im deutschen Lingen: AktivistInnen im Münsterland haben Transporte von dort zu den belgischen AKW dokumentiert. Das für die Genehmigung von Brennelement-Transporten zuständige Bundesamt für Strahlenschutz listet für Lingen – AKW Doel in 2014 drei, in 2015 sieben durchgeführte Transporte auf. Davon wurden sechs im Oktober, der letzte am 2. November 2015 mit LKW durchgeführt. Genehmigt sind insgesamt 15 Fuhren bis zum 29.01.2017.

Belgien hat die Energiewende verschlafen

Nach langem Schweigen äußerte Oliver Paasch, Ministerpräsident der deutschsprachigen Gemeinschaft in Belgien, erste Zugeständnisse. Er habe „Verständnis für die Proteste gegen das Wiederhochfahren“ der Meiler. Man wolle die Bedenken „ernst nehmen“, die belgische Regierung werde nicht „einfach das Leben vieler Millionen Menschen aufs Spiel“ setzen. Zugleich warf er Vorgängerregierungen vor, die Energiewende „verschlafen“ zu haben, es gebe weder Planungssicherheit für Investoren noch finanzielle Anreize für den Bau von Erneuerbaren Energien.

Belgien hatte 2003 den Atomausstieg bis 2025 beschlossen. Nach Beginn des GAU von Fukushima wurden die Pläne bekräftigt, doch statt Stilllegungen in 2015 erhielten Tihange-1, Doel-1 und -2 wegen Zweifel an der Versorgungssicherheit Laufzeitverlängerungen bis 2025.

Der belgische Atomkraftgegner Léo Tubbax kritisiert in einem Interview mit der „Zeit“ zudem, dass der AKW-Betreiber Electrabel in den letzten zehn Jahren seine Sicherheitsphilosophie verändert habe: Heute würde der Konzern Komponenten laufen lassen „bis man die Schäden nur noch während eines Notstopps reparieren kann.” Dabei berge es ein „enormes Risiko“, Atomkraftwerke ständig hinunter- und dann wieder hochzufahren, so Tubbax.

Die belgischen AtomkraftgegnerInnen wollen nun vor Gericht für die Stilllegung der Rissreaktoren Tihange-2 und Doel-3 kämpfen. Dass es jetzt keine großen Proteste gegen die Atompolitik gebe, sei eine „vermeintliche Ruhe“. In Aachen hatten kurz vor Weihnachten mehr als 1.000 Menschen gegen die belgischen Atomkraftwerke protestiert. Laut Tubbax habe sich die belgische Anti-Atom-Bewegung nach dem Atomausstiegsbeschluss vor mehr als 10 Jahren mehr oder weniger aufgelöst. Die Mehrheit der Bevölkerung stehe aber hinter einer Energiewende.

Unterstützung erhalten die AktivistInnen jetzt aus den Niederlanden. Bürgermeister von Grenzgemeinden haben ihre Regierung aufgefordert, Druck auf Belgien auszuüben um die Meiler zu schließen.

weiterlesen:

  • Sosnowy Bor – Tihange – Philippsburg: Sicher ist nur das Risiko
    22. Dezember 2015 — „Bröckel-Reaktor“, „Klappriger Uraltmeiler“ oder „Schrottreaktor“: Es lassen sich viele Namen für die maroden Atomkraftwerke finden. Mehrere bestätigen in den vergangenen Tagen diese Bezeichnungen: In Russland wurde möglicherweise radioaktiver Dampf freigesetzt. In Belgien sorgt das AKW Tihange wegen eines Feuers weiter für Schlagzeilen.
  • Risse in Reaktoren: Belgien warnt die Welt vor bislang unterschätzen Korrosionsaspekten
    19. Februar 2015 — Die belgische Atomaufsicht spricht von einem „Problem für den ganzen Nuklearsektor“: In den Reaktordruckbehältern der beiden Atomkraftwerke Doel-3 und Tihange-2 waren bereits im Sommer 2012 tausende Risse gefunden worden. Eine neue Analyse ergab, dass es sich um noch größere Schäden handelt als bislang bekannt. AtomkraftgegnerInnen fordern nun weltweite Untersuchungen.

Quellen (Auszug): taz.de, neues-deutschland.de, wdr.de, transparency.gdfsuez.com, de.wikipedia.org, zeit.de; 3./4./5.1.2016

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Jan Becker

Jan Becker hat jahrelang die Webseite www.contrAtom.de betrieben und täglich aktuelle Beiträge zur Atompolitik verfasst. Seit November 2014 schreibt der studierte Umweltwissenschaftler für .ausgestrahlt. Jan lebt mit seiner Familie im Wendland. Mit dem Protest gegen regelmäßig durch seine Heimatstadt Buchholz i.d.N. rollende Atommülltransporte begann sein Engagement gegen Atomenergie, es folgten die Teilnahme und Organisation zahlreicher Aktionen und Demonstrationen.

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