Suche nach Atommüll-Lager: Gorleben-GegnerInnen starten „Widerstandsjahr 2016“

04.01.2016 | Jan Becker

Am 1. Januar trafen sich mehr als 100 AtomkraftgegnerInnen vor dem Bergwerk Gorleben und stießen auf das „Widerstandsjahr 2016“ an. Ende Juni soll die Atommüll-Kommission des Bundestages ihren Abschlussbericht vorlegen, anhand dessen das weitere Verfahren für die Suche nach einem Atommüll-Lager bestimmt wird. Die KritikerInnen gingen Neujahr nicht von einem „Befreiungsschlag“ für das Wendland aus – im Gegenteil: Namentlich bleibt Gorleben bisher als einziger Standort bei der künftigen Suche gesetzt. Die Ergebnisse zweier Studien untermauern aber die Forderung nach einem Ausschluss aus dem Suchverfahren.

Die Atommüll-Kommission des Bundestages erarbeitet derzeit Kriterien, auf deren Grundlage die weitere Suche nach einem Atommüll-Lager für hochradioaktiven Abfall gestaltet werden soll. Eine aktuelle Studie macht dafür einen konkreten Vorschlag, der im Widerspruch zum bisherigen Vorgehen in Deutschland steht: Anstatt den Atommüll im Salz zu vergraben, schlagen Geologen das „ideale“ Atommüll-Lager als „unterhalb von stratiformen Salzformationen“ liegend vor.

Nicht IM Salz, sondern DARUNTER!

Am 11. November wurde auf der Homepage der Atommüll-Kommission eine Studie über „Geologische Potentiale zur Einlagerung von radioaktiven Abfallstoffen unterhalb von stratiformen Salzformationen“ veröffentlicht. Prof. Dr. Ulrich Schreiber, Prof. Dr. Gerhard Jentzsch und M. Sc. Thomas Ewert von der Universität Duisburg-Essen wollen damit ein „alternatives Endlagerkonzept“ in die aktuelle Diskussion einbringen.

Die Suche nach einem Endlager für hochradioaktive Abfälle in Deutschland konzentrierte sich bisher auf permzeitliche Salinare, die im norddeutschen Becken Salzstöcke und Salzmauern bilden. Als Standort war bekanntlich jahrzehntelang Gorleben (politisch) gesetzt. Doch im Gegensatz zur dortigen „Salzlinie“ würden „horizontal lagernde Wechselfolgen von Tonen und Salzen“ ebenfalls sehr gute Eigenschaften bieten – und zwar hinsichtlich der Abdichtung von Gasen und Flüssigkeiten tieferliegender Horizonte, so die Studie.

Laut dem Konzept sollen diese flach lagernden Steinsalzformationen die geologische Barriere-Wirkung bilden. Anders als bei konventionellen Betrachtungen liegen die Einlagerungskammern dann aber nicht innerhalb, sondern unterhalb der Basis salinarer Sedimente und somit in mehr als 1.000 Metern Tiefe in einem geotechnisch geeigneten Kristallin- oder magmatischen Gestein (wie beispielsweise Granit, oder Porphyr). Damit sei auch eine ausreichende Standfestigkeit für eine möglicherweise nötige Rückholung des Inventars gegeben.

Die Autoren beschreiben damit ein ihrer Ansicht nach „ideales Endlager in der obersten Erdkruste“, das eine Schadstoffausbreitung zwischen Einlagerungsbereich und Biosphäre „dauerhaft verhindert“. Im Gegensatz zur bisherigen Planung, bei der der Salzstock die geotechnischen als auch die barrierewirksamen Funktionen des Atommüll-Lagers einnehmen muss, liegen dem Alternativkonzept also zwei unterschiedliche Gesteinseinheiten zugrunde. Damit würden die „Vorteile des Salzstock-Konzeptes mit denen des Kristallingestein-Konzeptes vereint, deren Nachteile aber ausgeschlossen“, werben die Geologen.

Die Einlagerungskammern liegen nicht innerhalb, sondern unterhalb des Salzes

Eine „günstige Situation“ liege vor, wenn die „permische Schichtenfolge mit einer auf dem Kristallin auflagernden Tonsteinfolge beginnt“. Hierdurch sei eine erste Barriere gegen Flüssigkeitseintrag in die Salzschichten vorhanden. Es folgten permische Salzablagerungen von mehreren Hundert Metern Mächtigkeit, die die „Hauptbarriere zwischen dem Endlager und der Biosphäre“ bildeten.

Wechselfolgen von Salz und Ton besäßen „günstige physikochemische Parameter“ wie Temperaturleitfähigkeit, geringe Permeabilität, Verformungsverhalten und Sorptionsvermögen. Besonders geeignet seien Erdschichten aus dem Mesozoikum, das vor 252,2 Millionen Jahren begann und vor etwa 66 Millionen Jahren endete. Eine Reihe weiterer Ton- und Salzfolgen würden zusätzliche Barrieren und damit „erhöhte Sicherheit“ bieten.

Die Autoren der Studie stellen allerdings eine ganze Reihe von Rahmenbedingungen als Auswahl- beziehungsweise Ausschlusskriterien auf. So müssten mindestens 200 Meter mächtige Salzfolgen in „stratiformer, flacher Lagerung” existieren und die Tiefe der Salzschichten nicht „wesentlich unterhalb von 1.000 Meter“ reichen. Metamorphes oder granitisches Grundgebirge könne für standfeste Kavernen sorgen. Es dürften in dem Bereich keine kritischen Gaskonzentrationen (Methan oder Kohlenstoff) vorhanden sein. Erdbeben dürften in der Region nur sehr gering oder besser gar nicht vorkommen. Der Abstand zu größeren Störungszonen müsse „ausreichend“ sein und die Distanz zu in jüngster Vergangenheit aktiven Vulkangebieten „groß“.

Für die Standortauswahl zu berücksichtigen seien zudem raumplanerische Aspekte wie eine geringe Besiedlungsdichte Lage außerhalb von ausgewiesenen Schutzgebieten und verkehrstechnischer Anbindung ans Bahnnetz. Von den genannten Rahmenbedingungen ausgehend, ließen sich Gebiete in Südniedersachsen, Nordhessen, Thüringen und Nordfranken eingrenzen. Nach einer ersten Auswertungen verfügbarer Daten aus Bohrungen und geologischen Aufnahmen, lägen „günstige Bedingungen“ in mehreren Teilregionen des Thüringer Beckens (Nordhausen, Mühlhausen, Stadtilm) vor. Hier bestehe die Chance, dass „ein Maximum der oben angeführten Kriterien eingehalten werden kann“. Die Standortsuche mithilfe dieses alternativen Lagerkonzepts sei allerdings nur „beispielhaft“ auf Thüringen angewendet worden. Es bräuchte weitere geologische Daten sowohl für Thüringen als auch für Regionen wie das Fränkische Becken und die Schwäbische Alb, um sie genauer zu untersuchen.

Salzstöcke sind doch nicht dicht

Auch eine weitere aktuelle Studie aus den USA macht die Planungen für Langzeitlagerung von Atommüll innerhalb von Salzstöcken zunichte. Denn entgegen der bisherigen Annahme, diese seien – solange nicht von Stollen durchzogen – „dicht“, wird Salz unter bestimmten Voraussetzung porös. Im Labor entstand bei einem Druck von 1.000 bar und 275 Grad Celsius ein Netzwerk an Mikrorissen, es bildeten sich winzige Kanäle in den kristallinen Formationen. Durch sie können Wasser und andere Flüssigkeiten sowie Gase einsickern. Die amerikanischen WissenschaftlerInnen sprechen von einer „potenziellen Durchlässigkeit“ und warnen, dass dieser neue Aspekt bei der Auswahl eines Atommüll-Lagers beachtet werden muss.

Studien sprechen gegen Gorleben

Zusammengefasst kann aus beiden zitierten Studien ein gemeinsamer Kern abgeleitet werden: Die Ergebnisse sprechen ganz klar gegen ein Atommüll-Lager im Salzstock Gorleben-Rambow, in dem den Studien zufolge hochradioaktiver Abfall über einen langen Zeitraum nicht „sicher“ gelagert werden kann.

  • Mit Rahmen eines Tagesseminars wollen die Gorleben-GegnerInnen am 23. Januar 2016 die wichtigsten Kritikpunkte gegen den Atommüll-Standort zusammenfassen. Unter dem Motto „Alles falsch gemacht!“ werde am Beispiel Gorleben aufgezeigt, „wie eine Endlagersuche in gar keinem Fall erfolgreich ist“. Weitere Infos: www.bi-luechow-dannenberg.de

Teile dieses Artikels sind in der Gorleben Rundschau, Ausgabe 1/2016 erschienen.

weiterlesen:

  • Ein Atommüll-Lager für Thüringen?
    17. Dezember 2015 — In der Debatte um die deutsche Suche nach einem Lager für Atommüll hat ein Geologe erneut Thüringen ins Gespräch gebracht. Welche Aussichten hat eine Suche nach einem Atommülllager in dem Bundesland? Und mit wie viel Anti-Atom-Protest ist dort zu rechnen? Eine Antwort gibt ausgerechnet das Projekt eines Studenten.
  • Atommüll-Lager in Salzgestein: Hauptargument für Gorleben ist „weggebrochen“
    2. Dezember 2015 — Die bisherige Suche nach einem tiefengeologischen Lager für hochradioaktiven Atommüll verlief in Deutschland entlang der „Salzlinie“. Anstatt wie andere Länder auch alternative Gesteinsarten zu untersuchen, wurde unbeirrt seit über 40 Jahren am Standort Gorleben festgehalten. Laut einer neuen Studie eignet sich Steinsalz aber „äußerst schlecht“.

 

Glossar der im Artikel genutzten Fachbegriffe:

Mesozoikum: Erdzeitalter, das vor etwa 252,2 Millionen Jahren begann und vor etwa 66 Millionen Jahren endete.

metamorph: Gestein, das aus einem Gestein beliebigenTyps infolge einer Erhöhung des Umgebungsdruckes bzw. der Umgebungstemperatur verhältnis- mäßig tief in der Erdkruste entsteht.

Perm / permzeitlich: Das Perm begann auf der geologischen Zeitskala vor etwa 298,9 Millionen Jahren und endete vor etwa 252,2 Millionen Jahren.

Permeabilität: Durchlässigkeit von Böden und Fels für Flüssigkeiten oder Gase Salinar / salinar: Salzgestein-Komplex

Sediment: entsteht durch die Ablagerung von Material an Land und im Meer. Unverfestigte Sedimente werden Lockersediment, verfestigte Sedimente werden Sedimentgesteine genannt.

Sorption: Anreicherung eines Stoffes

stratiforme Salzformationen: Steinsalz-Struktur, bei der die tektonischen Kräfte nicht zu einer
Aufwölbung der Sedimente ausgereicht haben. Die salinaren Ablagerungen stehen in gleichlaufend übereinandergelagerter, horizontaler oder wellenförmiger Abfolge zueinander.

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Jan Becker

Jan Becker hat jahrelang die Webseite www.contrAtom.de betrieben und täglich aktuelle Beiträge zur Atompolitik verfasst. Seit November 2014 schreibt der studierte Umweltwissenschaftler für .ausgestrahlt. Jan lebt mit seiner Familie im Wendland. Mit dem Protest gegen regelmäßig durch seine Heimatstadt Buchholz i.d.N. rollende Atommülltransporte begann sein Engagement gegen Atomenergie, es folgten die Teilnahme und Organisation zahlreicher Aktionen und Demonstrationen.

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