Nach dem Absturz des französischen Atomkonzerns Areva steht es auch um den japanischen AKW-Hersteller Toshiba schlecht. Für ein Reaktorprojekt in England fehlt viel Geld. Doch statt sich von seinen Nukleargeschäften zu verabschieden, baut Toshiba lieber keine Fernseher mehr…
In unmittelbarer Nähe des größten europäischen Atomkomplex Sellafield im britischen Cumbria sollen unter dem Namen „Moorside“ drei neue Atomkraftwerke gebaut werden. Für die Errichtung der Blöcke vom Typ „AP1000“ des Herstellers Westinghouse gingen die japanische Toshiba Corporation und die französische GDF Suez SA Mitte letzten Jahres eine Partnerschaft ein. Toshiba verpflichtete sich, 60% des Baukonsortiums NuGeneration Ltd. (NuGen) zu übernehmen. Die NuGen hatte sich bereits 2009 die Option zum Kauf eines 190 Hektar grossen Grundstücks gesichert. Im Dezember 2014 versprach die britische Regierung Milliarden-Garantien für die AKWs. Im Juli 2015 wurden die Kaufverträge für das Land unterzeichnet.
Das Projekt Moorside ist derzeit das größte Vorhaben zur Errichtung von Atomkraftwerken in Europa. Die Gesamtkosten werden auf 17 Milliarden Dollar geschätzt. Zwischen 2024 und 2026 sollen die Meiler mit einer Leistung von je 1.000 Megawatt ans Netz gehen.
Doch der Westinghouse-Mutterkonzern Toshiba steckt nach einem milliardenschweren Bilanzskandal in Schwierigkeiten. Jahrelang waren Gewinne um insgesamt 1,15 Milliarden Euro zu hoch ausgewiesen worden. Dem Unternehmen, dessen Geschäfte derzeit noch PCs, Hausgeräten, Chips und LED-Lampen bis hin zu Turbinen, Solaranlagen und eben auch den Bau von Atomkraftwerken umfasst, droht deswegen eine Rekordstrafe von umgerechnet 53 Millionen Euro.
Um eine Vorleistungen für das Moorside-Projekt in Höhe von „mehr als 1,8 Milliarden Euro“ zu leisten fehlt nun das Geld. Üblicherweise finanzieren Unternehmen Großaufträge wie Atomkraftwerke aus eigener Kraft vor oder suchen sich Partner aus der Branche, berichten Medien. Doch nun habe Toshiba Finanzinstitute um Hilfe gebeten – ein „ungewöhnlicher“ Vorgang, der auf einen miserablen Zustand des Unternehmens schließen lässt.
Atomkraftwerke statt Fernseher
Der Neubau von Atomkraftwerke birgt in Europa bekanntlich enorme finanzielle Risiken. Die wenigen Projekte wie der EPR im finnischen Olkiluoto verzögern sich dank umfangreichen Forderungen für Sicherheitsnachrüstungen oder Pannen um Jahre und werden viel teurer als ursprünglich geplant. Der französische Konzern AREVA, einst internationaler Marktführer, steht auch wegen des EPR vor der Pleite und hat sich vom Bau weiterer Reaktoren verabschiedet.
Doch statt sich von dem Milliardenprojekt in England zu trennen, soll Toshiba sich aus dem Geschäft mit Verbraucherelektronik zurückziehen und das PC-Geschäft sowie die Sparte für Haushaltsgeräte konsolidieren wollen. Nachdem bereits das TV-Geschäft in Amerika und Europa an Lizenznehmer veräusserte wurde, sollen mehrere Produktionswerke für Fernseher im Ausland verkauft werden. Stattdessen wolle sich Toshiba „auf das Geschäft mit Atomkraft und weitere Unternehmenskundengeschäfte“ fokussieren, berichtet die Handelszeitung.
Nach dem Klimaabkommen von Paris sieht Westinghouse die Sternstunde für seine Produkte: Es sei „an der Zeit, Investitionen und Finanzmittel von kohlenstoffintensiven fossilen Energieträgern in den Bau von Kernkraftwerken der neuen Generation zu verlagern“, so Chief Executive Officer Danny Roderick.
„the safest and most economical nuclear power plant worldwide“
Ursprünglich stammt Westinghouse aus den USA. Die nukleare Sparte der Westinghouse Electric Company gehört seit 2006 zum japanischen Konzern Toshiba. Toshiba baute zwei der drei Reaktoren von Fukushima, die bis heute vor sich hin schmoren und ein ständiger Gefahrenherd sind. Und Toshiba ist eines jener Unternehmen, die darauf pochen, auch unfallfreie Kraftwerke bauen zu können. Wie auch alle anderen AKW-Firmen umwirbt Westinghouse seinen Reaktortypen als den „sichersten weltweit“: „The AP1000 PWR is the safest and most economical nuclear power plant available in the worldwide commercial marketplace.“ Neue Atomkraftwerke zu bauen wäre für Toshiba also ein großer Erfolg, denn es könnte vermitteln, dass auch nach der Katastrophe von Fukushima Atomtechnologie aus Japan kommen kann.
In China befinden sich an zwei Standorten jeweils zwei Meiler vom Typ AP1000 in Bau. Noch nirgends auf der Welt ist einer in Betrieb. Seit Ende 2011 hat der AP-1000 eine offizielle Zulassung der US-Atomaufsicht NRC auf 25 Jahre erhalten. Doch diese Zulassung ist nicht unumstritten. Besonders umfangreiche Kritik vor allem zum Sicherheitskonzept und zur Standsicherheit der Anlage kommt nicht nur von Atomkraftgegnern, sondern auch aus der Wissenschaft und aus den Reihen der Atomaufsicht selbst. Neue Erkenntnisse nach den Reaktorkatastrophen in Fukushima seien bei dem Reaktorkonzept nicht mit berücksichtigt worden. Auch einschlägige Normen zur Standsicherheit von Gebäuden seien von der Konstruktion nicht erfüllt. Von „größter Sicherheit“ könne nicht die Rede sein:
„Das Containment des AP1000 ist ein großer Rückschritt weit hinter die bereits in den Containments der Atomkraftwerke der 70er Jahre des vergangenen Jahrhundert realisierten Sicherheit“, fasst ein Kritiker zusammen.
weiterlesen:
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25. November 2014 — Der “Europäische Druckwasserreaktor” (EPR) sollte Areva den ganz großen Durchbruch auf dem international umkämpften Markt um den Bau von neuen Atomkraftwerken bringen. Doch nun steht der französische Atomkonzern vor der Pleite.
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28. Februar 2014 — Das Festhalten am Glauben an die Atomkraft hat dem französischen Konzern Areva im Jahr 2013 einen Verlust von einer halben Milliarde Euro beschert. Zwar war der Umsatz um vier Prozent auf 9,2 Milliarden Euro gestiegen, der ursprünglich angepeilte Gewinn wurde mit 494 Millionen Euro Verlust aber gründlich verfehlt. Im Jahr 2011 betrug das Rekordminus gar 2,5 Milliarden Euro. Das Festhalten an der Atomtechnik ist also auch wirtschaftlich fatal.
- Fukushima: Grundsatzklage gegen Reaktor-Hersteller
4. Februar 2014 — Gegen die Unternehmen Toshiba, General Electric und Hitachi wurde wegen dem Super-GAU in Fukushima Klage eingereicht. 1400 Personen hatten letzte Woche eine Sammelklage auf Schadensersatz eingereicht. Die Klagebegründung sieht auch die Hersteller der Reaktoren in der Mitschuld für die Kernschmelzen.
Quellen (Auszug): nugeneration.com, nuklearforum.ch, de.nucleopedia.org, tec-sim.de, power-technology.com, tt.com, derstandard.at, cetoday.ch; 2.12.2014 / 10./15.12.2015