Künftig werden Castor-Transporte mit Atommüll auch nach Bayern rollen. Das Zwischenlager am Atomkraftwerk Isar bei Landshut soll sieben von insgesamt 26 Behältern mit hochradioaktiven Abfällen aus den Plutonium-Fabriken in La Hague und Sellafield aufnehmen. Darauf haben sich jetzt Horst Seehofer (CSU) und die Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) nach monatelangem Streit verständigt. Sicherheitsaspekte spielen bei dieser Entscheidung keine Rolle.
2013 sind die hoch umstrittenen Transporte nach Gorleben, wohin die 26 Behälter ursprünglich sollten, gesetzlich verboten worden. Um zu zeigen, dass es mit der Übernahme von Verantwortung ernst gemeint ist, hatten sich die Bundesländer pauschal bereiterklärt, die Castoren in den vorhandenen Hallen an den Atomkraftwerken zu lagern. Doch als es dann an die Umsetzung der Vereinbarung ging, wurde deutlich, wie schwierig schon die Verteilung einer relativ überschaubaren Menge Atommülls ist.
Niemand wollte den Müll so richtig haben. Die Länder Hessen mit dem Zwischenlager am AKW Biblis, Schleswig-Holstein mit Brokdorf und Baden-Württemberg mit Philippsburg signalisierten zwar ihre grundsätzliche Bereitschaft einen Teil davon aufzunehmen, doch knüpften sie diese an eine Forderung: Mindestens ein CDU/CSU-regiertes Land solle mitziehen.
Bayern – seit Jahrzehnten das Bundesland mit dem höchsten Atomstromanteil am Strommix – wies diese Verantwortung bisher weit von sich. Man habe schließlich mit Gorleben ein geeignetes und genehmigtes Zwischenlager, so auch der Tenor der Atomlobby, die sich an Mehrkosten deshalb nicht beteiligen will. Nach einen Vorstoß für eine Lösung des Debakels, bei dem Bayern im Sommer in den Fokus rückte, drohte der Freistaat sogar mit einem „Scheitern der Energiewende“, sollten Castoren ins Land rollen.
Aus neun wurden sieben
Ende letzter Woche hat ein Treffen in der bayerischen Staatskanzlei stattgefunden, an dem neben Seehofer und Hendricks auch Kommunalpolitiker aus der betroffenen Region um Landshut geladen waren. Die Entscheidung habe schon vorher festgestanden, monierten die Regionalpolitiker im Anschluss. Bayern wird sieben der 26 Behälter am Standort Isar einlagern. Horst Seehofer spricht von einer „gesamtstaatliche Aufgabe, bei der auch Bayern bereit ist, Mitverantwortung zu übernehmen“. Am Anfang der Gespräche war noch von neun Behältern für Isar die Rede gewesen.
Bis zum Verbot der Transporte zur sogenannten „Wiederaufarbeitung“ im britischen Sellafield und französischen La Hague in 2005 waren zahlreiche Behälter mit dem verbrauchten Brennstoff aus deutschen Atomkraftwerken dorthin gebracht worden. Dieser Müll soll zurückgenommen werden. Frühestens 2017soll eine erste Fuhre kommen, bis dahin müssen die Betreiber der Zwischenlager die Einlagerung und den Transport beantragen und das Bundesamt für Strahlenschutz die Genehmigungen erteilen. Doch das sei laut Hendricks mit dem Zugeständnis Bayerns nur noch Formsache und soll bis Mitte 2016 erledigt werden.
Genehmigungsverfahren werden ausgehebelt
Diese „Formsache“ ist allerdings sehr brisant. Denn eine Entscheidung zugunsten von „mehr Sicherheit“ wird diese Umverteilung der Castor-Behälter damit nicht. Das Standortzwischenlager Brunsbüttel verlor im Gerichtsprozess seine Betriebsgenehmigung weil ein ausreichender Terrorschutz nicht nachgewiesen werden konnte. Auch alle anderen der insgesamt 15 Zwischenlagerhallen bundesweit, die teilweise baugleich oder baulich noch schlechter ausgelegt sind, können deshalb nicht mehr als „sicher“ beurteilt werden.
Wenn die Behörden mit dem Argument des Zeitdrucks, der „gesamtstaatlichen Aufgabe“ oder „Mitverantwortung“ nun die bestehenden Genehmigungen der Zwischenlager ändern – und das müssen sie, wenn Glaskokillen aus der WAA kommen sollen – ohne dabei den mangelnden Terrorschutz zu berücksichtigen, zeugt das von Verantwortungslosigkeit im Umgang mit dem Atommüllproblem. Die Hallen müssten erst umfangreich nachgerüstet oder neugebaut werden. Doch davon will zur Zeit niemand was hören.
Nur eins ist sicher: Protest
Brisant sind auch zwei Änderungen, die nachträglich in die Vereinbarung aufgenommen wurden: Der Abtransport der Behälter in ein langfristiges Atommüll-Lager soll schon mit der Anlieferung genehmigt werden, also zeitlich festgelegt. Die Regionalpolitiker werten diese Passage als Erfolg, denn sie würden damit ein „Endlager in Landshut“ verhindern. Ebenso steht in dem Papier, dass die Atommüll-Kommission ihre Arbeit bis zum kommenden Sommer beenden soll.
Bayern macht also Druck – doch jeder Verzicht auf Akribie zugunsten einer „schnellen Lösung“ könnte bedeuten, in alte Muster zu verfallen – und die „Karte Gorleben“ zu ziehen. Es ist in jedem Fall der Verzicht, so sorgfältig wie möglich das am wenigsten schlechte Verfahren für das Entsorgungsdesaster zu suchen.
Man kann diese Entscheidungen also drehen wie man will: Etwas Positives ist ihnen nicht abzugewinnen. Protest ist also sicher, sollten Castortransporte rollen. Lösungsorientiert wäre an dieser Stelle, die Produktion von neuem Atommüll sofort zu unterbinden und alle Atomkraftwerke stillzulegen.
weiterlesen:
- Der perfide Castor-Plan
25. Juni 2015 — Umweltministerin will Genehmigungsverfahren für WAA-Castoren aushebeln. Gorleben bleibt im Rennen. Von Armin Simon und Jochen Stay.
- Bayern will Atommüll nur produzieren – Teil II
2. Juli 2015 — Der Freistaat kommt in Erklärungsnot: Nach der Weigerung, Atommüll aus dem Ausland aufzunehmen wurde jetzt bekannt, dass ab 2018 Castorbehälter aus dem Forschungszentrum Garching in das nordrhein-westfälische Zwischenlager Ahaus transportiert werden sollen. AtomkraftgegnerInnen weisen auch auf einen „Verstoß gegen die Empfehlungen der Reaktor-Sicherheits-Kommission“ hin.
- Bayern will Atommüll nur produzieren
23. Juni 2015 — Der Streit um die Rückführung der Atommüll-Behälter aus Frankreich und England könnte beigelegt sein. Ende letzter Woche hat das Bundesumweltministerium verkündet: Nicht mehr Gorleben heißt das Ziel der künftigen Castortransporte, sondern Brokdorf, Philippsburg, Biblis und Landshut. Bayern gefällt das gar nicht. Und auch AtomkraftgegnerInnen jubeln nicht.
- Bundesanstalt verordnet Transportverbot für über 300 Castor-Behälter
28. April 2015 — Über 300 Castor-Behälter, die teilweise mit den giftigsten Stoffen überhaupt beladen sind, dürfen nicht mehr bewegt werden. Ein Gutachten der Bundesanstalt für Materialprüfung (BAM) sieht Schwachpunkte bei der Fertigung und will die Sicherheit nicht mehr bestätigen.
- Sicherheitsüberprüfungen und Einlagerungsstopp für Castor-Zwischenlager
4. März 2015 — Nach der Aufhebung der Genehmigung für das Castor-Zwischenlager am Atomkraftwerk Brunsbüttel fordern AtomkraftgegnerInnen Konsequenzen für alle anderen vergleichbaren Lagerhallen in Deutschland. Es müssten unverzüglich „Sicherheitsüberprüfungen“ durchgeführt werden, fordert der BUND. Würden die Behörden die Problematik ernst nehmen, hätte das weitreichende Folgen.
- Suche nach Atommüll-Lager: Atombranche setzt weiter auf Gorleben
15. Juli 2015 — 25 Unternehmen aus der Atombranche protestieren gegen die Kostenbeteiligung an der Offenhaltung des Bergwerks Gorleben, darunter sogar staatliche Unternehmen und die Stadtwerke München. Offensichtlich setzen sie weiter auf eine Atommüllkippe im Wendland.
Quelle (Auszug): sueddeutsche.de, 7.12.2015