Ist Atomstrom ein geeignetes Mittel im Kampf gegen Treibhaus-Gase und Erderwärmung? Einen Monat vor dem Klimagipfel COP21 in Paris gibt eine kürzlich veröffentlichte Studie deutlich Antwort. Doch ausgerechnet das COP-Gastgeberland verkündet umfangreiche AKW-Neubaupläne.
„Der Einsatz der Kernkraft hat nie dazu geführt, den vehementen Treibhausgas-Anstieg zu verhindern“, resümiert Yves Marignac von WISE seine Untersuchungen. Denn für die Vermeidung des Ausstoßes von Kohlendioxid spiele die Atomkraft eine sehr limitierte Rolle. Weltweit betrachtet bewegt sich der Einfluss bei „einigen wenigen Prozentpunkten“, die sich durch die Stilllegung alter Reaktoren zudem ständig verringern. Der Sektor der Stromproduktion ist keineswegs für das Gros der CO2-Produktion weltweit verantwortlich.
In Frankreich, wo fast 80 Prozent der elektrischen Energie aus Atomkraftwerken stammt, sorgen die 58 Meiler nur „für eine Verringerung der Treibhausgase um 15 Prozent“, weiß Marignac. Um vereinbarte CO2-Reduktionsziele zu erreichen, muss Frankreich seinen Klimagas-Ausstoß um Faktor 4 verringern. Utopisch, dass neue Atomkraftwerke einen maßgeblichen Anteil daran haben können.
Der französische Energieversorger EdF sieht das anders: Atomkraft sei angesichts des Klimawandels „unersetzlich“. Im Vorfeld des Klimagipfels verkündete EdF ab 2028 den Bau von „modernen Atomreaktoren“ – neue Modelle des Europäischen Druckwasserreaktors (EPR). Bis 2055 soll mit Hilfe von Investoren so die derzeitige Reaktorgeneration ersetzt werden. Zusätzlich sollen bestehende Meiler durch Instandhaltungsmaßnahmen im Gesamtwert von rund 50 Mrd. Euro bis zu 60 Jahre in Betrieb bleiben können.
Ist das „Europas ehrgeizigste Energiewende“?
Es ist erst wenige Monate her, dass Frankreich eine „groß angelegte Energiewende“ verkündete. Umweltministerin Ségolène Royal sprach noch im Juli vom „ehrgeizigsten Energiewendegesetz in Europa“, das den Ausbau der Erneuerbaren Energien sowie Projekte wie Gebäudesanierungen bis hin zur Elektromobilität vorsieht. Innerhalb von zehn Jahren, bis 2025, soll der Anteil an Atomkraft auf unter 50 Prozent am Strommix sinken, die Erneuerbaren Energien von heute knapp zwei Prozent auf 32 Prozent ausgebaut werden.
Doch um wirtschaftliche Anreize für den Ausbau von Sonnen- oder Windenergie zu gestalten, müssen alte abgeschriebene und daher günstig produzierende Atomkraftwerke stillgelegt werden. Derzeit eskaliert der Streit um den allerersten und ältesten Meiler in Fessenheim. Seine für kommendes Jahr angekündigte Stilllegung wurde kurzerhand an die Inbetriebnahme des einzigen Neubaureaktors in Flamanville geknüpft. Doch dort bereiten „unterschiedlichste Schwierigkeiten“ Verzögerungen bis mindestens 2020. Auch die Kostenprognosen wurden erneut nach oben korrigiert: Statt ursprünglich 3,3 Milliarden Euro soll der Bau des neuen EPR nun mindestens 10,5 Milliarden Euro kosten. Weltweit mangelt es wegen desolaten Berechnungen der künftigen Wirtschaftlichkeit solcher Anlage an Investoren.
Wäre es wenigstens die Privatwirtschaft, die sich an ihren Traum von der nuklearen Renaissance klammert. Doch bei EdF handelt es sich um ein Unternehmen in Staatshand, an dem Frankreich 84,8 Prozent der Aktien hält. Es wird also höchste Zeit für ein wegweisendes Machtwort des Präsidenten, in welche Richtung sich sein Land entwickeln soll. Sein Problem: Die Atombranche ist mit rund 220.000 Arbeitsplätzen in 2.500 Betrieben der landesweit drittgrößte Arbeitgeber. Der französische Atomausstieg verkommt mithin zum politischen Machtspiel um die Wählergunst. Einen nennenswerten Beitrag zur Klimarettung liefert Frankreich so aber definitiv nicht.
weiterlesen:
- Hintergrund: Atomenergie dient nicht dem Klimaschutz (pdf-Broschüre)
Eine Erwiderung auf die Klima-Propaganda der Atomlobby: .ausgestrahlt hat das Klimaschutz-Argument der Atomkraft-Befürworter auf den Prüfstand gestellt. Das Ergebnis sind zehn Gegenargumente – eine Erwiderung, die die Propaganda der Atomlobby aufdeckt und entkräftet.
- Wertloses Gesetz: Frankreich ohne Plan für „kleinen Atomausstieg“
23. Juli 2015 — Die „Grande Nation nucléaire“ steht möglicherweise vor einem gewaltigen Umbruch: Das Parlament in Paris hat nun das seit langem erwartete Energie-Gesetz verabschiedet. In zehn Jahren soll nur noch die Hälfte des französischen Stroms aus Atomkraftwerken kommen. Doch wie dieses Ziel erreicht werden soll ist völlig unklar.
- Zusammenbruch der Atomindustrie in Frankreich
3. Juli 2015 — Das Beispiel Frankreich belegt: Atomkraft führt in die Sackgasse. Derzeit decken 58 Meiler etwa 75% des Strombedarfs. Trotzdem steckt die Atombranche in einer tiefen finanziellen Krise. Die Politik will verstärkt auf Erneuerbare Energien setzen, es steht ein „gewaltiger Umbruch“ bevor. Vom Atomausstieg jedoch noch keine Spur.
Quellen (Auszug): deutschlandfunk.de, bzbasel.ch, energiezukunft.eu, tageblatt.lu; 13.10.2014, 23./26./27./29.10.2015