Eine Studie im Auftrag des französischen Netzwerks „Sortir du Nucléaire“ klassifiziert die Atomkraftwerke nach ihrer Bedrohung des Umlandes durch einen schweren Atomkraftwerksunfall. Dabei landete das jüngste deutsche AKW im weltweiten Vergleich aller 194 Reaktoren auf Platz 16.
Beim Referenzunfall in der Studie geht es um einen „Katastrophalen Unfall“ der Stufe 7 auf der INES-Skala, bei dem eine „meist komplette Zerstörung der Anlage“ angenommen wird und damit verbunden eine erhebliche Freisetzung des radioaktiven Inventars und Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt in einem weiten Umfeld. Der internationale Vergleich der Verletzlichkeit der Länder berücksichtigt die eventuelle Schaffung einer Sperrzone von 30 und 50 km im Umkreis von jedem der 194 Atomkraftwerke und betrachtet die in diesem Bereich lebenden Menschen.
In einer Analyse der Studie werden die strategische Schwäche und die Verletzlichkeit der Schweiz im Fall eines schweren Nuklearunfalls identifiziert. Ein Ereignis dieser Art würde „strategische Auswirkungen auf sozialer, wirtschaftlicher und politischer Ebene“ nach sich ziehen, schreibt der Genfer Geowissenschafter Frédéric-Paul Piguet, daher sei es „nötig, das Ausmass dieser Auswirkungen auszuloten“. Das dortige AKW Beznau landet in der Bedrohungs-Studie auf Platz 3, es ist das älteste der Welt.
Laut Piguet stellt sich im Ernstfall „die Frage nach dem Verschwinden von mehreren Kantonen“, da „deren politischer Betrieb auf unbestimmte Zeit praktisch unterbrochen wäre“. Er resümmiert: Dass einer der ältesten Atomreaktoren der Welt, der vor etwa 50 Jahren aufgrund eines unterdessen veralteten Sicherheitskonzepts gebaut wurde, und der sich in der Nähe der wichtigsten Schweizer Metropole befindet, weiterhin in Betrieb ist, „illustriert eine unverständliche Politik der nuklearen Sicherheit“.
Auch für Deutschland sind die Ergebnisse brisant, nicht nur weil nach einem GAU in der Schweiz die Radioaktivität über die Grenze getragen würde. Ausgerechnet das zuletzt in Betrieb genommene AKW Deutschlands, Neckarwestheim-2, steht im Ranking der deutschen Meiler ganz oben (Platz 16). Weil es der jüngste Reaktor ist, darf er laut Atomausstieg auch noch bis 2022 betrieben werden. Es folgen auf Platz 18 das AKW Philippsburg, auf Platz 22 dann Brokdorf. Das AKW Isar landete auf Platz 52 von 194 und schnitt damit „am Besten“ ab.
- weitere Informationen zur Analyse und Link zur Studie: http://atomausstieg.ch/?p=4353
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Quelle (Auszug): atomausstieg.ch, 12.10.2015