Extrem riskant, finanziell katastrophal und ernsthaft umweltschädigend: Unter dubiosen Umständen sollen in Finnland und Ungarn neue Atomkraftwerke gebaut werden. Unterlagen, die das Aus der Projekte bedeuten könnten, werden geheim gehalten.
„People Power Against Nuclear Power!“: Unter diesem Motto haben im Juni AtomkraftgegnerInnen in Finnland gegen den Neubau eines AKW protestiert. Unter zweifelhaften Umständen versuchen dort offenbar russische Investoren, mitten im Naturschutzgebiet das Reaktorprojekt „Pyhäjoki“ zu realisieren.
Fristgerecht zum 30. Juni, und damit in letzter Minute, hat das Atom-Konsortium „Fennovoima“ Bau- und Finanzierungspläne für den Reaktor im Norden des Landes eingereicht. Das Projekt ist schon längere Zeit in Planung, mittlerweile haben sich jedoch eine ganze Reihe von Investoren zurückgezogen.
In Europa ein Atomkraftwerk zu bauen ist nicht ganz leicht. Auf sämtlichen Baustellen explodieren die Kosten. Nach dem GAU von Fukushima wurden Sicherheitsnachrüstungen gefordert, die zusätzliches Geld kosten und die Fertigstellungen verzögern. Im finnischen Olkiluoto haben sich die Kosten für den Bau eines neuen Reaktorblocks bis heute auf fast 10 Milliarden Euro verdreifacht.
Unter den abgesprungenen Investoren für „Pyhäjoki“ befindet sich auch ein deutscher Atomkonzern. Ursprünglich wollte sich Eon an dem AKW-Projekt beteiligen, ist aber aufgrund zu hoher Kostenrisiken ausgestiegen. In der Folge erklärten russische Firmen ihre Bereitschaft zur Übernahme des Projekts. Aus Angst vor zu großem russischen Einfluss, beschloss das finnische Parlament daraufhin eine Mindestquote für europäische Investitionen in Höhe von 60 Prozent .
Unter den nun präsentierten EU-Investoren ist auch die kroatische Firma Migrit Solarna Energija, berichtet die Süddeutsche Zeitung (SZ). Sie will sich mit 158,5 Millionen Euro – und damit knapp neun Prozent – an dem AKW beteiligen. Im vergangenen Jahr machte die Firma aber gerade einmal 18.000 Euro Gewinn. Es gäbe „Hinweise, die nach Russland führen“, schreibt die SZ. Sollte es sich tatsächlich um russische Millionen handeln, wäre das Atomprojekt wohl einstweilen gescheitert. Eine Fristverlängerung oder gar ein zweiter Anlauf ist bislang nicht vorgesehen. Die Untersuchungen sind allerdings vorerst „streng geheim“.
- Update: Am Donnerstag, 16.7., hat die finnische Regierung das Finanzierungskonzept abgelehnt. „Hinter dem Unternehmen stehen in Wirklichkeit russische Finanziers“, begründete Wirtschaftsminister Olli Rehn sein Nein.
Paks-II: Falsche Daten, veraltete Berechungen, geheime Unterlagen
Am Standort Paks in Ungarn soll ebenfalls ein Atomkraftwerk mit zwei Reaktorblöcken gebaut werden. Auch hier wollen russische Firmen für die Realisierung sorgen. Die Planung des Projekts „basiere auf falschen Daten“ monieren AtomkraftgegnerInnen. Wie die Zeitung „Pester Lloyd“ berichtet, gäbe es in kürzlich veröffentlichten Geheimdokumenten Hinweise auf veraltete technische Berechnungen, unrealistische Kalkulationen zu Umsätzen und Baukosten sowie unabsehbare Folgen für Wasserwirtschaft und Umwelt.
Offenbar sind in der aktuelle Machbarkeitsstudie veraltete Daten von 2007 und 2008 für Strompreisprognosen, die heute „nicht notwendigerweise mehr gültig sein müssen“. Zudem könne das neue Kraftwerk dafür sorgen, dass Block 1 am Standort nicht mehr wirtschaftlich betrieben werden kann. Einbußen um „bis zu einem Drittel der Stromerzeugung“ könnten entstehen, weil das ungarische Stromnetz nicht in der Lage sei, die neu produzierten Strommengen aufzunehmen.
Andere Dokumente sollen belegen, dass die Wasserkühlung des neuen AKW „nicht ohne den Bruch von Wasser- und Naturschutzvorgaben erreicht werden könne“. Berechnungen hätten ergeben, dass sich das Wasser der Donau bis zur südlichen Grenze zeitweise auf bis zu 30 Grad Celsius erhitzen und sogar zu Notabschaltungen führen könnte.
Die Regierung lasse sich zu einem „extrem riskanten, finanziell katastrophalen und ernsthaft umweltschädigenden Projekt” hinreissen, „das zudem noch das gesamte ungarische Stromnetz gefährden könne“ urteilt Parlamentsabgeordneter Benedek Jávor. Er stellte die geheimen Dokumente über seine Website der Öffentlichkeit zur Verfügung.
Auf Basis der umstrittenen Daten läuft derzeit die länderübergreifende Umweltverträglichsprüfung für Paks-II. AtomkraftgegnerInnen fordern, dieses Verfahren zu unterbrechen bis alle aktuellen Unterlagen vorliegen.
weiterlesen:
- „Ich PA(C)KS nicht“ – Kampagne gegen AKW in Ungarn
12. Mai 2015 — Ungarn will den Ausbau der Atomkraft forcieren. Am einzigen AKW-Standort Paks sollen zwei russische Reaktorblöcke entstehen. Der Bauauftrag erfolgte ohne öffentliche Ausschreibung, viele Details sind geheim. Mit der Errichtung des weltweit neuen Reaktortyps würde der Ort quasi zu einem „Freilufttestgelände“.
- Finnland: TVO verschiebt Bau von weiterem AKW (Olkiluoto 4)
24. Mai 2014 — Während Ende März die Regierung in Finnland wegen dem Bauantrag für das AKW-Projekt Pyhäjoki kriselte, zu dem auch international Einwendungen möglich waren, hat nun der finnische Stromkonzern TVO eine Verlängerung der Frist zur Einreichung des Bauantrags für das AKW Olkiluoto 4 um fünf Jahre erbeten.
- Atomkraft spaltet finnische Regierung
17. März 2014 — Nach einem Bericht der Tiroler Tageszeitung droht Finnland wegen eines neuen Antrags auf Baubewilligung für das geplante Atomkraftwerk Pyhäjoki eine Regierungskrise.
Quellen (Auszug): sueddeutsche.de, pesterlloyd.net; 23.6./7.7.2015