Wie bereits an anderen AKW-Standorten werden ab heute auch in Brunsbüttel die Kritikpunkte gegen den geplanten Rückbau diskutiert. AtomkraftgegnerInnen fordern maximale Sicherheit für Anwohner und Beschäftigte. Betreiber Vattenfall will unter anderem große Mengen schwach strahlenden Bauschutt als „unbedenklich“ erklären und mehr Radioaktivität freisetzen, als während des Leistungsbetriebs des Kraftwerks.
In der für drei Tage angesetzen und nicht-öffentlichen Veranstaltung stehen 900 Einwendungen gegen die beantragte Abriss-Genehmigung im Fokus. Dabei geht es zum einen um den Rückbau des 2011 zwangsabgeschalteten Meilers aber auch um den Neubau eines Lagers für schwach- und mittelradioaktive Abfälle, welches Vattenfall am Standort plant.
KritikerInnen haben dem Konzern im Vorfeld vorgeworfen, einen „möglichst kostengünstigen“ Abriss anzustreben und dabei die nach Sicherheitskriterien erforderliche Sorgfalt zur Strahlenminimierung zu vernachlässigen. Ein „möglichst schneller Rückbau“ sei zwar zu begrüßen, die Entsorgung strahlenverseuchter Restlasten „auf Kosten der Umwelt und der Gesundheit von Anwohnern sowie Beschäftigten“ dürfe aber nicht bewilligt werden, fordert Karsten Hinrichsen von der Initiative „Brokdorf akut“.
Vattenfall hat unter anderem für den Rückbau höhere Abgabewerte von Radioaktivität über den Kamin beantragt, als beim Leistungsbetrieb. Wie bereits an anderen Rückbau-Standorten moniert fehlt auch in Brunsbüttel ein Gutachten über die gesamte zu erwartende Strahlenbelastung, alle zurzeit vorhandenen radioaktiven Stoffe auf dem AKW-Gelände und deren Verteilung. Nur daraus ließe sich „ein Gesamtbild über die Größenordnung der anfallenden nuklearen Abfallströme erstellen“, kritisierten schon AtomkraftgegnerInnen in Neckarwestheim, Philippsburg, Obrigheim oder Biblis.
Geplant ist in Brunsbüttel wie an anderen Standorten auch das „Freimessen“ großer Mengen Bauschutts. Nach Reinigung oder Vermischung mit konventionellem Schutt bis zur Unterschreitung des Strahlengrenzwertes soll das Abbaumaterial auf Deponien verklappt werden. AnwohnerInnen dieser Anlagen laufen Sturm, denn eine langfristige Gesundheitsgefährung kann nicht ausgeschlossen werden. Dass bei Vattenfall besonders der Umgang mit Atommüll kritisch begleitet werden muss, belegen die über 100 teilweise stark beschädigten Fässer mit radioaktiven Abfällen in Kavernen unter dem Kraftwerk.
Der Betreiberkonzern Vattenfall glänzte in der Vergangenheit nicht gerade mit Transparenz. Unter der Überschrift „Perspektive Brunsbüttel“ wirbt er nun, nur wenige Jahre nach dem umkämpften Aus seiner deutschen AKW, mit dem Motto „Hier startet die Energiewende“ für Bürgerbeteiligung… Nicht vergessen werden sollte dabei: Vor dem internationalen Schiedsgericht klagt der Konzern gegen die Bundesregierung um Schadensersatz für die Stilllegung von Brunsbüttel und Krümmel.
Bis 2017 soll eine Entscheidung über den Abriss fallen, für den vollständigen Rückbau rechnet Vattenfall mit 10 bis 15 Jahren und hat 1,7 Milliarden Euro aus Rückstellungen zur Verfügung. Ob die reichen werden ist bislang völlig unklar.
Aber immerhin: Anders als Beispielsweise in Obrigheim will Vattenfall vor Beginn der eigentlichen Abrissarbeiten alle Brennelemente aus dem Reaktorgebäude schaffen. Was eine wesentliche Forderung von KritikerInnen erfüllen würde. Denn damit „verschwinden“ über 90% der Radioaktivität aus dem gegen Terrorangriffe nachweislich unsicheren Gebäude in „weniger unsicherere“ elf bis zwölf Castorbehälter. Deren Verbleib ist wiederrum unklar, denn die Lagerhalle am AKW hat seine Genehmigung verloren…
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8. November 2014 — Die Zahl der stark beschädigten Atommüll-Fässer im stillgelegten Atomkraftwerk Brunsbüttel steigt weiter. Nach Angaben des Betreibers Vattenfall wurde zuletzt ein Lagerraum unter dem AKW kontrolliert, in dem sich 74 Fässer mit schwach- und mittelradioaktivem Abfall befinden. Davon seien 32 “stark beschädigt”. Zuletzt meldete Vattenfall im Oktober, dass mindestens jedes dritte Fass in den Lagerkavernen kaputt ist. Atomkraftgegner sehen ein Totalversagen bei Betreiber, Atomaufsicht und dem Entsorgungskonzept.
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26. Februar 2015 — Zu dem beantragten Abriss von Block 1 des baden-württembergischen Atomkraftwerks Philippsburg muss vor der Genehmigung durch die Behörden eine Öffentlichkeitsbeteiligung durchgeführt werden. Bis zum 12. April besteht die Möglichkeit, Einwendungen gegen die Pläne zu erheben.
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Quellen (Auszug): neues-deutschland.de, ndr.de, dpa, brokdorf-akut-de; 6.7.2015