Umweltministerin will Genehmigungsverfahren für WAA-Castoren aushebeln. Gorleben bleibt im Rennen. Von Armin Simon und Jochen Stay.
Brokdorf, Biblis, Philippsburg, Isar: In den Zwischenlagerhallen an diesen vier AKW-Standorten will Bundesumweltministerin Hendricks (SPD) von 2017 an Castoren mit mittel- und hochradioaktiven Abfällen aus den Wiederaufarbeitungsanlagen (WAA) in La Hague (F) und Sellafield (GB) einlagern lassen. In der Vergangenheit rollten alle diese Behälter mit verglasten WAA-Abfällen aus La Hague stets nach Gorleben. Dass die oberirdische Halle dort keine weiteren Castoren mehr aufnehmen muss, war vor zwei Jahren das Zugeständnis an Niedersachsen, mit dem sich Bund und Länder dessen Zustimmung zum Endlagersuchgesetz (und Mitarbeit in der Atommüll-Kommission) erkauften – dem Gesetz also, das, so befürchten viele, am Ende doch den Salzstock in Gorleben zum bundesweiten Lager für alle hochradioaktiven Abfälle machen soll.
Am Beispiel der 26 WAA-Castoren wollte die Politik zeigen, was „Neustart“ in der Atommülllagerfrage für sie heißt. Das Ergebnis ist in jeder Hinsicht entlarvend: Den Castor-Plan, von Hendricks mutig „Gesamtkonzept“ genannt, hat das Ministerium mehr oder weniger allein ausgeheckt, von einem Konsens gleich welcher Art kann keine Rede sein. Die BürgerInnen an den betroffenen Standorten haben von ihm erst erfahren, als er bereits fertig war – so viel zum Thema Mitbestimmung und Beteiligung. Selbst die Parteien sind darüber zerstritten. Die Länder stellen Bedingungen. Und die Betreiber, die eine Einlagerung letztlich beantragen müssen, haben bisher nicht mehr und nicht weniger zugesagt, als Hendricks’ Vorschlag zu prüfen. Sie ziehen ihre Klagen gegen das Einlagerungsverbot in Gorleben nicht zurück, sondern lassen sie lediglich ruhen – was ja die Drohung beinhaltet, sie jederzeit wieder aufzugreifen und weiterzuverfolgen.
Alle Zwischenlager sind unsicher
Faktisch erfüllt keine der 15 Zwischenlagerhallen bundesweit die geltenden Sicherheitsanforderungen, etwa gegen Flugzeugabstürze. In Brunsbüttel erklärten die Gerichte die Genehmigung deshalb für nichtig. Um die von Hendricks nun für den WAA-Müll auserkorenen Hallen steht es aber keinen Deut besser: Das Zwischenlager Brokdorf ist vom selben Bautyp wie das in Brunsbüttel. Und die Hallen an den Standorten in Biblis, Philippsburg und Isar haben nur etwa halb so dicke Wände und Decken.
Bei einem neuen atomrechtlichen Verfahren für die Hallen sähe es vermutlich schlecht für diese aus; sehr wahrscheinlich ist, dass sie ohne umfangreiche bauliche Nachrüstungen keine Genehmigung mehr erhielten. Hendricks will dies unter allen Umständen vermeiden. In ihrem Konzeptpapier sagt sie den AKW-Betreibern daher zu, dass keine Neu-Genehmigungen erforderlich seien, sondern nur Änderungsgenehmigungen, also quasi eine Light-Version. Auch eine Umweltverträglichkeitsprüfung soll es nicht geben. Und die für die Einlagerung im Zwischenlager Gorleben erstellten Unterlagen sollen im Prinzip unverändert auch für alle anderen Standorte gelten. Das Bundesamt für Strahlenschutz als Genehmigungsbehörde, verspricht Hendricks, werde sich an diese Vorgaben halten.
Heiße Zelle erst, wenn der Castor-Deckel schon undicht ist
Weiter soll die Behörde Hendricks’ Wunsch entsprechend bestimmte „Handhabungsstörfälle im Zwischenlager nicht mehr (…) unterstellen und entsprechende Szenarien nicht mehr (…) betrachten. Dies führt zu einer erheblichen Vereinfachung im Genehmigungsverfahren.“ Und auch der Bau von heißen Zellen, in denen defekte Castor-Behälter repariert und ihr Inhalt umgefüllt werden könnte, ist fürs erste vom Tisch. Es genüge ein „qualifiziertes Konzept“ dafür; der Bau selbst müsse erst dann in Angriff genommen werden, wenn der Deckel eines Castors undicht geworden sei.
All dies führt zu Abstrichen bei der Sicherheit. Hendricks agiert so, weil bei einem ordentlichen Genehmigungsverfahren AnwohnerInnen Klagerechte hätten und vor Gericht ein ähnliches Ergebnis wie in Brunsbüttel herauskommen könnte. Zum anderen geht es der Ministerin darum, Kosten zu vermeiden.
Denn im gemeinsamen Castor-Eckpunktepapier von Hendricks und den AKW-Betreibern steht: „Die Akzeptanz einer alternativen Zwischenlagerung der Wiederaufarbeitungsabfälle in standortnahen Zwischenlagern und auch die Rücknahme der Klagen stehen für die EVU unter dem Vorbehalt, dass eine für die EVU genehmigungsrechtlich und wirtschaftlich akzeptable sowie nach Aktienrecht vertretbare Lösung gefunden und rechtssicher implementiert wird.“ Zu Deutsch: Die Stromkonzerne wollen nicht zahlen.
Hat Bayern die Castoren verdient?
Während die Landesregierungen von Schleswig-Holstein, Hessen und Baden-Württemberg eher wohlwollend auf Hendricks‘ Pläne reagiert haben, sträubt sich Bayern vehement dagegen, neun Castoren im Zwischenlager des AKW Isar bei Landshut aufzunehmen. Die bayerische Staatsregierung stellt sogar eine Einigung bei strittigen Punkten in Sachen Energiewende in Frage. In Politik und Medien reagieren viele mit Unverständnis und Vorwürfen auf die bayerische Position. Schließlich habe das Land immer auf Atomkraft gesetzt und riesige Mengen Atommüll produziert. Da müsse es jetzt auch Verantwortung tragen.
Auf die bayerische Regierung bezogen ist das sicherlich nicht falsch. Aber es sind ja nicht Seehofer und Co, die die Castoren in ihren Garten gestellt bekommen. Betroffen sind die Menschen im Landkreis Landshut. Und die tun gut daran, sich gegen Hendricks‘ Plan zu wehren, die Castoren in eine unsichere Halle zu stellen und kein ordentliches Genehmigungsverfahren durchzuführen.