Erst demonstrierten die BI Lüchow-Dannenberg und .ausgestrahlt am 20. Juni vor dem Berliner Veranstaltungsort des sogenannten „Bürgerdialogs“ der Atommüll-Kommission gegen die fehlende Ernsthaftigkeit in der Bürgerbeteiligung. Im Anschluss an die Protestaktion fand die selbstorganisierte Tagung „Atommüll ohne Ende“ statt.
Nicht so voll wie die Veranstaltung der Kommission, zugegeben. Doch von den 200 TeilnehmerInnen beim „Bürgerdialog“ waren die meisten „Profis“, also Menschen, die sich beruflich mit Atommüll beschäftigen. Unter den 100 Menschen auf der Tagung von BI Lüchow-Dannenberg und .ausgestrahlt waren dagegen hauptsächlich engagierte BürgerInnen, die ich in ihrer Freizeit und auf eigene Kosten in Sachen Atompolitik engagieren. Einige BesucherInnen kamen sogar vom „offiziellen“ Bürgerdialog der Atommüll-Kommission herüber – so der niedersächsische Umweltminister Stefan Wenzel. Und auch einige SchülerInnen aus Lüchow, die sich beide Veranstaltungen ansehen wollten.
SchülerInnen aus Lüchow besuchten beide Veranstaltungen
„Man hatte jetzt schon das Gefühl, von der Kommission instrumentalisiert worden zu sein“, so der Kommentar von einem dieser Schüler, der auf der Atommüll-Tagung seine Eindrücke schilderte. „Wir wurden fast dauernd gefilmt“, berichtet er. Sein Mitschüler ergänzt: „Es waren überwiegend Anzugträger da. Wir durften viele Fragen stellen. Die Antworten waren aber oft ausweichend. Meistens haben wir sie gar nicht verstanden.“
Tag für Tag wird weiter Atommüll produziert
Leicht zu verstehen war hingegen auch für die SchülerInnen das Fazit der Atommüll-Tagung von .ausgestrahlt und BI: Verständigung und Beteiligung kann erst dann gut funktionieren, wenn auch das Unrecht beendet ist. Das Unrecht, dass immer noch Tag für Tag weiterer gefährlicher Atommüll produziert wird,Tag für Tag kritische BürgerInnen-Fragen unbeantwortet bleiben, Tag für Tag das Bedürfnis nach Sicherheit und Transparenz ignoriert wird. Die ReferentInnen der Tagung hatten unterschiedliche Schwerpunkte, mit denen sie diese und andere Widersprüche der Atommüll-Kommission beleuchteten und zugleich alternative Beteiligungsverfahren forderten.
Reinhard Ueberhorst, ehemaliger SPD-Bundestagsabgeordneter, jetzt wissenschaftlicher Berater und Autor, nahm vor allem Stellung zu den Fehlentwicklungen des angeblichen Beteiligungsprozesses und der Kommissionsarbeit:
– So sollte die Kommission ursprünglich das Standortauswahl-Gesetz überarbeiten. Mittlerweile ist es umgekehrt – die Kommission orientiert sich vorrangig an den im Gesetz vorgegebenen Parametern. So unterwirft sie sich dessen vorgegebenen Zeitplan (Abschlussbericht soll 2016, also vor der nächsten Bundestagswahl, fertig sein) und hat angeblich „keine Zeit“ für dringend notwendige, tatsächliche Prüfungen und Prozesse.
– Statt echte Beteiligung zu verfolgen, arbeitet die Kommission an der Vereinnahmung von BürgerInnen – und verspielt damit jedes Vertrauen. Echte Partizipation funktioniert nur mit einem umfassenden Prozess demokratischer Meinungs- und Willensbildung. Dazu gehört wesentlich die aufgeklärte Diskussion aller gesellschaftlichen Gruppen und Einzelpersonen.
– Das große Dilemma: Die derzeitige Vorgehensweise der Kommission provoziert vor allem eine Entsolidarisierung der Standort-BürgerInnen.
Ursula Schönberger (AG Schacht Konrad und Mit-Initiatorin von www.atommuellreport.de), sowie Claudia Baitinger (BUND Nordrhein-Westfalen) trugen Beispiele dafür vor, dass – ungerührt vom angeblichen „Neuanfang“ in der Debatte – Behörden und Energiekonzerne über die Köpfe der Bevölkerung hinweg, Fakten schaffen. Verantwortung wird zwischen den Akteuren hin- und hergeschoben; BürgerInnen werden bewusst herausgehalten, Probleme vertuscht:
– Erst nachdem Bürgerinitiativen 2013 selbst einen umfassenden Atommüll-Report veröffentlichen, schafft es auch endlich die Bundesregierung, eine Bestandsaufnahme zum bis dato produzierten Atommüll vorzulegen. Was dabei fehlt: Um welchen Müll handelt es sich genau? Welche Eigenschaften hat er? Welche Probleme bringt er mit sich? Fazit: Es gibt keine Bemühungen seitens der Politik, tatsächlich für Transparenz zu sorgen.
– 26 Castoren aus La Hague und Sellafield sollen bundesweit auf verschiedene Zwischenlager verteilt werden. Zu den nun getroffenen Entscheidungen gab es keine Gespräche mit den Ländern, es sind keine Umweltverträglichkeitsprüfung vorgesehen, keine Öffentlichkeitsbeteiligung. Und vor allem: Es gibt keine Konsequenzen aus den Brunsbüttel-Urteil, nachdem die Zwischenlager-Hallen nicht ausreichend gegen Flugzeugabstürze gesichert sind.
– Dazu gehört auch: Nach der Überarbeitung des „Nationalen Entsorgungsprogramms“ soll in Schacht Konrad viel mehr und ganz anderer Atommüll versenkt werden, als ursprünglich vorgesehen. Eine Neubewertung der dortigen geologischen Voraussetzungen ist dafür nicht vorgesehen. Fazit: Die Bedürfnisse der BürgerInnen nach Sicherheit und Beteiligung werden weiterhin ignoriert.
– Mit der geplanten Abspaltung ihrer Atomsparte ist Eon nur einer der Stromkonzerne, die vorrangig das Ziel verfolgen: die gesellschaftliche und finanzielle Verantwortung für den eigenen Atommüll schnellstmöglich abschütteln. Die Regierung tut dagegen weitgehend nichts.
– In Jülich lässt die staatliche Atomaufsicht verlautbaren, dass das Forschungszentrum selbst über den bisher gänzlich ungelösten Verbleib der 152 Castoren entscheiden solle. Fazit: Behörden schieben Verantwortung schlichtweg ab.
Ulrike Donat, Rechtsanwältin und Mediatorin, betont: Die Geschichte der Atomkraft ist eine Geschichte von Konflikten. Die Kommission jedoch tut so, als ob es diese nicht gäbe und will dringend in die Zukunft gucken. „So eine Zukunft ist auf Sand gebaut.“
– Einen echten Neuanfang kann es nur geben, wenn Konflikte aufgearbeitet werden: So die 40 Jahre andauernde, fortdauernde Kriminalisierung von AtomkraftgegnerInnen; die „durchsetzungsorientierten“ Bürgerdialoge der Vergangenheit; die Erfahrungen mit zwei havarierten „Endlagern“ Asse und Morsleben; die weiterhin ungeklärten Fragen zur Finanzierung der atomaren Altlasten; die Fragen nach AkteurInnen in Atomwirtschaft und -politik, die womöglich kriminell handelten oder NutznießerInnen waren.
– BürgerInnen haben immer zu Recht gezweifelt, immer die richtigen Fragen gestellt: Nach der Erdbebensicherheit, nach der Geologie, nach der Risikobewertung, nach den Müllmengen etc. – diese grundsätzliche „Zweifelskultur“ ist richtig. Für Sicherheit und Gesundheit der Bevölkerung zudem unabdingbar, auch künftig die Politik in dieser Weise „vor sich herzutreiben.“
– Das Thema Atommüll reicht wie kein anderes in die Zukunft. Daher lautet die zentrale Herausforderung auch, einen Generationentransfer zu gestalten. Echte BürgerInnenbeteiligung braucht Repräsentanten dieser Generation. Und sie braucht Kontrollmechanismen, damit Verfahren zur Entscheidungsfindung künftig fair ablaufen.
Fazit: Die Sicht der Kommission und die Sicht von uns AtomkraftgegnerInnen auf die aktuelle Atommüll-Politik und auf die Voraussetzungen für eine gesellschaftliche Verständigung klaffen weit auseinander. Umso notwendiger ist es, unsere Position immer wieder offensiv öffentlich zu machen und das Agieren der Kommission kritisch zu hinterfragen.