Der Streit um die Rückführung der Atommüll-Behälter aus Frankreich und England könnte beigelegt sein. Ende letzter Woche hat das Bundesumweltministerium verkündet: Nicht mehr Gorleben heißt das Ziel der künftigen Castortransporte, sondern Brokdorf, Philippsburg, Biblis und Landshut. Bayern gefällt das gar nicht. Und auch AtomkraftgegnerInnen jubeln nicht.
Der Anteil an Atomstrom ist im Bundesland Bayern der größte in Deutschland. Das Land ist schon immer Vorreiter beim Ausbau der Atomenergie gewesen, stellte mit Franz Josef Strauß den ersten „Atomminister“ der Nation, betrieb das erste Versuchskraftwerk in Kahl am Main und hat im Ländervergleich heute noch die meisten Meiler am Laufen. Das wird auch die Abschaltung vom AKW Grafenrheinfeld am kommenden Wochenende nicht ändern. Entsprechend produziert das Land in aktuell sechs Reaktoren an vier Standorten (dazu gehört auch das Forschungsreaktor München-Garching) auch den meisten Atommüll.
Doch mit den Castoren aus der Wiederaufarbeitung will die Landesregierung nichts zu tun haben. Staatskanzleichef Marcel Huber drohte nun mit „einem Scheitern der ganzen Energiewende“, CSU-Chef Horst Seehofer sprach von einer „Regelverletzung“. Der Landshuter Landrat Peter Dreier (Freie Wähler) drohte mit einer Klage und „massiven Widerstand“ gegen die Atomtransporte, sollten sie tatsächlich in Richtung des AKW Isar rollen. Er wolle „alle rechtlichen Mittel dagegen“ ausschöpfen, denn er befürchtet, „dass hier durch die Hintertür ein Endlager für Atommüll bei Niederaichbach“ geschaffen werden solle.
Zu einem vergleichbaren Reflex ließ sich bereits im April 2013 Philippsburgs Bürgermeister Stefan Martus (CDU) nach dem Eingeständnis seiner Landesregierung zur Aufnahme des Atommülls hinreißen: Er konnte sich vorstellen, „generalstabsmäßig“ Widerstand gegen den Castor zu organisieren. Es gebe „einen großen gesellschaftlichen Konsens“, wonach sein Ort die Risiken des Atommülls aus dem AKW Philippsburg tragen wolle. Nicht aber zusätzlichen Müll.
AtomkraftgegnerInnen aus Bayern kritisieren ihre Regierung: Das Land sei „gezwungen, seinen Atommüll zwischenzulagern“. Die Gefahren würden durch diese Verweigerungshaltung nicht kleiner. Vielmehr gelte es, die Produktion neuen Atommülls schneller zu beenden. Zudem seien die derzeitigen Zwischenlager in Grafenrheinfeld, Gundremmingen und Isar „viel zu unsicher gebaut“, attestiert Raimund Kamm vom der Bürgerinitiative „FORUM Gemeinsam gegen das Zwischenlager und für eine verantwortbare Energiepolitik e.V.“ aus Gundremmingen. Bayern brauche „ein bis zwei neue, wesentlich sicherer gebaute Zwischenlager“. An der jetzigen Misere sei das Land zudem selbst Schuld, denn jahrzehntelang sei „die wissenschaftsbasierte Suche nach einem tiefengeologischen ‚Endlager‘ behindert“ und damit „der Zwang zur großen und gefährlichen Zwischenlagerung“ geschaffen worden, so Kamm.
Auch das Wendland kann diese Entscheidung nicht feiern. Es habe zwei Jahre bis zu dieser Regelung gedauert, das sei ein „schlechtes Omen für die Bereitschaft der Bundesländer, auch bei sich die Suche nach einem ‚Endlager‘ zuzulassen“, so Wolfgang Ehmke, Sprecher der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg (BI). Zudem dürfe nicht vergessen werden, dass bereits mehr als 100 Castoren in Gorleben stehen, aktuell ginge es „nur“ um 26.
Andere Antiatom-Initiativen haben sich in der Vergangenheit bereits grundsätzlich kritisch zu den geplanten Transporten geäußert: Ohne ein Atommüll-Lager, wo der strahlende Abfall „sicher“ über tausende Jahre verwahrt werden könne, laute die Parole: „niX rein, niX raus!“
- Stellungnahme u.a. der BI Lüchow-Dannenberg im Video: Neue Zwischenlager statt Castor-Transport, Hallo Niedersachsen – 19.06.2015
weiterlesen:
- Pressemitteilung von .ausgestrahlt:
Mit Hendricks Plan ist der Castor-Streit noch nicht gelöst. Technische, politische und juristische Fragen weiter völlig ungeklärt. Neue Proteste drohen
- Sicherheitsüberprüfungen und Einlagerungsstopp für Castor-Zwischenlager
4. März 2015 — Nach der Aufhebung der Genehmigung für das Castor-Zwischenlager am Atomkraftwerk Brunsbüttel fordern AtomkraftgegnerInnen Konsequenzen für alle anderen vergleichbaren Lagerhallen in Deutschland. Es müssten unverzüglich „Sicherheitsüberprüfungen“ durchgeführt werden, fordert der BUND. Würden die Behörden die Problematik ernst nehmen, hätte das weitreichende Folgen.
- Keine Lösung für Deutschlands größtes Atommüll-Lager
21. April 2015 — AtomkraftgegnerInnen aus dem Süden schlagen Alarm: Am Standort Gundremmingen befindet sich das größte Atommüll-Lager Deutschlands und die „Entsorgung“ der strahlenden Altlasten ist völlig ungewiss. Es bestätige sich die Befürchtung, „dass die Zwischenlager faktisch zu Endlagern werden“.
Quellen (Auszug): handelsblatt.com, sueddeutsche.de, bi-luechow-dannenberg.de, tz.de; 19./20./22.6.2015