Von einer „Bestie“ spricht die „Süddeutsche Zeitung“ (SZ): Es handelt sich um Reaktorblock 4 des ukrainischen Atomkraftwerks Tschernobyl. Am 26. April 1986 war der Meiler in der Folge eines Experiments explodiert und hatte tausende Quadratkilometer Landschaft unbewohnbar gemacht und die Menschen verstrahlt. Nach einem Besuch beschreibt die SZ die Situation auf dem Kraftwerksgelände 29 Jahre nach dem Super-GAU. In Deutschland werden am kommenden Sonntag anlässlich des Jahrestages der Katastrophe wieder zahlreiche Menschen für den Atomausstieg protestieren.
In aller Eile hatten damals hunderttausende sogenannten „Liquidatoren“ einen „Sarkophag” über den Reaktorblock errichtet, womit der weitere Austritt von Radioaktivität zumindest eingedämmt werden sollte. Das Bauwerk besteht bis heute und ist alles andere als sicher. Im Innern sollen sich Schätzungen zufolge zwischen 150 bis 180 Tonnen der insgesamt rund 190 Tonnen hochradioaktiven Reaktorkernmasse befinden. Nach der Kernschmelze liegt es teils in Form von Corium oder Staub und Asche vor.
Ab 2017 soll ein völlig neues Dach diesen Sarkophag nicht ersetzen, sondern wie eine luftdichte Hülle darüber gestülpt werden. Das „New Safe Confinement“ ist mit 260 Metern Breite und 110 Metern Höhe die „größte bewegliche Struktur, die je an Land gebaut wurde“, erklärt der Chefingenieur Nicolas Caille in der SZ. Sie wird neben dem Reaktor gebaut und soll dann auf Schienen darüber gefahren werden. Die Haltbarkeit gibt der Konstrukteur mit einhundert Jahren an, in diesem Zeitraum sei der Reaktor hermetisch von der Umwelt abriegelt. Selbst bei einem Zusammensturz des Gebäudes im Innern soll angeblich keine Radioaktivität nach Außen gelangen können.
Das alles hat natürlich seinen Preis: Das Projekt ist öffentlich finanziert und soll nach aktuellen Schätzungen 2,15 Milliarden Euro kosten. 615 Millionen mehr, als noch vor gut zehn Jahren veranschlagt wurden. 40 Länder finanzieren bislang das Projekt, doch es fehlen aktuell noch 100 Millionen Euro. Kürzlich sagte die deutsche Bundesregierung weitere 18 Millionen Euro zu.
Doch was kommt nach dem neuen Dach? Es ist unklar, wie die eigentliche Beseitigung der Reaktortrümmer unter dieser Hightech-Hülle geschehen kann. Fast 30 Jahre nach dem Super-GAU gibt es kein Konzept, einen explodierten und zerschmolzenen Meiler zu „entsorgen“. Zudem muss die neue Schutzhülle mit enormen technischen Aufwand in Betrieb gehalten werden. Ein Unterdruck im Innern verhindert radioaktive Freisetzung, zwischen zwei Hüllen muss immer eine bestimmte Luftfeuchtigkeit herrschen, sonst würde das Bauwerk verrosten.
Doch der havrierte Reaktorblock 4 ist nicht die einzige Baustelle auf dem Gelände. Es lagern etwa 24.000 Tonnen Atommüll, tausende hochradioaktive Brennelemente in Lagerbecken und müssen „entsorgt“ werden. Nach gescheiterten Versuchen sollen sie nun für die kommenden hundert Jahre in Löchern auf dem AKW-Gelände versenkt werden…
Es liegt nahe, zu befürchten, dass die von Krieg und Wirtschaftskrise gepeinigte Ukraine mit all dem überfordert sein wird, resümmiert die SZ am Ende ihres Reiseberichts.
In Deutschland werden am kommenden Sonntag wieder tausende Menschen auf die Straße gehen oder sich anderweitig für einen schnelleren Atomausstieg engagieren. Denn nur die Stilllegung der Atomkraftwerke bedeutet einen tatsächlichen Schutz gegen weitere schwere Unfälle mit verheerenden Folgen wie in Tschernobyl!
- zum Artikel in der Süddeutschen: „Atomruine von Tschernobyl – Ein Käfig für die Bestie“
weiterlesen:
- Hintergrund zur Tschernobyl-Katastrophe von 1986
Wie kam es vor 29 Jahren zur Katastrophe von Tschernobyl und mit welchen Folgen für die Menschen?
- Hintergrund: Die Unsicherheit von Atomkraftwerken
Alle AKW sind „sicher“ – behauptet die Bundesregierung. Das stimmt leider nicht.
- 30 Jahre nach Tschernobyl: Verstrahlte Pilze & Wildschweine
3. Dezember 2014 — Dass vor allem in Süddeutschland Wildpilze, Waldbeeren und Wildfleisch noch teilweise gefährlich hoch mit radioaktivem Cäsium belastet sind, belegen Untersuchungen des Umweltinstitut München. Fast 30 Jahre lang sammelt das Institut seit dem GAU von Tschernobyl Messergebnisse und stellt nun eine interaktive Landkarte zur Verfügung.
Quellen (Auszug): sz.de, de.wikipedia.org; 27.3./22.4.2015