Die belgische Atomaufsicht spricht von einem „Problem für den ganzen Nuklearsektor“: In den Reaktordruckbehältern der beiden Atomkraftwerke Doel-3 und Tihange-2 waren bereits im Sommer 2012 tausende Risse gefunden worden. Eine neue Analyse ergab, dass es sich um noch größere Schäden handelt als bislang bekannt. AtomkraftgegnerInnen fordern nun weltweite Untersuchungen.
Laut der neuen Analyse seien es „deutlich mehr Risse, als bisher bekannt”. Im Herzstück des besonders betroffenen Reaktors Doel-1 befinden sich rund 13.047 Risse, bei Tihange 2 seien es 3.149 Risse. Es handle sich „möglicherweise“ um ein „weltweites Problem für den ganzen Nuklearsektor“, so Jan Bens, Chef der staatlichen Atomaufsicht FANC. Unterstützung findet er bei den beiden Wissenschaftler, die die neue Analyse durchführten. Es sei ein „bisher unbekanntes Phänomen der Materialermüdung“, diese „Korrosionsaspekte wurden unterschätzt“, so die renommierten Wissenschaftler.
„Wie so oft bei Atomkraftwerken wurde die Tragweite des Problems offensichtlich verkannt“, kommentiert Heinz Smital, Kernphysiker und Atomexperte von Greenpeace in Deutschland. „Es ist dringend notwendig, die Risse im Metall ernster zu nehmen als bisher.“
Belgien ging mit dem Problem nämlich schlampig um: Erste Informationen über die Risse existieren seit Sommer 2012 nach der Durchführung einer neue Messmethode, der „Intercontrole“ von der französischen Firma Areva. Doch nach einer ersten Auswertung der Ergebnisse wurden beide Kraftwerke wieder in Betrieb genommen. Erst nach weitere Tests im Juli 2014 wies die Atomaufsicht den Betreiber an, wieder abzuschalten. Zur Zukunft der Meiler gibt es widersprüchliche Aussagen. Kritiker vermuten aber, dass sie nie wieder ans Netz gehen können. Greenpeace fordert darüber hinaus, nun alle „439 Reaktoren in der ganzen Welt genau zu überprüfen“. Das empfiehlt auch der Chef der belgischen Atomaufsicht.
Auch andere AtomkraftgegnerInnen in Deutschland fordern von den zuständigen Atomaufsichtsbehörden, diese speziellen Tests durchzuführen. Besonders das bayrische AKW Grafenrheinfeld und das AKW Grohnde in Niedersachsen müssten unverzüglich abgeschaltet und untersucht werden sowie die Ergebnisse dann der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Bislang hatten die deutschen Behören eine Zusammenhang mit den neun noch laufenden Atomkraftwerken verneint. Denn alle Anlagen mit vergleichbaren Reaktorbehältern von einem Hersteller aus den Niederlanden (Brunsbüttel, Philippsburg-1) sind bereits stillgelegt worden.
Die Behörden überwachen eine Risikotechnologie, die in jedem Augenblick absoluter Sicherheit bedarf. Da zur Zeit niemand die Garantie geben kann, dass die deutschen Atomkraftwerke bis zum Ende ihrer Laufzeit durchhalten werden, müssen sie umgehend abgeschaltet werden.
Als Reaktion auf die Missstände in Belgien haben AtomkraftgegnerInnen für den 15. März eine Demonstration in Tihange angekündigt. In Deutschland finden anlässlich des Fukushima-Jahrestages im März zahlreiche Protestaktionen statt, die größten wohl in Neckarwestheim (8. März) und Düsseldorf (14.März).
- weitere Infos zur Demo am 15.3. in Belgien: www.stop-tihange.org
- Übersicht zu den Protestaktionen in Deutschland: www.ausgestrahlt.de/mitmachen/fukushima-mahnwachen.html
weiterlesen:
- contratom.de – Tausende Risse: Zwei belgische Atomkraftwerke vor dem endgültigen Aus?
25. August 2014 – Zwei der sechs belgischen Atomkraftwerke stehen möglicherweise vor dem endgültigen Aus. Dank neuer Messtechnik waren vor zwei Jahren tausende mögliche Rissen im Reaktorbehälter der Meiler Doel-3 und Tihange-2 festgestellt worden, nun haben Zwischenergebnisse neuer Tests „nicht die erwünschten Resultate erbracht”. Baugleiche Reaktorbehälter finden sich in der ganzen Welt, ein systematischer Fehler und damit die Übertragung auf andere AKW wird nicht ausgeschlossen.
- Belgien: Trafo-Explosion im Atomkraftwerk Tihange
1. Dezember 2014 — Im belgischen Atomkraftwerk Tihange ist gestern ein Transformator explodiert und hat für die Notabschaltung des Reaktors gesorgt. Erinnerungen werden wach an das niedersächsische AKW Krümmel, dass nach einem vergleichbaren Unfall letztlich nicht wieder in Betrieb genommen werden durfte.
- Atomkraft in Belgien
Ein Atomausstiegsgesetz, ein Beschluss zur Laufzeitverlängerung, massive Sicherheitsprobleme in zwei Uralt-AKW – und keiner weiß, wann wirklich mal eines vom Netz geht.
Quellen (Auszug): taz.de, greenpeace.de, grohnde.wordpress.com; 17./19.2.2015