Verrostete und beschädigte Atommüllfässer, aus denen der Inhalt teilweise ausgelaufen ist. Umfangreiche Bergungskonzepte und unklare Entsorgungslösung. Im schleswig-holsteinischen AKW Brunsbüttel schien sich der Höhepunkt des Entsorgungsdesasters anzubahnen. Doch eine Recherche des NDR ergab: An anderen Orten ist der Zustand der Atommüllfässer nicht besser – sondern hat eher System.
Es seien von bundesweit insgesamt 85.000 Atommüllfässern „deutlich mehr beschädigt als bislang angenommen“. Das ist das Ergebnis einer Umfrage von Panorama 3 unter den Aufsichtsbehörden aller 16 Bundesländer. Fast 2.000 entdeckte Fälle von verrosteten oder anderweitig beschädigten Behältern mit Atommüll an mindestens 17 Standorten verzeichneten die Behörden in den vergangenen Jahren. Betroffen sind neben Atomkraftwerken auch Zwischenlager und Landessammelstellen.
Zur Zeit habe das Bundesumweltministerium (BMUB) aber noch nicht mal alle Daten beisammen. In Brunsbüttel etwa laufen die Untersuchungen von Lagerkammern noch. Man könne „noch nicht sagen, wann wir alle Daten zusammen haben“, so Jochen Flasbarth, verantwortlicher Staatssekretär im BMUB. Eines ist aber schon klar: Besonders problematisch ist die Situation im größten oberirdischen Zwischenlager in Karlsruhe. Hier fanden Prüfer bei Kontrollen mehr als 1.700 beschädigte Behälter mit radioaktivem Müll.
Ein Auszug aus den Recherchergebnissen des NDR:
- Forschungszentrum Karlsruhe: Bis 2014 wurden 1.692 Fässer und 121 Container mit Korrosionserscheinungen entdeckt. Insgesamt lagern dort 57.982 Kubikmeter Atommüll.
- AKW Brokdorf: Mehrere Fässer mit Atommüll wiesen im Jahr 2001 Korrosionsschäden auf.
- AKW Brunsbüttel: 38 Atommüllfässer weisen starke Auffälligkeiten auf (Wanddurchdringende Korrosion, Austritt von Fassinhalt, Deckel lose). Insgesamt hat Betreiber Vattenfall bislang von 631 Fässern 136 gefunden, die betroffen sind. Die Untersuchungen laufen aber noch bis Jahresende.
- Geesthacht – Landessammelstelle Schleswig-Holstein: 16 Fässer sind wegen Unregelmäßigkeiten aufgefallen, davon hatte ein Teil Korrosionsschäden.
- Leese (Niedersachsen): 2013 wird ein durchgerostetes Fass mit Atommüll entdeckt. Weitere Fässer weisen Korrosionsspuren auf.
- Neckarwestheim: 2012 wird ein Fass mit einer Wölbung der Außenbeschichtung entdeckt.
- Obrigheim: Drei Fässer mit Rost-Stellen werden 2013 entdeckt.
- Ellweiler Landessammelstelle Rheinland-Pfalz: Vier korrodierte Endlagerfässer wurden 2009 entdeckt.
- Hanau & AKW Biblis: An beiden Standorten wiesen in der Vergangenheit mehrere Lagerbehälter mit Atommüll Korrosionsschäden auf.
- Landessammelstelle Berlin: Es wurden vereinzelt Fässer oder undichte Behälter entdeckt.
- Endlager Morsleben: 1996 wurden Korrosionsschäden an einem 200-Liter-Fass mit Radiumabfällen festgestellt.
Doch dass diese offiziell dokumentierten Schäden nur „die Spitze des Eisbergs“ seien, meinen sogar Experten: Michael Sailer, Atomexperte des Öko-Instituts, erwartet etwa, „dass man bei genauerer Inspektion in verschiedenen Lagern weitere Korrosionen findet.“ Im März meinte er, dieser Missstand könne in jedem Zwischenlager eintreten, sei „bloß nicht überall so offensichtlich wie in Brunsbüttel“. Darüber hinaus wird sich das Problem in Zukunft verschärfen: Die Einlagerung radioaktiver Abfälle wurde in der Vergangenheit oft falsch oder nur unzureichend dokumentiert. Die genaue Art und Zusammensetzung des strahlenden Mülls ist vielerorts unklar. Und wo Fässer dicht an dicht gestapelt sind, ist die Kontrolle sehr schwierig.
Perfide Begründung für desaströse Zustände
Die Betreiber versuchen das eigene Versagen zu zerreden: In Karlsruhe spricht die zuständige Firma WAK GmbH etwa davon, dass es sich bei den beschädigten Fässern um „weniger als zehn Prozent“ des Inventars handelt. Gesellschafterin der WAK GmbH ist die bundeseigene Energiewerke Nord GmbH (EWN). Brunsbüttel-Betreiber Vattenfall verglich das Problem, die kaputten Fässer aus den unterirdischen Kavernen zu bergen, mit einem Getränkekasten „wo man die Flaschen am Deckel nicht mehr anheben kann“. Und die Begründung der Betreiber für diese desaströsen Zustände ist perfide: Man hatte damals eine zügige Inbetriebnahme des Endlagers Schacht Konrad und damit die Lagerzeiträume in den eigenen Hallen deutlich kürzer erwartet. Mit dem Einlagerungsbeginn in Konrad wird heute offiziell nicht vor 2022 gerechnet.
Jetzt seien „Konsequenzen aus den unhaltbaren Zuständen in Sachen Atommüll“ nötig, fordert Jochen Stay, Sprecher von .ausgestrahlt. Wenn selbst schwach radioaktive Abfälle nicht einmal über wenige Jahrzehnte sicher gelagert werden könnten, dann sei es an der Zeit, die weitere Produktion von Atommüll zu beenden. Das gelte sowohl für die neun noch laufenden Atomkraftwerke, die Brennelementefabrik in Lingen, wie auch für die gigantische Mengen Müll produzierende Urananreicherungsanlage in Gronau.
- zur heutigen Pressemitteilung von .ausgestrahlt: „Die Hiobsbotschaften in Sachen Atommüll häufen sich“
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Quellen (Auszug): panorama/ndr.de, ausgestrahlt.de; 18.11.2014