Im Block C des bayrischen Atomkraftwerks Gundremmingen hat es einen „technischen Fehler“ gegeben. Die Leistung musste reduziert werden. AtomkraftgegnerInnen fordern die sofortige Stilllegung der letzten noch in Betrieb befindlichen Siedewasserreaktoren in Deutschland.
Auf seiner Webseite meldet der Betreiber RWE heute morgen um kurz nach 10.00 Uhr in der Rubrik „Kraftwerksausfälle“ eine Leistungsabsenkung um 420 Megawatt (MW). Weitere Informationen sind bislang nicht bekannt. Der Reaktorblock C hat eine Leistung von 1.300 MW.
AtomkraftgegnerInnen fordern in diesem Zusammenhang erneut eine sofortige Stilllegung der letzten beiden noch in Betrieb befindlichen Siedewasserreaktoren Deutschlands, die sich in Gundremmingen befinden. Dieser Reaktortyp hat nachweislich geringere Sicherheitsreserven als die sonst noch betriebenen Druckwasserreaktoren. Nicht ohne Grund sind alle anderen Meiler dieses Typs nach Beginn der Reaktorkatastrophe von Fukushima abgeschaltet worden.
Laut Atomausstiegsbeschluss sollen die Blöcke noch bis 2017 bzw. 2021 betrieben werden. Mit „massiven Sicherheitsproblemen“, attestieren Experten: In einer 60-seitigen Stellungnahme notiert die GRS, dass „die Anlage für den Fall eines Bemessungserdbebens die Anforderungen“ nach den geltenden wie bisherigen technischen Regeln “nicht erfüllt”. Streitpunkt sind die Not- und Nachkühlsysteme, die gewährleisten müssen, dass der Reaktor bei einem Störfall nicht überhitzt. Zwar verfügen die Blöcke über je vier solcher Kühlstränge. Doch zwei seien baugleich und könnten durch eine einzige Ursache ausfallen. Das dritte Rohrsystem ist nicht erdbebensicher. Das Vierte genügt den Qualitätskriterien für Sicherheitssysteme nicht. Auch der Tüv Süd bestätigt diese Aussage.
Alle denkbaren Naturereignisse und technischen Störungen dürfen nicht zur Havarie einer Atomanlage führen. Dazu gehört auch, dass die zwei Reaktoren in Gundremmingen ein Erdbeben, das alle 100 000 Jahre auftritt, sicher überstehen müssen. Und das ist nicht der Fall, so Professor Wolfgang Renneberg, Physiker, Jurist und zehn Jahre lang Abteilungsleiter Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium. Seine Kritik geht noch weiter: es fehlen auch Nachweise für Sicherheit bei einem 10.000-jährigen Hochwasser. Um in diesem Fall zum Beispiel von einem Gebäude zum anderen zu kommen, plane man, Boote einzusetzen. Es sei “nicht belegt”, ob die Folgen eines Hochwassers und Erdbebens beherrscht werden, was nach dem Regelwerk vorgeschrieben sei.
Laut Rennenberg gibt es in Gunremmingen aber auch weitere massive Sicherheitsprobleme: Der Reaktordruckbehälter entspreche längst nicht mehr dem verlangten Stand von Wissenschaft und Technik. Die Schwachstelle ist die gekrümmte Bodenkalotte, die mit dem Bau angeschweißt wurde. Schon damals vor 30 Jahren gabe es Zweifel, ob die Schweißnaht dem Druck von 70 bar gewachsen ist, so Renneberg. Inzwischen hätten zahlreiche Tests der TU Berlin ergeben, dass in dem Stahlteil Spannungen bis zur Elastizitätsgrenze auftreten – Risse sind damit “unvermeidlich”. Eine Überprüfung ist nicht möglich, da Pumpenstutzen in diesem Bereich eine lückenlose Kontrolle verhindern. Diese schreibt das kerntechnische Regelwerk aber zwingend vor.
Huber: Kraftwerk ist sicher
Bayerns Umweltminister Huber beschwichtigte im März alle Zweifler: die Nachweise lägen vor und die Kühlsysteme würden die „Sicherheitsanforderungen vollständig erfüllen“. Professor Renneberg, die gemeinnützige Organisation GRS, die seit 1976 vor allem für die Atomaufsichtsbehörden Atomkraftwerke prüft und der Tüv widersprechen: Die Regeln müssen eingehalten werden. Sie sind ausschlaggebend für den Weiterbetrieb eines Kraftwerks.
Schon im März hatten AtomkraftgegnerInnen wegen der Zweifel die sofortige Stilllegung der Kraftwerke gefordert. Denn keine Technologie ist wie die Atomkraft in der Lage, nach einem GAU durch etwa die Verkettung von Defekten oder menschliches Versagen ganze Landstriche unbewohnbar zu machen. Zudem ist kein Gramm Atommüll sicher entsorgt – und Gundremmingen ist das derzeit größte Zwischenlager Deutschlands…
Seit 30 Jahren in Betrieb
Mit Stolz verkündete kürzlich der Betreiber, dass Block C „seit drei Jahrzehnten Strom“ produziere. Am 2. November 1984 wurde der Meiler erstmals mit dem Stromnetz verbunden. Ein weiteres Problem, denn mit dem Alter steigt das Risiko schwerer Unfälle. 66 der 151 europäischen AKW sind bereits älter als 30 Jahre, einige sind schon mehr als 40 Jahre am Netz. Ein im März von Greenpeace veröffentlichter Report zeigt, dass mit dem Alter die Gefahr eines schweren Unfalls stetig steigt. Durch Nachrüstungen und Reparaturen lässt sich das Problem nicht lösen. Langfristig verschlechtert sich der Gesamtzustand von Atommeilern durch Materialermüdung und Verschleiß. Die Bauteile mit der größten Relevanz für die Sicherheit – etwa der Reaktordruckbehälter – können nicht ausgetauscht werden.
Bayern klammert sich an das AKW, weil das Land jahrzehntelang auf eine falsche Energiepolitik gesetzt hat. Das ist Kalkül zu Lasten der Sicherheit der Menschen in Deutschland und den angrenzenden Ländern. Nach diesem aktuellen Störfall muss Gundremmingen wegen der massiven Sicherheitsdefizite sofort stillgelegt werden!
weiterlesen:
- Bayern hält AKW Gundremmingen für “sicher”
22. April 2014 – Im Gegensatz zu seinem baden-württembergischen Amtskollegen hält Bayerns Umweltminister das Atomkraftwerk Gundremmingen für “sicher”.
- AKW Gundremmingen: Baden-Württemberg will vorzeitiges Ende´
18. April 2014 – Die grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg fordert aufgrund von Sicherheitsdefiziten eine vorzeitige Stilllegung des Atomkraftwerks Gundremmingen. Ein entsprechendes Schreiben habe die Landesregierung an Bayern gesandt. AtomkraftgegnerInnen warnen ebenfalls vor Risiken und fordern die sofortige Stilllegung der zwei Siedewasserreaktoren.
Studien:
- 06.03.2014: Gefahr für Europa: Alternde AKWs
Greenpeace-Studie offenbart Gefahren durch überalterte Atom-Reaktoren - 10.07.2013: Kein AKW gegen Flugzeugabstürze geschützt
Schon mittelgroßer Flieger kann Super-GAU auslösen - 29.04.2011: Unversicherbares Risiko
Warum AKW keine ausreichende Haftpflichtversicherung haben
Quellen (Auszug): rwe.com, 8.11.2014 / swp.de, 29.04.2014