.ausgestrahlt hat sich wie fast alle mit dem Thema Atommüll befassten Umweltverbände und Initiativen dagegen entschieden, einen der beiden für die Umweltverbände vorgesehenen Plätze in der Atommüll-Kommission einzunehmen. Trotzdem wollten wir uns aus erster Hand informieren, wie die Kommission läuft. Denn wenn schon Kritik, dann am besten aus eigenem Erleben. Deshalb verfolgt .ausgestrahlt-Sprecher Jochen Stay als „ständiger Beobachter“ die Sitzungen der Kommission. Hier seine Eindrücke von der vierten Sitzung der Kommission am 22. September 2014 in Berlin:
Unions-Lücken
Wie schon in der letzten Sitzung sind die Reihen der Unions-Vertreter besonders gelichtet. Diesmal fehlen Marcel Huber (CSU), Reiner Haseloff (CDU), Stanislaw Tillich (CDU).
Transparenz-Temperatur unter Null
Hat die Kommission bisher von Sitzung zu Sitzung kleine Fortschritte in Sachen Transparenz gemacht, so gibt es diesmal quasi den Super-GAU in Sachen Information der Öffentlichkeit. Wenn bei einer Sitzung, zu der ZuschauerInnen eingeladen sind und die live im Internet übertragen wird, die wesentlichen Beratungs-Grundlagen nur als Tischvorlagen für die Kommission-Mitglieder ausliegen und so die ganze Debatte für alle anderen völlig unverständlich wird – dann kann man das Ganze auch gleich sein lassen.
Das Fehlen der Unterlagen ist kein Lapsus, sondern Absicht. Auf meine Intervention bei der Bundestagsverwaltung, ob es möglich sei, die Papiere zumindest für die ZuschauerInnen vor Ort zu kopieren, wird dies nach Rücksprache mit den Vorsitzenden der Kommission abgelehnt, mit der Begründung, diese Papiere sollten erst nach der Sitzung öffentlich werden.
Erschreckend auch, dass niemand aus den Reihen der angeblich „kritischen“ Kommissionsmitglieder es für nötig hält, diese Kopien für die ZuschauerInnen oder ein Hochladen der Datei im Internet einzufordern, bevor die Debatte der Kommission fortgesetzt wird. Es wird nur höflich darum gebeten, es das nächste Mal besser zu machen.
Leitbild-Debatte
Der Vorsitzende Michael Müller (SPD) bringt einen 13-seitigen Entwurf für ein Kommission-Leitbild als Tischvorlage ein. Die Diskussion darüber ist davon geprägt, dass dieses Papier fast niemand gelesen hat. Deshalb spricht hauptsächlich Müller selbst. Sein philosophischer Vortrag war geprägt von Name-Dropping, so nach dem Motto: „Schaut mal, welche klugen Bücher ich schon alle gelesen habe.“ Blöd nur, wenn die meisten Kommissions-Mitglieder diese Bücher nicht gelesen haben und deshalb nichts damit anfangen können, wenn statt eine These zu erläutern nur der Urheber der These genannt wird.
Dementsprechend beschäftigte sich die Runde während Müllers Vortrag hauptsächlich mit ihren Smartphones und Tablets: Abarbeiten von E-Mails und Lektüre aktueller Nachrichten. Langeweile macht sich breit …
Als dann doch einige versuchen, etwas zur Leitbild-Debatte beizutragen, beschwert sich Müller, wie sie denn über ein Papier diskutieren können, das sie noch gar nicht gelesen haben. Der Tagesordnungspunkt heißt übrigens: „Diskussion des Leitbildes der Kommission.“
„Lösung in dieser Generation“?
Die Vertreter der Atomwirtschaft, Thomauske und Jäger, plädieren dafür, die Lösung der Atommüll-Frage „in dieser Generation“ ins Leitbild zu schreiben. Klingt erst mal nach Verantwortungs-Übernahme. Was die beiden damit wirklich wollen, sagen sie nicht: Wer aufs Tempo drückt, will damit möglichst wenig Mitbestimmung der Betroffenen. Außerdem ist es der versteckte Versuch, dem Standort Gorleben einen Vorteil zu verschaffen. Denn dort muss nicht erst zeitaufwändig ein Bergwerk gebaut werden, sondern es ist schon fertig.
Außerdem sieht Thomauske die Atommüll-Lagerung als staatliche Aufgabe. Da muss dann auch keiner mehr fragen, was er darüber denkt, wer das Ganze bezahlen soll.
Noch ein Eon-Mann in der Kommission
Nicht nur, dass das Deutsche Atomforum alle Plätze der Industrie-Vertreter einnimmt und einen der Wissenschaftler stellt – auch die Firma Eon hat mehr als einen Vertreter in der Kommission: Außer Eon-Manager Bernhard Fischer ist da auch noch Erhard Ott, offiziell als Gewerkschafts-Vertreter in der Runde, aber so ganz nebenbei auch stellvertretender Vorsitzender des Eon-Aufsichtsrats. Verständlich also, dass Ott beispielsweise die Klagen der AKW-Betreiber gegen die Brennelementsteuer gutheißt.
Untersteller unlogisch
Paradox: Der grüne baden-württembergische Umweltminister Untersteller will verloren gegangenes Vertrauen in der Atommüll-Frage wieder herstellen, sagt er. Aber über den hochradioaktiven Atommüll, der aus Jülich in die USA exportiert werden soll, möchte er in der „Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe“ nicht sprechen.
AG-Leitung wird von Vorsitzenden festgelegt
Es bleibt bei der dominierenden Rolle der beiden Vorsitzenden in der Atommüll-Kommission: Die beiden ehemaligen StaatssekretärInnen Heinen-Esser (CDU) und Müller (SPD) legen fest, wer den Vorsitz in der drei AGs der Kommission übernimmt. Die AG 1 zur Öffentlichkeitsbeteiligung wird künftig geleitet von Landesbischof Ralf Meister (ev. Kirche) und Harmut Gaßner (langjähriger BfS-Anwalt gegen BIs). Vorsitzende der AG 2 zur Evaluation des Endlagersuchgesetzes werden Hubert Steinkemper (Ex-Mitarbeiter des Umweltministeriums) und Klaus Brunsmeier (BUND). Die AG 3 zu Kriterien für potentielle Lager-Standorte leiten Klaus Grunwald (KIT Karlsruhe) und Michael Sailer (Entsorgungskommission). Dem BUND den Vorsitz der Evaluations-AG zu übertragen, ist ein kluger Schachzug: Zwar kann Klaus Brunsmeier auf diesem Posten nicht viel bewirken, aber gleichzeitig hinterher auch nicht kritisieren, dass zu wenig rausgekommen ist.
Vorbereitung der Anhörungen zur Evaluation des Gesetzes und zu internationalen Erfahrungen quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit
Im November und Dezember plant die Kommission Anhörung von ExpertInnen, um in die Debatte um die Evaluation des Gesetzes einzusteigen und um internationale Erfahrungen in Sachen Atommüll-Lagerung kennen zu lernen. Einzelne Kommissionsmitglieder haben vor der Sitzung Vorschläge eingereicht, welche ExpertInnen befragt werden sollen. Die beiden Kommissions-Vorsitzenden haben daraus einen Beschlussvorschlag erarbeitet, indem sie einzelne vorgeschlagene ExpertInnen gestrichen haben. Da weder die ursprünglichen Vorschläge noch die Liste der Vorsitzenden öffentlich zugänglich ist, ist nicht nachzuvollziehen, wie und warum die einen eingeladen werden und andere nicht.
Atomforschung: weiter wie bisher
Um sich einen Überblick zu verschaffen über laufende Forschungsvorhaben zum Thema, hat die Kommission Vertreter von Forschungseinrichtungen sowie aus Ministerien eingeladen. Der erhoffte Gesamtüberblick bleibt indes aus. Klar wird: Weder gab es nach Fukushima und dem Bundestagsbeschluss zum sogenannten Atomausstieg eine Neujustierung, noch hat die Bundesregierung eine solche auf dem Schirm – egal, was die Kommission am Ende empfiehlt. Geforscht wird munter weiter wie bisher: etwa zu Transmutation, die selbst nach Ansicht des Atomforum-Präsidiumsmitglieds Thomauske nichts zur Lösung des Atommüllproblems beitragen wird. Oder zur Kernfusion, die bekanntlich weitere Atommüllberge hinterlässt, von Forschungsministerin Wanka aber als „künftig vielleicht die einzige Möglichkeit, Energie zu erzeugen“ bezeichnet wird. Eine wissenschaftliche Aufarbeitung der Fehler, die zum Atommüll-Desaster in der Asse geführt haben, gibt es indes nicht und ist auch nicht geplant.
Das Forschungsprojekt ENTRIA, das sich der Atommüllfrage mit einem breiten, interdisziplinären Ansatz widmet, läuft bis 2017 – zwei Jahre länger als die Kommission selbst. Ob die Wissenschaftler nicht schon früher mal ein bisschen was berichten könnten?, erkundigen sich einige, leicht besorgt, dass die Wissenschaftler am Ende zwei Jahre nach der Kommission etwas ganz anderes empfehlen als diese selbst. Das wäre dann „schwierig“, konstatiert Robert Habeck (Umweltminister Schleswig-Holstein; Grüne). Bei so langfristigen Vorhaben wie der Atommülllagerung, unterstreicht der ENTRIA-Vertreter, könne es immer neue wissenschaftliche Erkenntnisse geben, die bisherige Entscheidungen in Frage stellten. Ratsam sei daher, sich genau darauf vorzubereiten, sprich: für Korrekturmöglichkeiten zu sorgen. In der dritten Sitzung der Kommission, vor zwei Wochen, lag ein Vorschlag auf dem Tisch, eine AG Fehlerkorrektur einzurichten, die genau dazu Vorschläge erarbeiten sollte. Sie kam allerdings nicht zustande – die Mehrheit der Kommissionsmitglieder war dagegen.
Atommüllexport: Was kümmert die Politik die Kommission?
Die Kommission soll sich laut Gesetz nur um die hochradioaktiven Abfälle kümmern – 95 Prozent des Atommülls (die schwach- und mittelradioaktive Abfälle) bleiben also von vorne herein außen vor. Selbst bei den hochradioaktiven Abfällen aber zeigt die Politik deutlich, dass sie im Zweifel einfach Fakten schafft – ganz egal, was die Atommüll-Kommission diskutiert, rät oder beschließt. Aktuelles Beispiel sind die abgebrannten Brennelemente aus dem stillgelegten Hochtemperaturreaktor in Jülich, zweifelsohne hochradioaktiver Atommüll. Die Bundesregierung will ihn demnächst einfach in die USA exportieren. Nähme die Regierung die Kommission ernst, so würde sie diese Pläne sofort stoppen. Und nähme die Kommission ihren Auftrag ernst, würde sie dies massiv einfordern von der Politik.
Das Gegenteil ist der Fall. Weniger als eine Handvoll Kommissionsmitglieder, darunter die Vertreter von BUND und Deutscher Umweltstiftung, sprechen Wanka bei ihrem Besuch in der Kommission überhaupt auf das Thema an. Trotz guter Argumente können sie noch nicht einmal innerhalb der Kommission eine Debatte darüber durchsetzen, geschweige denn eine Resolution oder Forderung an die Politik. Und die beiden Kommissionsvorsitzenden halten ebenfalls schön still. Am Ende versteigt sich Wanka zu der Behauptung, die Frage, ob der hochradioaktive Atommüll aus den AKW in Jülich und Hamm-Uentrop exportiert werde oder nicht sei keine politische Entscheidung. Wenig später verlässt sie den Saal; die Kommissionsvorsitzenden rufen den nächsten Tagesordnungspunkt auf.
Sollte, um nur ein Beispiel zu nennen, die Bundesregierung irgendwann beschließen, abgebrannte Brennelemente aus den AKW Biblis und Brokdorf in irgendeinen Salzstock zu kippen, wird die Kommission wohl auch darüber nicht unbedingt debattieren …
Ein wichtiger Gedanke
zur Debatte um die drohenden Atommüll-Exporte kam von Sylvia Kotting-Uhl von den Grünen: Auf Wankas Argumentation, es handele sich um Müll aus einem Forschungsreaktor, entgegnet sie einerseits, dass sie dies rechtlich anders sieht, macht aber auch deutlich, dass es letztendlich nicht nur eine rechtliche, sondern unabhängig davon auch eine ethische Frage ist, ob die Castoren in South Carolina landen. Also selbst wenn irgendwelche JuristInnen es so hindrehen und eine extra eingebaute Lücke für Forschungsreaktoren im Endlagersuchgesetz fälschlicherweise nutzen, ist ein Export immer noch nicht legitim. Klare deutliche Worte von Kotting-Uhl in Richtung Wanka. Jetzt muss sie nur noch ihre ParteifreundInnen in NRW überzeugen, die dort zusammen mit der SPD regieren und damit quasi Mitinhaber des Jülich-Mülls sind und entsprechend an der Entscheidung beteiligt sind, was damit passiert.