.ausgestrahlt hat sich wie fast alle mit dem Thema Atommüll befassten Umweltverbände und Initiativen dagegen entschieden, einen der beiden für die Umweltverbände vorgesehenen Plätze in der Atommüll-Kommission einzunehmen. Trotzdem wollten wir uns aus erster Hand informieren, wie die Kommission läuft. Denn wenn schon Kritik, dann am besten aus eigenem Erleben. Deshalb hat .ausgestrahlt-Sprecher Jochen Stay als Zuschauer auch die zweite Sitzung der Kommission am 30. Juni 2014 in Berlin verfolgt und schildert hier seine Eindrücke.
Transparenz 1: Ergebnisse der ersten Sitzung?
Von der ersten Sitzung der Kommission im Mai wurde bisher weder einen vollständigen Mitschnitt noch das Ergebnisprotokoll veröffentlicht.
Transparenz 2: Livestream ohne Unterlagen
Ein Fortschritt gegenüber der ersten Sitzung: Diesmal kann jede/r die Sitzung der Kommission live im Internet verfolgen (zumindest wenn die Sprechenden daran denken, ihre Mikrofone einzuschalten, was nicht immer gelingt). Trotzdem ist es schwer möglich, der Debatte zu folgen, denn für die wesentlichen Tagesordnungspunkte gibt es schriftliche Vorlagen, die aber nur den Kommissions-Mitgliedern vorliegen, jedoch nicht im Internet veröffentlicht sind.
Wenn dann also über Stunden Paragraph für Paragraph des Geschäftsordnung-Entwurfs diskutiert und überarbeitet wird, ist für Außenstehende kaum nachvollziehbar, um was es genau geht und was nun eigentlich konkret beschlossen wird, obwohl gerade diese Spielregeln der Kommissions-Arbeit wesentlich dafür sein können, wer wen wie zukünftig über den Tisch zieht oder nicht.
Ein Journalist, der der Sitzung ebenfalls per Livestream folgte, rief in der Geschäftsstelle der Kommission an und fragte nach dem Geschäftsordnungs-Entwurf. Die Antwort: Die Geschäftsordnung könne man ihm erst herausgeben, wenn sie beschlossen sei.
Fazit: Wenn die Unterlagen, über die die Kommission diskutiert, nicht öffentlich sind, dann bringt der schönste Livestream nichts.
Wer hat die Federführung? Kommission oder Regierung?
Staatssekretär Jochen Flasbarth aus dem Umweltministerium berichtet über die Einrichtung des umstrittenen neuen „Bundesamtes für kerntechnische Entsorgung (BfE)“. Man wolle in diesem Jahr die ersten 20 Stellen besetzen. Und das Ministerium arbeite daran, die im Endlagersuchgesetz festgelegte Behördenstruktur zu überarbeiten und wolle dazu im Herbst entscheiden.
Dabei sollte es eigentlich so sein, dass die Kommission bei der Evaluation des Gesetzes auch über die Behördenstruktur und damit das BfE nachdenkt und dabei auch die Freiheit haben muss, sich gegen die Einführung dieses Bundesamtes auszusprechen. Da macht es sich schlecht, wenn die Behörde gleichzeitig schon aufgebaut wird und die konzeptionellen Fragen nicht in der Kommission, sondern im Ministerium diskutiert und entschieden werden.
Am Ende der Debatte bekommt die Kommission vom Ministerium ein klassisch unverbindliches Beteiligungs-Angebot: Ihr dürft dann auch noch Eure Meinung sagen und die werden wir in unsere Überlegungen einbeziehen. Und schon wieder hat die Runde ein Stück Macht abgegeben.
Der Konsens-Nonsens
Realsatire: Mit 20 gegen 7 Stimmen beschließt die Kommission, den Paragraphen der Geschäftsordnung, der zu Konsensentscheidungen drängt, wegen seiner besonderen Bedeutung von Punkt 8 auf Punkt 3 vorzuziehen. Fast alle Entscheidungen der Sitzung werden von einer Mehrheit gegen eine Minderheit beschlossen. Niemand scheint das zu stören, auch nicht die Vertreter des BUND und der Umweltstiftung.
Der Bundestag hatte noch im April beschlossen: „Der Deutsche Bundestag appelliert, durch prozessuale Regelungen das Konsensprinzip in der Kommission zu stärken. Das Konsensprinzip sollte gerade bei Geschäftsordnungsfragen (…) eine wichtige Leitlinie sein.“
Lustig?
Für Heiterkeit sorgt der (sinnvolle) Wunsch des Ex-Atommanagers Bruno Thomauske, der als „unabhängiger Wissenschaftler“ in der Kommission sitzt, man solle die Mitschnitte der Sitzungen bis zum Ende des Suchverfahrens für einen Atommüll-Lagerplatz aufbewahren. Und ich frage mich: Worüber lachen die jetzt genau? Darüber, dass einer denkt, es gäbe ein Ende des Suchverfahrens? Es ist in gewisser Weise ein erhellender Moment: Die Kommission lacht über sich selbst, darüber, dass da einer so tut, als nähme er ernst, was da passiert – wo doch alle eigentlich wissen, dass das nicht ernst zu nehmen ist.
Wer ist stimmberechtigt?
Monatelang wurde von der Politik als große Besonderheit der Kommission hervorgehoben, dass die VertreterInnen von Bundestag und Bundesrat kein Stimmrecht haben. Dies sei ein Zeichen des neuen Geistes, mit der die Politik Konsequenzen aus den Fehlern der Vergangenheit gezogen habe und außerordentlich viel Macht an Wissenschaft und Zivilgesellschaft abgibt. Doch die Praxis sieht anders aus: Eine unklare Formulierung im Gesetz wird von den Vorsitzendener einfach so ausgelegt, dass die PolitikerInnen in der Kommission bloß beim Abschlussbericht nicht mitstimmen dürfen, bei allen anderen Fragen aber schon.
Das ist fatal: Damit können die VertreterInnen von Bundestag und Bundesrat vieles beeinflussen, müssen aber das Endergebnis nicht mittragen und mit verantworten. Sie haben so alle Möglichkeiten, im Parlament dagegen zu stimmen, sollte die Kommission Gesetzesänderungen vorschlagen.
.ausgestrahlt hatte im Vorfeld vorgeschlagen, dass die PolitikerInnen volles Stimmrecht in der Kommission bekommen, dann aber strenge Konsens-Entscheidungen sein müssen, um wirklich zu einer Verständigung zwischen allen Gruppen zu kommen. Das wollten die Bundestagsfraktionen und der Bundesrat aber auf keinen Fall.
Auch diese Frage wird per Mehrheitsabstimmung entschieden. Nicht einmal die Hälfte der Kommission ist dafür, dass die PolitikerInnen weitgehende Stimmrechte bekommen – aber da sich einige enthalten, reicht es für eine einfache Mehrheit.
Erschreckend ist an diesem Punkt nicht nur, dass das Ergebnis aus unserer Sicht den Einfluss der Politik stärkt, ohne dass die Verbindlichkeit der Beschlüsse steigt. Erschreckend ist auch die Art und Weise, wie diese Entscheidung herbei-argumentiert wurde – nämlich indem viele aus den Reihen von Bundestag und Bundesrat so taten, als wäre es nie anders gedacht gewesen. Was stören mich meine Sonntagsreden von gestern…
Bei der Diskussion über die weiteren Punkte der Geschäftsordnung gibt es immer wieder Verwirrung, weil im Entwurf mehrmals eine Sonderrolle von Stimmberechtigten auftaucht und jetzt ja so getan wurde (und auch so entschieden wurde), dass es die Unterscheidung im Stimmrecht kaum gibt. Das war dann wohl doch ursprünglich anders gedacht…
Werbung für .ausgestrahlt
Zwischendurch fällt Sylvia Kotting-Uhl von den Grünen auf, dass wir von .ausgestrahlt die Kommissions-Sitzung live per Twitter kommentieren. Sie reagiert in einem Redebeitrag auf einen aus ihrer Sicht sachlich falschen Tweet. Sofort steigt die Zahl der Twitter-Follower von .ausgestrahlt. Neu dabei auch einige Kommissions-Mitglieder. Schön, dass die Runde wahrnimmt, dass wir ihnen genau auf die Finger sehen.
Geringst mögliche Zustimmung
In der Geschäftsordnung wird auch festgelegt, ab wie vielen anwesenden Mitgliedern die Kommission beschlussfähig ist. Für den Abschlussbericht, bei der ja nur die VertreterInnen von „Wissenschaft“ und „Zivilgesellschaft“ stimmberechtigt sind, reicht die Anwesenheit von „mehr als der Hälfte“ der Mitglieder, also neun von 16. Da der Abschlussbericht mit einer 2/3-Mehrheit beschlossen werden muss, reichen theoretisch schon sechs von neun anwesenden Stimmberechtigten, um ihn zu verabschieden. Das wird spannend: In den Sonntagsreden ist von Konsens die Rede. In ihren Regeln hat die Kommission dagegen festgelegt, dass im Extremfall die Zustimmung von 6 der 16 Stimmberechtigten ausreicht.
Minderheitenrechte
Im Vorfeld war immer wieder die Rede davon, dass die Minderheitenrechte in der Kommission ganz wichtig sind, indem etwa auch wenige Mitglieder eigene Gutachten in Auftrag geben können. Jetzt wird beschlossen, dass dies nur möglich ist, wenn mindestens sechs Mitglieder dies gemeinsam beantragen. Die Vertreter von BUND und Umweltstiftung können also keine Gutachten durchsetzen, wenn der Rest der Kommission dagegen ist. Die Krönung: Der Vertreter der Umweltstiftung stimmt für diese hohe Hürde.
Transparenz 3: Wortprotokolle
Die Frage, ob es Wortprotokolle der Sitzungen geben soll, wird vertagt, obwohl einige in der Runde inzwischen erkannt haben, dass der Video-Mitschnitt im Internet es sehr mühsam macht, bestimmte Themen und Aussagen wiederzufinden.
Stargast Altmaier
Die Kommission lädt zu jeder Sitzung einen Polit-Promi ein, der ein paar salbungsvolle Worte sagt. Zum Auftakt war das der Bundestagspräsident, diesmal Kanzleramts-Chef Altmaier, das nächste Mal soll die Umweltministerin sprechen. Diese Sätze landen dann in der Presse und so bleibt die Deutungshoheit über die Arbeit der Kommission immer schön bei der Politik.
Spannend ist, was Altmaier zum Thema Öffentlichkeitsbeteiligung sagt: Er findet, ein Gesetz, das von 16 MinisterpräsidentInnen und vier Bundestagsfraktionen verabschiedet wurde, die ja alle demokratisch gewählt wurden, hat schon genug Legitimation. Außerdem sei er ja auch im Wendland gewesen und habe da mit den Leuten gesprochen. Und es habe eine dreitägige Anhörung zum Gesetz gegeben. Also aus seiner Sicht alles deutlich im grünen Bereich. Der Mann hat so gar nichts verstanden. Oder noch wahrscheinlicher: Er will es nicht verstehen.
Unabhängige Wissenschaftler?
Um Interessenkollisionen zu vermeiden, ist es normalerweise üblich, dass Wissenschaftler (und ihre Institute), die in Gremien sitzen, keine Aufträge von diesem Gremium bekommen. Das ist hier anders. Sowohl Michael Sailer (Öko-Institut), als auch Bruno Thomauske (RWTH Aachen) und Armin Grunwald (KIT) wehren sich vehement dagegen. Sie wollen, dass es möglich ist, dass ihre Institute Aufträge bekommen können. Sonst befürchten sie „wirtschaftlichen Schaden“. Das hätten sie sich vielleicht vorher überlegen müssen. Der Punkt wird vertagt.
Arbeitsprogramm
Die Debatte zum Areitsprogramm läuft unstrukturiert und ist schwer zu verstehen, da die Vorlage, über die diskutiert wird, nicht öffentlich ist. Sie wird auch nicht zu Ende gebracht, sondern soll in der nächsten Sitzung weitergehen. Wesentliche Punkte:
Es gibt eine absurde Tendenz, schon über geologische Kriterien reden zu wollen, bevor überhaupt geklärt ist, welches Lagerkonzept (oberirdisch/unterirdisch, rückholbar oder nicht, etc.) gewählt wird.
Umstritten ist, ob sich geologisch-technische Fragen unabhängig von sozialwissenschaftlich-ethischen Fragen klären lassen – ob diese also in verschiedene Arbeitsgruppen gepackt oder gemeinsam behandelt werden.
Die Frage, ob und wie das Gesetz zuerst evaluiert werden soll, spielt keine große Rolle in der Debatte.
Schönes Schlusswort von Bruno Thomauske: Die Akzeptanz lässt sich steigern, wenn nicht immer von „Atommüll“ gesprochen wird.
Moderation? Fehlbesetzung!
Michael Müller (SPD), der als Ko-Vorsitzender die Sitzung leitet, ist eine glatte Fehlbesetzung. Statt zu moderieren, mischt er sich ständig inhaltlich ein, bügelt etliche Beiträge ab, entscheidet vieles selbstherrlich, statt dafür zu sorgen, dass die Kommission gut entscheidet, lässt Anträge unter den Tisch fallen, bringt ständig Dinge durcheinander, sorgt mehr für Verwirrung als für Struktur – und hält sich dabei, das ist deutlich zu spüren, für hochkompetent.
Als er unangekündigt zu einem längeren philosophischen Vortrag ansetzt, hört kaum jemand zu: Manche blättern in ihren Unterlagen, andere checken mal schnell ihre E-Mails, wieder andere beginnen, sich leise zu unterhalten.
Und die Umweltverbände?
Klaus Brunsmeier vom BUND und Jörg Sommer von der Deutschen Umweltstiftung fallen nicht weiter auf. Es gibt keinen einzigen Punkt, an dem sie sich dagegen auflehnen, wenn die Debatte mal wieder in eine unsägliche Richtung geht oder schlechte Geschäftsordnungs-Regeln mit Mehrheitsentscheidungen festgeklopft werden. Sie sagen brav ihre Meinung und heben die Hand bei den Abstimmungen. Mehr nicht.
Höhepunkt des Wirkens von Klaus Brunsmeier: Er schlägt vor, den Paragraphen zur Öffentlichkeitsbeteiligung in der Geschäftsordnung umzubenennen in „Information und Einbindung der Öffentlichkeit“. Und er meint das nicht entlarvend-ironisch, sondern ernst.
Gab es mal einen gesellschaftlichen Konflikt um Atommüll? Wer hier zuhört, mag es kaum glauben. Das Problem ist nur: Den Konflikt gibt es natürlich weiter – er kommt nur in der Kommission nicht vor.
Fazit
Schon in ihrer zweiten Sitzung hat sich die Kommission meilenweit von dem entfernt, was im Vorfeld diskutiert wurde:
- Konsensprinzip? Pustekuchen!
- Evaluation des Gesetzes? Irgendwann einmal …
- Partizipation? In eine Arbeitsgruppe ausgelagert …
- Transparenz? Ungenügend!
- Zurückhaltung der Politik? War da was?
Das Schlimme: Im Raumschiff Berlin ist die Runde so auf dich selbst bezogen, dass sie das alles gar nicht merkt, sondern meint, sie sei auf einem guten Weg. Obwohl: Manchen sieht man schon an, dass sie sich fragen, was sie da eigentlich machen. Wenn beispielsweise der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff, oder hochbezahlte Wissenschaftler wie Armin Grunwald den ganzen Tag da sitzen und so gut wie nichts sagen, aber immer mal wieder das Gesicht verziehen, wenn der Vorsitzende redet, dann spricht das Bände.
Effektiv ist das nicht. Und das Schlimme dabei: Am Ende wird es heißen: Solche Kommissionen – ja überhaupt Beteiligung von Gesellschaft – macht keinen Sinn. Das habe die Runde bewiesen. Dabei könnte man es ganz anders und viel besser machen. Das war aber leider von Anfang an nicht gewünscht.
Derweil werden im Umweltministerium und an anderen Stellen längst Fakten geschaffen. Die Kommission darf zwei Jahre lang reden. Entschieden wird woanders.