.ausgestrahlt hat sich wie fast alle mit dem Thema Atommüll befassten Umweltverbände und Initiativen dagegen entschieden, einen der beiden für die Umweltverbände vorgesehenen Plätze in der Atommüll-Kommission einzunehmen. Trotzdem wollten wir uns aus erster Hand informieren, wie der Auftakt der Kommission läuft. Denn wenn schon Kritik, dann am besten aus eigenem Erleben. Deshalb hat .ausgestrahlt-Sprecher Jochen Stay als Zuschauer die erste Sitzung der Kommission am 22. Mai 2014 in Berlin verfolgt und beschreibt hier seine Eindrücke.
Transparenz 1: Extrem eingeschränkte Öffentlichkeit bei erster Sitzung
Im Vorfeld war seitens der Politik immer wieder viel davon die Rede, dass beim angeblichen Neustart Transparenz und Beteiligung der Öffentlichkeit oberste Priorität haben. Nachdem dann das Endlagersuchgesetz maximal intransparent an Altmaiers Küchentisch verhandelt wurde, startet auch die Kommission – freundlich formuliert – zurückhaltend in Sachen Transparenz:
Für ZuschauerInnen standen nur 20 Plätze zur Verfügung. Alle anderen, die sich für den Auftakt interessierten, mussten draußen bleiben. Sie konnten die Sitzung aber auch nicht im Internet verfolgen, weil sie nicht per Livestream übertragen wurde, obwohl der Bundestag dazu technisch in der Lage wäre. Für die Zukunft wurde Besserung in Aussicht gestellt. Wir werden sehen…
Der Großteil der anwesenden PressevertreterInnen ist spätestens nach der Hälfte der Sitzung gegangen.
Befangenheit: Wenn alle befangen sind, muss man sich nicht darum kümmern
Niedersachsen grüner Umweltminister Stefan Wenzel schlug in der Geschäftsordnungsdebatte vor, ähnliche Befangenheitsregeln wie beispielsweise in kommunalen Parlamenten auch für die Kommission zu beschließen: Keine staatlichen Aufträge für Mitglieder, damit sie unabhängig entscheiden können. Darauf Michael Sailer: Dann könnten von den acht Wissenschaftlern wahrscheinlich nur noch einer in der Kommission bleiben, denn alle anderen bekommen immer mal wieder staatliche Aufträge. Also wird Wenzels Vorschlag wahrscheinlich nicht umgesetzt: Weil alle befangen sind, macht die Kommission einfach keine Befangenheitsregel.
Transparenz 2: Öffentlichkeit der Arbeitsgruppen umstritten
Die hauptsächliche inhaltliche Arbeit der Kommission soll nicht in der großen Runde mit 34 Leuten, sondern in thematischen Arbeitsgruppen stattfinden. Bei der Diskussion darüber, ob diese Arbeitsgruppen öffentlich tagen sollten, gab es keinen Konsens. Die Vertreter der Atomlobby und einige mehr setzten sich für Intransparenz ein. Erhard Ott von Ver.di meinte, man solle das mit der Transparenz „nicht überstrapazieren“. Selbst der BUND-Vertreter Klaus Brunsmeier war bereit, auf den Livestream aus den Arbeitsgruppen zu verzichten. Nur Sylvia Kotting-Uhl (Grüne) und Ute Vogt (SPD) stritten vehement dafür, weil sie nur so eine Chance sehen, dass das Misstrauen in die Kommission abgebaut wird. Die Entscheidung darüber wurde vertagt.
Terminfindung: Eine Frage der Prioritäten
Zwischendurch sieht es so aus, als scheitere die Überwindung des Atommüll-Konfliktes bereits an vollen Terminkalendern. Die Versuche der Kommissionsmitglieder, sich für ihre nächste Sitzung zu verabreden, dauert insgesamt geschlagene 45 Minuten. Das liegt vor allem daran, dass eine ganze Reihe der Anwesenden sehr deutlich macht, dass ihnen vieles andere wichtiger ist als diese Kommission. Sachsens Ministerpräsident Tillich (CDU) würde wegen seines Landtagswahlkampfes am liebsten bis September gar nicht mehr tagen und meint „Wir sollten uns nicht überfordern.“ Einige verstehen das als Aufforderung: Nach zwei Dritteln der Sitzung sind von den acht Vertretern der Bundesländer nur noch vier anwesend. Zur Auftaktsitzung gar nicht erst erschienen sind drei Mitglieder: Georg Milbradt (CDU) für die katholische Kirche, Rechtsanwalt Hartmut Gassner und der bayerische Umweltminister Marcel Huber (CSU).
Transparenz 3: Dokumente nicht öffentlich
Jedes Kommissionmitglied bekam zum Auftakt einen großen Stapel Papier mit wichtigen Dokumenten zum Thema überreicht. Auf der Internet-Seite der Kommission sind diese Dokumente nicht einzusehen.
Kompetenz: Riesiges Gefälle beim Kenntnisstand
Einige Vertreter der Bundesländer, vor allem die CDU-Ministerpräsidenten Tillich (Sachsen) und Haseloff (Sachsen-Anhalt), glänzen durch Unwissen über die bisherige Atommüll-Debatte und können der Diskussion teilweise nicht ganz folgen. Auch die Wissenschaftler und die meisten VertreterInnen gesellschaftlicher Gruppen scheinen nicht über den Diskussionsprozess den letzten Monate informiert zu sein. So spielt der Entschließungsantrag des Bundestages, der letztlich als Begründung für die Teilnahme des BUND und der Deutschen Umweltstiftung an der Kommission herhalten musste, für die meisten in der Runde keine Rolle – ja sie scheinen ihn noch nicht einmal zu kennen. Und entsprechend wollen sie sich auch nicht daran halten.
Konsens: Ist Nonsens?
Im Vorfeld wurde immer wieder von Seiten der Parteipolitik betont, wie wichtig Konsensentscheidungen in der Kommission sind. Jetzt erklärt die Vorsitzende Ursula Heinen-Esser (CDU), sie wolle über die Geschäftsordnung in der nächsten Sitzung per Mehrheitsabstimmung entscheiden lassen: „Wir werden erleben, dass wir bei der nächsten Sitzung an der einen oder anderen Stelle strittig abstimmen.“ Später erklärt sie, Konsensentscheidungen müssten ja nicht immer einstimmig sein.
Stellvertretung: Zweierlei Gesetzesrealität
Im Gegensatz zu den PolitikerInnen in der Runde haben die VertreterInnen gesellschaftlicher Gruppen in der Kommission keine StellvertreterInnen. In der Debatte über die Geschäftsordnung fordern sie das vehement ein. Aber die Vorsitzende ist dagegen, weil davon nicht sim Gesetz stünde und beendet die Diskussion. Wer entscheidet hier eigentlich? Die stimmberechtigten Mitglieder oder Heinen-Esser? Ihre Argumentation ist auch insofern problematisch, als in anderen Fragen mit dem Gesetz eher locker umgegangen wird: Schließlich sitzt mit Michael Müller (SPD) in der Runde ein weiterer Kommissions-Vorsitzender. Dabei ist im Gesetz nur einer vorgesehen.
Transparenz 4: Nur nicht zu nah bei potentiell Betroffenen tagen
Selbst die Frage nach dem Tagungsort hat tiefere Bedeutung. Würde sich die Kommission etwa bei jeder zweiten Sitzung irgendwo „in die Fläche“ begeben, könnte sie deutlich machen, dass dies kein abgehobener Prozess in Berlin ist, sondern eine gesellschaftliche Debatte. Doch der schleswig-holsteinische Umweltminister Robert Habeck (Grüne) warnte davor, in potentiell betroffene Regionen zu gehen, weil die Menschen dort dann ja den Eindruck gewinnen könnten, ihr Ort käme in die engere Wahl. Ein weiteres Argument gegen die Idee: Zu den BürgerInnen zu gehen, wäre ja organisatorisch sehr aufwändig.
Also entschied die Kommission (mit den Stimmen von BUND und Umweltstiftung), in der Regel in Berlin zu tagen und nur ausnahmsweise an anderen Orten, z.B. wenn man mal in der Schweiz das dortige Verfahren erkunden will.
Öffentlichkeitsbeteiligung: War da was?
Der Bundestag hat bei Einsetzung der Kommission erklärt, diese solle auch einen breiten gesellschaftlichen Diskurs organisieren. Diese Erklärung war nach Aussagen des BUND ein Hauptgrund, warum dieser Verband seine ablehnende Haltung gegen die Kommission aufgegeben hat. In der ersten Sitzung ist davon dann allerdings kaum die Rede. Bruno Thomauske (Ex-Vattenfall) ist sogar der Meinung, die Kommission solle zuerst Ergebnisse produzieren und erst danach solle es Öffentlichkeitsbeteiligung geben.
Evaluation des Gesetzes: Doch nicht zu Beginn?
Das war einer der Knackpunkte bei den Gesprächen zwischen Umweltverbänden und Bundestagsfraktionen vor dem Start der Kommission, als es darum ging, ob sich nicht doch noch zwei finden, die die leeren Stühle besetzen wollen: Ist die Kommission bereit, das Gesetz am Anfang ihrer Arbeit zu evaluieren und ist der Bundestag dazu bereit, dann auch schon das Gesetz zu überarbeiten? Im Entschließungsantrag des Bundestages steht dazu nur Wischiwaschi. Trotzdem war dies für den BUND vertrauensbildend genug, um in die Kommission zu gehen. Jetzt schien der BUND-Vertreter Klaus Brunsmeier etwas überrascht, dass die anderen in der Runde wenig von der Idee halten, inklusive der Vertreter der Unionsfraktion im Bundestag.
Rolle der Vorsitzenden
Fast alle Debatten der ersten Sitzung enden mit einem Dissens und mit der Ankündigung der Vorsitzenden, sie werde zusammen mit Michael Müller für die nächste Sitzung Vorschläge vorlegen, wie es laufen soll, etwa zum Rhythmus und der Länge der Sitzungen, zur Geschäftsordnung und zum Arbeitsprogramm. Mit wem sich die beiden dabei beraten und wie dieser Abstimmungsprozess laufen wird, bleibt intransparent.
Erstes Fazit
Die Debatte im Vorfeld zwischen Umweltverbänden und Bundestagsfraktionen über die Rahmenbedingungen der Arbeit des Gremiums spielen in der Realität der Kommission keine Rolle. Das hat zwei Gründe: Die Mehrheit der 34 Mitglieder hat davon überhaupt nichts mitbekommen und interessiert sich auch nicht wirklich dafür. Und ein Teil derjenigen, die diese Debatte von Seiten der Fraktionen geführt haben, kann sich anscheinend nicht mehr daran erinnern.
Interessant wird die nächste Sitzung, weil dann Entscheidungen über die Geschäftsordnung und über das Arbeitsprogramm der Kommission anstehen. Dann wird sich zeigen, was von den Versprechungen im Vorfeld tatsächlich übrig bleibt.
Weitere Informationen zur Atommüll-Kommission auf unseren Internetseiten: www.ausgestrahlt.de/mitmachen/atom-muell/kommission