In Jaitapur soll der größte Atomkraftwerkspark der Welt entstehen. Die Küstenregion liegt 300 km südlich von Mumbai. Der alte Zug tuckert gemütlich durch die vom Monsunregen getränkte Küstenlandschaft, immer wieder kommen Tee- und Snackverkäufer bei uns im Abteil vorbei. So geht die 8stündige Fahrt schnell vorbei.
Jaitapur ist ein wunderschönes Küstenfleckchen mit reicher Vegetation und unzähligen kleinen Dörfern, in denen die Menschen von Fischfang oder Landwirtschaft leben. Die indische Regierung will hier in Zusammenarbeit mit dem französischen Konzern Areva den größten Kernkraftwerkspark der Welt erreichten. Jeder der sechs europäischen Druckwasserreaktoren soll 1650 MW Energie liefern. Diese Art von Reaktor ist bisher noch nirgendwo auf der Welt in Betrieb. Bis jetzt gibt es noch keinen Kaufvertrag sondern nur ein politisches Übereinkommen. Frankreich hat sich schon länger sehr am indischen Atommarkt interessiert gezeigt. Es hat die indischen Atomtests von 1998 nicht verurteilt und sich innerhalb der nuclear suppliers group dafür eingesetzt, dass Indien wieder mit Atommaterial beliefert wird. Das Jaitapurprojekt wurde ohne Ausschreibung an Areva vergeben.
Protest gegen AKW-Park und Areva ist überall sichtbar
Auf dem Weg zu Praven Gavanker, der die lokalen Proteste koordiniert, sehen wir überall auf den Mauern der Felder, Tempel, Bushaltestellen und auf der Straße selber den Slogan „No nuclear- Areva go back“. 40.000 Menschen wären direkt oder indirekt vom AKW betroffen. Den meisten würde die Lebensgrundlage entzogen. Die Wassererwärmung durch das Kühlwasser hätte desaströse Auswirkungen auf die Fischgründe und die Fischer müssten ihre Arbeit aufgeben oder umsiedeln. Gavankers Haus befindet sich direkt neben dem riesigen Baugrundstück auf dem das AKW errichtet werden soll, einer kleinen Halbinsel. Die Regierung hat vorsorglich das Land konfisziert, mit einer Mauer umzäunt und mit PolizistInnen zur permanenten Bewachung bestückt. Hauptelement des Widerstands ist, dass die Anwohner die angebotenen Entschädigungszahlungen nicht annehmen und somit zum Ausdruck bringen, dass sie gegen die Pläne der Regierung sind. Diese versucht mit allen Mitteln, die Leute zur Annahme der Zahlungen zu bewegen. Vielerorts kommen bis zu einmal wöchentlich Beamte und PolizistInnen bei den Menschen in ihren Häusern vorbei, um sie zu überreden. AktivistInnen vermuten: Sollte eine kritische Masse „umfallen“ und das Geld annehmen, könnte die Regierung mit dem Projekt voranschreiten mit der Aussage, die lokale Bevölkerung habe das Projekt nun akzeptiert.
Unangekündigter Besuch durch die Polizei
Während wir mit Gavenker und seiner Familie reden, kommen zwei Polizisten ungebeten in sein Haus, setzen sich zu uns in die Runde und „begleiten“ uns danach noch eine Weile. Die Lage ist ungemütlich; seit das Projekt geplant ist, ist die Polizeipräsenz in der Region enorm gewachsen, überall gibt es Straßenposten und -kontrollen. „Unsere“ zwei Polizisten ziehen glücklicherweise irgendwann unverrichteter Dinge wieder ab.
Die Region ist stark erdbebengefährdet. Nachdem wir uns die tiefen Risse im Küstenplateau angeschaut haben, die das letzte Erdbeben hinterlassen hat, fahren wir in das betroffene Fischerdorf. Ganz klar ist uns nicht, was uns dort erwartet. Als wir den Versammlungsraum der Dorfmoschee betreten, schauen uns fast hundert hoffnungsvolle Gesichter an. Das Fischerdorf ist muslimisch, die Männer sitzen mit ihren weißen Gewändern auf der einen Seite, die Frauen auf der anderen. Wieder einmal werden wir spontan aufs Podium gebeten, ein Mikrofon wird organisiert und wir sollen erzählen, wie es zum Atomausstieg in Deutschland kam. Die Versammlung dauert mehrere Stunden, viele Menschen wollen zum Ausdruck bringen, was sie bewegt.
Brutale Repression
Nachher erzählen uns die Frauen in kleiner Runde von den brutalen Repressalien im Detail. Ein Aktivist wurde vor drei Jahren von den Polizisten in die Brust geschossen, in einen Jutesack gepackt, auf den Nacken getreten und vermutlich im Polizeiwagen getötet. Auch Kinder und Jugendliche werden von den Polizisten geschlagen oder angeschossen. Uns wird immer klarerer: Die 15.000 Menschen aus dem Dorf werden alles verlieren, falls das AKW gebaut wird. Was wir am häufigsten zu hören bekommen ist: „Macht unseren Widerstand bekannt in Deutschland“.