Mehr Tempo beim Atomausstieg? Grüne beschließen halbherziges Wahlprogramm.

27.04.2013 | Jochen Stay

.ausgestrahlt hat sich in den letzten Monaten damit auseinandergesetzt, wie sich die Parteien zum Bundestagswahlkampf atompolitisch aufstellen. Besonders intensiv war dabei die Diskussion in und mit Bündnis 90/Die Grünen, die sich ja selbst als Anti-Atom-Partei verstehen. Ursprünglich war im grünen Wahlprogramm zum Thema Atom fast nichts zu finden – und das, was da zu lesen war, deutete darauf hin, dass sich die Parteispitze davon verabschiedet hat, den Weiterbetrieb der neun noch laufenden AKW wesentlich einzuschränken.

Wir haben diese Diskrepanz öffentlich gemacht, haben dazu aufgerufen, den Grünen die Turnschuhe zurückzubringen, damit es mit dem Atomausstieg schneller geht, haben Briefe an Kreisverbände und Delegierte geschrieben, unzählige Gespräche geführt und vor dem Parteitag demonstriert.

Manche haben uns dafür kritisiert, dass wir uns so an den Parteien abarbeiten, andere haben uns dafür kritisiert, dass wir die Grünen kritisieren. Wir sagen: Wir wollen nichts unversucht lassen, was dazu führt, den Weiterbetrieb der AKW zu beenden.
Aus dem „Weiter so“ des grünen Bundesvorstands haben die Delegierten des Parteitags immerhin ein „Wir wollen es schneller“ gemacht – und das hat sicherlich auch damit zu tun, dass .ausgestrahlt und viele Aktive vor Ort sich in den letzten Wochen so reingehängt haben.

Allerdings gab es auf dem grünen Parteitag keine Mehrheit dafür, die konkreten Abschalttermine für die einzelnen Reaktoren im Atomgesetz zu ändern, wenn die Grünen an der Regierung beteiligt sind. Da fehlte es an der nötigen Courage. Dabei hätten die WählerInnen bestimmt gerne gewusst, wie viele AKW die Grünen in der nächsten Legislaturperiode abschalten wollen.
Stattdessen wollen die Grünen, wie sie das nennen, „die Daumenschrauben anziehen“ – also die Sicherheitsauflagen verschärfen und die ökonomischen Rahmenbedingungen für die AKW-Betreiber verschlechtern. Ob das am Ende funktioniert, ist offen und hängt stark davon ab, wie diese „Daumenschrauben“ konkret aussehen und vor allem auch, wie schnell sie überhaupt angelegt werden. Allein die letzte Überarbeitung des für die Sicherheitsauflagen wesentlichen „Kerntechnischen Regelwerks“ hat 15 Jahre gedauert.

Wir haben Zweifel daran, ob der Plan wirklich funktioniert, dass die AKW-Betreiber ihre Reaktoren selbst schneller abschalten, weil sich der Weiterbetrieb durch veränderte Rahmenbedingungen nicht mehr lohnt. Klar, wenn man das „Daumenschrauben“-Konzept in aller Schärfe betreiben würde, ginge es so – aber wird das wirklich passieren?

Am Ende wird es vom gesellschaftlichen Druck abhängen. Also auch von Dir! .ausgestrahlt wird auf jeden Fall dranbleiben.

Was die Grünen ursprünglich in ihr Wahlprogramm schreiben wollten und was jetzt drin steht

Erster Entwurf im Auftrag des Bundesvorstands, Januar 2013:

„Bis zum endgültigen Atomausstieg im Jahr 2022 müssen die noch verbleibenden Atomkraftwerke so sicher wie nur irgend möglich sein. Wir werden daher die neuen Sicherheitsanforderungen für Atomkraftwerke konsequent anwenden.“

Vorschlag des Bundesvorstandes für das Wahlprogramm, Februar 2013:

„Bis zum beschlossenen Atomausstieg müssen die noch verbleibenden Atomkraftwerke so sicher wie nur irgend möglich sein, bei schweren Sicherheitsbedenken müssen AKWs bereits früher vom Netz genommen und so der Atomausstieg beschleunigt werden. Wir werden daher die neuen Sicherheitsanforderungen für Atomkraftwerke konsequent anwenden.“

Beschluss des Wahlprogramms auf dem Parteitag am 26. April 2013:

Jedes noch laufende AKW bleibt eine Gefahr. Daher wollen wir die Sicherheitsanforderungen national und international erhöhen, entsprechende Nachrüstungen an den AKW durchsetzen und so die Rahmenbedingungen ändern, dass die Betreiber das letzte AKW schon deutlich vor 2022 abschalten werden.

Atomausstieg sicher und schnell besiegeln

Die Energiewende gelingt nur mit dem Atomausstieg – der Atomausstieg gelingt nur mit der Energiewende. Bei den noch laufenden Atomkraftwerken muss die Sicherheit höchste Priorität haben. Besonders die beiden noch laufenden Siedewasserreaktoren in Gundremmingen stellen weiterhin ein großes Risiko dar. Mit uns gibt es keine Sicherheitsrabatte. Wir wollen die Rahmenbedingungen so setzen, dass die Nutzung der Atomkraft sicher, schnell und endgültig beendet wird. Wir werden die Sicherheitsanforderungen – anders als schwarz-gelb – erhöhen und wieder auf den Stand von Wissenschaft und Technik bringen. Falls diese Standards nicht eingehalten werden können, müssen die betreffenden AKW vom Netz genommen werden, das beschleunigt den Atomausstieg. Wir werden dafür sorgen, dass bei allen AKW noch mindestens eine Periodische Sicherheitsüberprüfung durchgeführt wird und Vorsorge gegen Flugzeugabsturz verlangen.

Die Atomwirtschaft hat bisher die Profite eingesteckt und die Risiken sozialisiert. Wir wollen dagegen die Versicherungspflicht deutlich ausweiten. Außerdem sollen die Rückstellungen für Stilllegung und Rückbau in einen öffentlich-rechtlichen Fonds überführt werden. Aus unserer Sicht ist der Atomausstieg erst vollendet, wenn alle Anlagen des Kernbrennstoffkreislaufs wie die Urananreicherungsanlage Gronau und die Brennelementeproduktion Lingen geschlossen sind; das ist unser Ziel.

Auch AKW jenseits unserer Grenzen bergen hohe Sicherheitsrisiken. In einer künftigen Bundesregierung werden wir daher Verhandlungen mit den betreffenden Nachbarländern über die Sicherheitsstandards führen und Unterstützung bei der Energiewende anbieten. Wir werden die Aahus-Konvention so in deutsches Recht umsetzen, dass BürgerInnen Zugang zu Information und Einspruchsmöglichkeiten haben. Der Atomausstieg ist unglaubwürdig, wenn Deutschland zugleich AKW-Projekte im Ausland unterstützt. Hermes-Bürgschaften für AKW wollen wir deshalb sofort und endgültig stoppen.

Die Energiewende muss auch in der Forschung stattfinden. Forschung zur weiteren Nutzung der Atomenergie und zur Kernfusion ist nicht zukunftsfähig. Anstatt Geld für die kerntechnische Transmutation und das Kernfusionsprojekt ITER zu verschleudern, werden wir öffentliche Forschungsmittel für Transformationsforschung einsetzen, die technologische Innovation und gesellschaftliche Verankerung der Energiewende unterstützt.

Der noch eine Million Jahre strahlende Atommüll ist unser aller Müll – ob wir seine Produktion wollten oder nicht. Dafür muss diese Generation die Verantwortung übernehmen und endlich unter breiter BürgerInnenbeteiligung bundesweit, ergebnisoffen, nach wissenschaftlichen Kriterien und transparent den bestgeeigneten Endlagerstandort suchen. Atomindustrie und politische Kräfte, die weiterhin versuchen, den ungeeigneten Standort Gorleben durchzusetzen, werden auf unseren entschiedenen Widerstand treffen. Die Endlagersuche muss komplett von den Verursachern des Atommülls finanziert werden. Atommüllexport wollen wir verbieten.

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Jochen Stay

Jochen Stay, Jahrgang 1965, ist seit seinem 15. Lebensjahr aktiv in außerparlamentarischen Bewegungen, seit Wackersdorf 1985 in der Anti-Atom Bewegung und seit 2008 Sprecher von .ausgestrahlt.

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