Neubaupläne in Temelín sind nicht durch deutschen Strombedarf bedingt
Solche Situationen kommen regelmäßig vor: Deutschland exportiert Strom nach Polen, Polen exportiert zugleich nach Tschechien, Tschechien wiederum nach Deutschland. In der deutschen Handelsstatistik tauchen dann große Stromimportmengen aus Tschechien auf: Im Jahr 2011 waren es rund 7,5 Milliarden Kilowattstunden, die über die Grenze vom östlichen Nachbarn kamen.
Bezieht Deutschland also tschechischen Atomstrom? In der Gesamtbilanz keinesfalls, Deutschland ist nach wie vor Stromexportland. Der Exportüberschuss lag im Jahr 2011 bei 6 Milliarden Kilowattstunden, das Land kann also seinen aktuellen Bedarf auch nach Abschaltung von acht AKW gut selbst decken. Den Importen aus Tschechien stehen Exporte in großem Stil nach Österreich, in die Schweiz, nach Belgien, Luxemburg und eben nach Polen entgegen.
Für den deutschen Markt kann der Strom also nicht bestimmt sein, wenn die Tschechen nun den Bau weiterer AKW planen. Vielmehr geht es ihnen um den heimischen Markt, wenn sie in Temelín, 60 Kilometer von der bayrischen Grenze entfernt, zwei weitere Reaktoren hochziehen wollen. Derzeit sind im Land sechs Druckwasserreaktoren mit einer Gesamtleistung von 3.834 Megawatt am Netz, der Atomstromanteil liegt bei rund 33 Prozent.
Als im März 1987 der Bau der Reaktoren in Temelín begann, waren vier Blöcke vorgesehen. 1990 strich die Regierung das Projekt auf die Hälfte zusammen. Sieben Jahre später schwenkte sie dann aus Furcht vor Energieknappheit im eigenen Land erneut um und holte die Pläne für Block 3 und 4 wieder aus der Schublade. Die beiden Reaktoren des tschechischen Energieversorgers ČEZ könnten zwischen 2020 und 2025 ans Netz gehen, sie sollen eine Gesamtleistung von bis zu 3.400 Megawatt erreichen.
Den GegnerInnen Hoffnung gibt die bislang noch fehlende Finanzierung. Darauf, dass es am Geld fehlt, deutet auch die Forderung der tschechischen Regierung nach einer Art garantiertem Einspeisetarif für Atomstrom hin. Damit habe sie „nun eingestanden, was schon lange evident ist: Atomkraft ist nicht wettbewerbsfähig“, sagt Mycle Schneider, unabhängiger Atomexperte in Paris. Man dürfe „gespannt sein, welche Bank nun abenteuerlustig genug ist, um – zu welchem Preis auch immer – ein paar Milliarden zu riskieren. Wahrscheinlich keine einzige.“ Denn es sei klar, dass ein Einspeisetarif für Atomstrom „nicht degressiv, sondern progressiv“ sein müsse, weil Atomstrom immer teurer statt billiger werde.
Die Anti-Atom-Bewegung in Tschechien allerdings ist schwach. Zwar gibt es die Partei der Grünen und auch eine Mütterinitiative gegen Atomkraft, aber AtomkraftgegnerInnen haben schweren Stand, weil die Regierung immer erzählt, nur Atomkraft schaffe Energieunabhängigkeit von Russland.
In den Nachbarländern sind die Neubaupläne dafür ein großes Thema, zumal sowohl das Land Österreich als auf deutscher Seite die Länder Bayern und Sachsen in das grenzüberschreitende Vorverfahren zur Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) nach der sogenannten Espoo-Konvention auch formal involviert sind. In diesem Zusammenhang bemängelte das österreichische Umweltbundesamt bereits, dass „über die Erdbeben-Gefahr am Standort keine ausreichende Klarheit besteht“. Für Protest sorgt in Deutschland aktuell der Plan der tschechischen Regierung, keinen formellen Erörterungstermin in Deutschland anzusetzen. Der Bund Naturschutz in Bayern kritisiert diesen „Verstoß gegen internationale Vereinbarungen“, und wirft auch der Bundesregierung und der Bayerischen Staatsregierung vor, „sich beim Thema Temelín wegzuducken“.
Schon die beiden bestehenden Blöcke, auch „die Schrottreaktoren aus Südböhmen“ genannt, haben einen miserablen Ruf. Allein in den ersten zehn Jahren seit Inbetriebnahme 2000 hat die Organisation „Atomstopp Oberösterreich“ 130 Störfälle dokumentiert.
Tschechien will aber nicht nur neue Reaktoren bauen, sondern in den kommenden Jahren auch für einen zweistelligen Millionenbetrag das Stromnetz verstärken – was allerdings weniger mit den geplanten Atomreaktoren Temelín 3 und 4 zusammenhängt, sondern vielmehr mit dem Ausbau von Wind- und Solarstrom in Deutschland. Der tschechische Versorger ČEZ ist – neben fünf weiteren tschechischen Unternehmen – an der Leipziger Strombörse als Händler registriert und könnte dann zum Beispiel bei starkem Wind in Deutschland günstigen Windstrom in größeren Mengen einkaufen. Zudem ist Tschechien aber auch Transitland, weil immer wieder Windstrom aus Norddeutschland über Polen und Tschechien nach Bayern fließt.
Dieser Text ist ursprünglich im .ausgestrahlt-Rundbrief Nr. 16 (Mai 2012) erschienen.