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Infomail Standortsuche 043

3. Juli 2019

Jochen Stay

Liebe Freundin, lieber Freund,

in unseren Infomails zur Standortsuche verwenden wir alle möglichen Abkürzungen und Fachbegriffe. Wer zwischen BMU, NBG, StandAG, BGE und BfE die Orientierung verliert, dem*r sei das Glossar auf der .ausgestrahlt-Website empfohlen.


Lernendes Verfahren oder ehernes Gesetz?

Als große Besonderheit des Standortauswahlgesetzes (StandAG) wird von dessen Befürworter*innen ja immer wieder betont, dass es ein noch nie dagewesenes (weil lernendes und selbsthinterfragendes) Gesetz sei. Silke Albin, Vizepräsidentin des BfE, sagte auf der ersten Statuskonferenz im letzten November: „der Gesetzgeber hat uns damit eine ganz besondere Aufgabe auf den Weg gegeben. Dieser Appell, selbsthinterfragend und lernend zu sein, der will in der Praxis gelebt sein. Das muss bei den Inhalten ansetzen (…). Das muss aber auch das Verfahren selbst betreffen. Im Ergebnis muss jederzeit ein korrigierender Kurswechsel möglich sein.“

Bisher konnte man das so verstehen, dass das Gesetz geändert wird, wenn neue Erkenntnisse vorliegen oder wenn sich herausstellen sollte, dass die dort festgelegten Regelungen unpraktikabel oder nicht zielführend sind.

Am letzten Wochenende diskutierten in der evangelischen Akademie Loccum Protagonist*innen und Kritiker*innen des Standortauswahlverfahrens bei einer Tagung zum Thema. Erstaunliches war da aus dem Munde der Vorsitzenden des Bundestags-Umweltausschusses, Sylvia Kotting-Uhl (Grüne) und von Michael Sailer, Vorsitzender des dem Umweltministerium zuarbeitenden Beratergremiums Entsorgungskommission (ESK) zu hören. Entgegen aller bisherigen Ankündigungen vom lernenden Verfahren beharrten beide darauf, dass das Standortauswahlgesetz (StandAG) auch mittelfristig nicht mehr geändert werden soll.

Entzündet hatte sich die Debatte an den im Gesetz festgelegten Rahmenbedingungen der sogenannten „Fachkonferenz Teilgebiete“. Diese soll nach der für Herbst 2020 angekündigten Veröffentlichung der ersten offiziellen Karte (mit aus Sicht der BGE für die Atommüll-Lagerung untersuchungswürdigen Gebieten) stattfinden. In der Fachkonferenz sollen die Betroffenen eine Stellungnahme zum Zwischenbericht der BGE erarbeiten. Als Zeitrahmen ist dafür im StandAG ein halbes Jahr vorgesehen, mit maximal drei Sitzungen. Die Profis aus den Behörden haben bis dahin schon drei Jahre Vorsprung. Wie betroffene Bürger*innen, also ehrenamtliche Laien, dies in so kurzer Zeit alles nachvollziehen können sollen und sich dann auch noch eine eigene Meinung bilden, ist schwer vorstellbar. Da böte sich also eine Gesetzesänderung an – so wie bei vielen weiteren Schwachstellen des Verfahrens.

Doch die wird es nicht geben. Begründet haben Kotting-Uhl und Sailer dies mit der Gefahr, dass bei einer Novellierung des Gesetzes Begehrlichkeiten von allen Seiten kommen – dass das Gesetz dann deutlich schlechter wird, als es jetzt ist. Auch Mitglieder des Nationalen Begleitgremiums (NBG) teilen diese Position.

Paradox daran ist nicht nur, dass ein lernendes und selbsthinterfragendes Verfahren keinen Sinn macht, wenn dabei nicht auch das Gesetz neuen Erkenntnissen angepasst werden kann. Paradox ist auch, dass die Befürworter*innen des StandAG ja immer behaupten, es gäbe einen breiten gesellschaftlichen Konsens, der sich im Gesetz widerspiegle. Mit diesem Konsens kann es aber nicht weit her sein, wenn die Befürchtung stimmt, dass einem das Ganze um die Ohren fliegt, wenn man es nochmal aufmacht. Wenn diese Einschätzung stimmt, dann fährt der Prozess so oder so gegen die Wand, wenn der Bundestag zum Abschluss jeder Phase des Suchprozesses entscheiden muss, ob er die Standortempfehlungen der Behörden übernimmt oder verändert.

Die Idee der Gesetzes-Bewahrer*innen: Sie wollen statt echter Reversibilität kreative Auslegbarkeit. Beispiel Teilgebietskonferenz: Da könne man ja etwa zwischen den drei erlaubten offiziellen Sitzungen weitere Treffen machen, die dann halt nicht „Sitzung“ heißen. Klar, jedes Gesetz sollte nicht so eng formuliert sein, dass es da keine praktischen Spielräume bei der Umsetzung gibt. Auch das StandAG bietet da Möglichkeiten. Aber dieser Vorteil wandelt sich schnell zum Nachteil, wenn es Konflikte um die Auslegung gibt. Wer entscheidet darüber, was wie ausgelegt werden darf? Wo ist Kreativität erlaubt und wo verlangt das BfE enge Gesetzestreue? Das führt am Ende zu fehlender Rechtssicherheit, zu Willkür, zu weniger Transparenz und damit schwindender Legitimation – ein Brandbeschleuniger für kommende Konflikte.


Einschränkung des Rechtsschutzes: legal, aber nicht sinnvoll

Das Nationale Begleitgremium (NBG) hat zwei Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, die die Frage klären sollten, ob die Beteiligung und der Rechtsschutz im StandAG den europäischen Vorgaben entsprechen. Beide Gutachter sagen: ja, alles weitgehend rechtmäßig, wobei ein Gutachter Vorschläge macht, wie das Gesetz noch zu verbessern sei (was aber, siehe oben, nicht angepackt wird). Der NBG-Vorsitzende, Klaus Töpfer kommentierte, es sei eine gute Nachricht, dass die Rechtsgutachten die Richtigkeit des Gesetzes bestätigt haben. Doch damit ist ja die Kritik an der Einschränkung des Rechtsschutzes bei der Standortsuche nicht vom Tisch. Zwar ist nun bestätigt, dass das Gesetz europäischen Mindeststandards genügt – aber eben auch nicht mehr. Oder anders ausgedrückt: Die Einschränkung des Rechtsschutzes für die Betroffenen im StandAG ist europarechtlich legal – aber deshalb noch lange nicht politisch sinnvoll.


O-Ton: Klaus Brunsmeier, BUND, NBG-Mitglied
„Machen wir uns nichts vor: Die Phase 1 hat schon Halbzeit. Öffentlichkeitsbeteiligung hat nicht stattgefunden und Transparenz gibt es nicht.“
So wörtlich geäußert auf der ersten BfE-Statuskonferenz

Buchtipp
Achim Brunnengräber: Ewigkeitslasten
Die „Endlagerung“ radioaktiver Abfälle als soziales, politisches und wissenschaftliches Projekt
Erschienen bei der Bundeszentrale für politische Bildung, nur 1,50 Euro
Aus dem Ankündigungstext: „Brunnengräber wendet sich den technischen, politischen und gesellschaftlichen Facetten des Themas zu und zeichnet den sich wandelnden Umgang mit der Atomenergie und ihren Hinterlassenschaften nach. Atommüll sei, so Brunnengräber, keine Alt-, sondern im Gegenteil eine prekäre Zukunftslast: Einerseits müssten dringend Lösungen für die Einlagerung des Atommülls gefunden werden. Andererseits sei diese Herausforderung so komplex, dass kaum absehbar sei, ob, wie und wann sie adäquat bewältigt werden könne.“

Termine
6.-10. August, Wolfenbüttel: „Sommerakademie Atomares Erbe“, veranstaltet vom Trägerkreis Atommüllreport, in dem auch .ausgestrahlt mitarbeitet. Die Sommerakademie richtet sich an Studierende, junge Akademiker*innen und andere interessierte junge Menschen, die Lust haben, sich fünf Tage lang intensiv und interdisziplinär mit dem Umgang mit Atommüll zu beschäftigen. Anmeldeschuss: 21.7.
12. September, Langen, 19 Uhr: Diskussionsveranstaltung zur Suche nach einem Atommüll-Langzeitlager mit Vertreter*innen von BGE, BfE und .ausgestrahlt, veranstaltet von „ByeByeBiblis - Energiewende in der Region“. Neue Stadthalle, Clubraum.
9. November, Hannover: Alternative Statuskonferenz zur Standortsuche. Veranstaltet von .ausgestrahlt, der AG Schacht Konrad, der BI Lüchow-Dannenberg und weiteren Bündnispartner*innen. Genauere Informationen folgen.


Herzliche Grüße

Jochen Stay
und das ganze .ausgestrahlt-Team