Polizei-Kontrolle bei Fukushima
Foto: Alexander Tetsch

Die Atomkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011

Radioaktiv verseuchtes Wasser in den Pazifik?

Japan leitet seit dem 24. August 2023 gefiltertes, aber noch radioaktiv verseuchtes Wasser aus dem havarierten Kernkraftwerk Fukushima Daiichi ins Meer. Wie auch anderswo sollen die radioaktiven Hinterlassenschaften der Atomkraft unsichtbar gemacht werden, weil eine langfristige Lösung nicht existiert.

Auch 13 Jahre nach der Katastrophe müssen die havarierten Reaktoren weiter mit Wasser gekühlt werden. Es existieren keine geschlossenen Kühlkreisläufe, daher nimmt dessen Menge täglich zu. Inzwischen lagern mehr als 1,3 Millionen Tonnen verstrahltes Kühlwasser auf dem Gelände. Dieses Wasser leitet Japan jetzt ins Meer ab. Es wird zwar gefiltert und verdünnt, enthält aber weiterhin diverse Radionuklide – neben Tritium beispielsweise Cäsium 134/137, Strontium 90, Kobalt 60, Kohlenstoff 14 und  Jod 129.

Die Auswirkung von Tritium und der anderen Radionuklide auf das Ökosystem und die Nahrungskette ist wenig untersucht. Langzeitfolgen werden nicht berücksichtigt. Fraglich ist auch, wie sich einzelne Radionuklide im Meerwasser verhalten, in der Nahrungskette anreichern und was für Schäden sie dabei anrichten.

Deshalb: Das Kühlwasser in Fukushima muss weiterhin in Tanks streng kontrolliert aufbewahrt bleiben und darf nicht in den Pazifik geleitet werden.

→ Mehr Details im Forderungsschreiben der Yosomono-Net (Netzwerk von japanischen Anti-Atom-Gruppen im Ausland)

Am 11. März 2011 um 14.46 Uhr ereignet sich vor der Ostküste Japans, 130 Kilometer östlich von Sendai, ein schweres Seebeben (Stärke 9,0 auf der Richterskala). Die Erdstöße verursachen gravierende Schäden im AKW Fukushima Daiichi, die nachfolgende Flutwelle (Tsunami) verschärft die Situation noch. Stromversorgung und Kühlung aller sechs Reaktoren sowie der sieben Abklingbecken mit hochradioaktiven Brennelementen fallen aus. Die Blöcke 4 bis 6 sind wegen Wartungsarbeiten zufällig außer Betrieb, in den Blöcken 1 bis 3 jedoch scheitern trotz Schnellabschaltung alle Versuche, die Reaktoren ausreichend zu kühlen. In allen drei Reaktoren kommt es deshalb zur Kernschmelze und somit zum Super-GAU – in Block 1 bereits am 12. März, in den Blöcken 2 und 3 wenige Tage später. Explosionen in den Blöcken 1 bis 4 zerstören unter anderem die Gebäudehüllen.

Gebäudeschaden am Atomstandort Fukushima Daiichi
Foto: Tepco (Betreiber des AKW Fukushima Daiichi)

Wochenlang ziehen immer neue radioaktive Wolken von Fukushima aus über Japan und/oder den Pazifik. Unter anderem lässt AKW-Betreiber TEPCO mehrfach radioaktiven Dampf ab, um Explosionen im Innern der Reaktoren zu verhindern, die eine noch größere Freisetzung radioaktiver Stoffe zur Folge hätten haben können.

Neben den sechs Reaktoren in Fukushima-Daiichi kommt es aufgrund des Erdbebens auch in den vier Reaktoren des AKW Fukushima-Daini, den drei Reaktoren des AKW Onagowa, im AKW Tōkai-2 sowie in der Wiederaufarbeitungsanlage Rokkasho zu kritischen Situationen wie dem Ausfall von Stromversorgung und/oder Kühlung. Sie können jedoch noch rechtzeitig wieder unter Kontrolle gebracht werden.

Auf einem Bild wird die virtuelle Ausstellung "Fukushima, Tschernobyl und wir" angekündigt

Virtuelle Ausstellung: "Fukushima, Tschernobyl und wir"

Was genau ist in Fukushima und Tschernobyl passiert? Welche Auswirkungen haben die Unfälle bis heute? Die virtuelle Ausstellung gibt Antwort. »

None

Veranstaltungen zum Fukushima-Jahrestag

Zum 13. Jahrestag von Fukushima und 1 Jahr nach Abschalten der letzten AKW in Deutschland zeigt .ausgestrahlt eine Reihe von Online-Veranstaltungen mit verschiedenen Referent*innen. »

FAQ
  • Schon das Erdbeben verursachte so große Schäden an den Reaktoren, dass eine Kernschmelze nicht mehr zu verhindern war. Sicherheitssysteme, die trotz Tsunami noch hätten helfen können, fielen aus ungeklärten Gründen aus, Notfallmaßnah-men kamen zu spät. Der Tsunami selbst verschlimmerte die Situation bloß noch.1

    1IPPNW, Fukushima: Tsunami-Legende, März 2012

  • In dem Becken lagerten 1.535 hochradioaktive, abgebrannte Brennelemente, darunter etliche aus besonders plutonium-haltigem MOX-Brennstoff. Wie in Siedewasserreaktoren üb-lich, liegt das Becken außerhalb des Sicherheitsbehälters. Am 15. März zerstörte eine Explosion die Gebäudehülle. Experten fürchteten, dass Becken und Brennstäbe beschädigt seien, dass Wasser ablaufen und dass die Brennstäbe sich erhitzen könnten; selbst AKW-Betreiber TEPCO hielt eine nukleare Kettenreaktion im Abklingbecken für möglich. In allen Fäl-len wären enorme Mengen radioaktiver Stoffe in die Umwelt gelangt. Das Becken konnte schließlich behelfsmäßig mit Wasser bespeist und stabilisiert werden. Ende 2014 wurden die letzten Brennstäbe entfernt.

  • Schätzungen gehen von 12 bis 53 Petabecquerel (PBq, =Billiarden Becquerel) Cäsium 137 und 150-160 PBq Jod 131 aus, die in Fukushima in die Luft freigesetzt wurden.1 Weil in den ersten Wochen der Atomkatastrophe von Fukushima der Wind meistens nach Osten blies, landeten vier Fünftel (79 %) dieser Emissionen über dem Pazifik, nur ein knappes Fünftel (19 %) über Japan, die restlichen 2 % verteilen sich auf andere Länder.2

    Die direkte radioaktive Kontamination des Pazifiks schätzen die Vereinten Nationen auf 9 PBq Cäsium 137 und 68 PBq Jod-131 allein im Zeitraum 12.03.–30.04.2011; bezüglich der Emissionen davor und danach gibt es keine offiziellen Angaben und keine Studien. TEPCO gab im August 2014 allerdings zu, dass bis zu diesem Zeitpunkt pro Tag 225 Gigabecquerel (Gbq, =Milliarden Becquerel) Cäsium 137 sowie etwa 140 GBq Strontium 90 ins Meer geflossen waren.3

    Bis heute tritt Tag für Tag weiter Radioaktivität in Grundwasser und Ozean aus. Die japanische Regierung plant zudem, radioak-tiv kontaminiertes Kühlwasser bald in großen Mengen ins Meer zu verklappen.4Bereits jetzt stellt die Atomkatastrophe von Fukushima die größte je gemessene singuläre radioaktive Verseuchung der Weltmeere dar.5,5,7

    1Sadiq, An overview of current knowledge concerning the health and environmental consequences of the Fukushima Daiichi Nuclear Power Plant (FDNPP) accident, 2015

    2Stohl, Xenon-133 and caesium-137 releases into the atmosphere from the Fukushima Dai-ichi nuclear power plant, 2012

    3TEPCO, The resulting (and projected) effects brought by purificatioon and drainage of pumped underground water, 25. August 2014

    4IPPNW, Aus den Augen, aus dem Sinn, 10. März 2020

    5IRSN, Synthèse actualisée des connaissances relatives à l’impact sur le milieu marin des rejets radioactifs du site nucléaire accidenté de Fukushima Dai-ichi, 26. Oktober 2011

    6Woods Hole Oceanographic Institution (WHOI), Researchers Assess Radioactivity Released to the Ocean from the Fukushima Daiichi Nuclear Power Facility, 6. Dezember 2011

    7IAEA, Worldwide marine radioactivity studies, Radionuclide levels in oceans and seas, 2005

  • Das Krisenmanagement und die Information der Öffentlichkeit waren katastrophal und verschlimmerten die Auswirkungen des Unfalls in vielen Fällen, anstatt sie zu begrenzen. So ordnete die Regierung zwar Evakuierungen im nahen Umkreis des Unfall-AKW an, hielt die eigenen Berechnungen, wo der radioaktive Fallout niedergehen würde, aber zurück. Evakuierte flohen daher zum Teil in Gebiete, die kurz darauf weit stärker radioaktiv kon-taminiert wurden als die Gegend, aus der sie geflohen waren. Viele ebenfalls hoch belastete Gebiete wurden gar nicht oder zu spät evakuiert. Jodtabletten, die, rechtzeitig eingenommen, die Belastung der Schilddrüse mit radioaktivem Jod hätten ver-mindern können, wurden nur an rund 2.000 Evakuierungshel-fer*innen ausgegeben, nicht aber an die normale Bevölkerung. Tausende von Kindern haben deshalb nun ein massiv erhöhtes Risiko, an Schilddrüsenkrebs zu erkranken. Und anstatt alles zu tun, um die radioaktive Belastung der Bevölkerung dauerhaft so gering wie möglich zu halten, erhöhte die Regierung am 20. April 2011, fünf Wochen nach Beginn der Katastrophe, die Dosisgrenzwerte um das 20-Fache: Statt zuvor 1 Millisievert pro Jahr sollte für Kinder wie Erwachsene eine jährliche Belas-tung von bis zu 20 Millisievert zulässig sein. De facto zwingt dies Hunderttausende, in eigentlich kontaminierten Gebieten zu leben.1 Und das Erziehungsministerium entschied, Schulen in der Provinz Fukushima auch ohne Klimaanlage wieder zu öffnen; radioaktiver Staub, der immer wieder auftritt, gelangt so durch die geöffneten Fenster bis in die Klassenzimmer.2

    TEPCO wiederum wollte am vierten Tag der Katastrophe sogar alle Versuche, die Reaktoren doch wieder zu kühlen, einstellen und die gesamte Atomanlage einfach sich selbst überlassen. Nur eine massive persönliche Intervention des Premierministers verhinderte dies.3

    „Die Regierung und die Aufsichtsbehörde haben nicht dafür gesorgt, die Gesundheit der Anwohner zu schützen und ihr Wohl wiederherzustellen“, hielt die Untersuchungskommission des japanischen Parlaments zu dem Atomunfall fest.4

    1MEXT, Notification of interim policy regarding decisions on whether to utilize school buildings and outdoor areas within Fukushima Prefecture, 19. April 2011

    2New York Times, 25. Mai 2011

    3Spiegel Online, 9. Oktober 2015

    4NAIIC, The official report of The Fukushima Nuclear Accident Independent Investigation Commission (NAIIC) of the National Diet of Japan Executive Report, 5. Juli 2012 (S. 18 19)

  • Dann wäre weit mehr radioaktiver Niederschlag über dem Festland heruntergekommen und weit größere Gebiete wären kontaminiert worden. Tatsächlich wehte der Wind während der ersten Wochen der Katastrophe die meiste Zeit aufs Meer hinaus. Nur rund 19 Prozent der in die Luft abgegebenen Radioaktivität landeten deshalb in Japan. Bei Ostwind hingegen wäre das Land vermutlich durch einen radioaktiv verseuchten Streifen in der Mitte zwei-geteilt worden. Und dass der Großraum Tokio mit seinen rund 50 Millionen Einwohner*innen nicht evakuiert werden musste, war pures Glück: Als die schlimmste Wolke über ihn zog, regnete es dort nicht. Andernfalls, so urteilte der damalige japanische Premierminister Naoto Kan im Nachhinein, „hätte das den Kollaps unseres Landes bedeutet“.1

    1Spiegel Online, 9. Oktober 2015

  • Rund 200.000 Menschen mussten nach Angaben der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) wegen der Atomkatastrophe ihre Heimat verlassen, oftmals binnen weniger Stunden und nur mit den allernötigsten Sachen.1 Sie verloren Haus, Heimat, Hab und Gut, Arbeitsplatz und sozialen Kontext, bisweilen sogar ihre Existenzgrundlage. Viele leben zehn Jahre später noch in Notunterkünften; die psychische Belastung ist groß. Wann und ob sie überhaupt je zurückkehren können, ist oftmals unklar: Selbst nach offiziellen Angaben werden manche Gebiete auf Dauer unbewohnbar bleiben.

    Erklärt die Regierung ein Gebiet hingegen für gesäubert und hebt die Evakuierungsanordnung auf, verlieren die Evakuierten ihr Anrecht auf finanzielle Unterstützung. Schon aus ökonomischen Gründen sind daher viele gezwungen, zurückzukehren, auch wenn die angebliche „Dekontamination“ ihrer Heimat nur sehr unzureichend ist und die Strahlenwerte dort nach wie vor hoch sind.

    Dies gilt erst Recht für all die Regionen, die zwar Fallout abbekommen haben, aber offiziell nicht als nennenswert kontaminiert zählen. Wer hier wohnt, hat nur die Wahl, trotz Strahlung zu bleiben oder auf eigene Faust und (finanzielles) Risiko wegzuziehen. Unzählige Familien hat der Atomunfall deshalb bereits entzweigerissen: Damit zumindest die Kinder in möglichst unverstrahlter Umgebung aufwachsen können, lebt ein Elternteil mit ihnen woanders; der andere bleibt zurück, um seinen Job nicht zu verlieren. 2 Mio. Menschen hätten evakuiert werden werden müssen, wäre die Sperrzone von 20 auf 80 Kilometer um das AKW erweitert worden. Eine solche Erweiterung fordert die US-Atomaufsicht am 17. März 2011 nach Strahlenmessungen mit Hilfe von Drohnen.

    Welche Gesundheitsschäden aufgrund der radioaktiven Belastung noch auftreten werden, lässt sich bisher allenfalls statistisch prognostizieren – die Ärzte der IPPNW gehen von mehreren Zehntausend zusätzlichen Krebserkrankungen sowie von Herz-Kreislauf-Erkrankungen in vermutlich gleicher Höhe im Laufe der kommenden Jahrzehnte in Japan aus.2 Was den Betroffenen aus den kontaminierten Gebieten bleibt, ist die ständige Unsicherheit und Angst: vor Hotspots, radioaktivem Staub, verstrahlten Nahrungsmitteln und einer ungewissen Zukunft.

    1IAEA, Fukushima Nuclear Accident Update, 12. März 2011

    2IPPNW, Critical Analysis of the UNSCEAR Report „Levels and effects of radiation exposure due to the nuclear accident after the 2011 Great East-Japan Earthquake an tsunami“, 5. Juni 2014

  • Sogenannte Dekontaminierungstrupps spritzen die Dächer, Fassaden und Straßen ab, kratzen kontaminierten Staub aus Winkeln und Fugen, stutzen alle Pflanzen drastisch ein, um die kontaminierte Biomasse zu entfernen, tragen in Grünanlagen, Gärten, auf Wiesen und Äckern die obere Erdschicht ab. Bisweilen sichern sie den nackten Boden notdürftig mit Netzen gegen Erosion. Broschüren raten Hausbesitzern, hartnäckigen Fallout im Zweifel mit Backpulver und Essig anzugehen. Der Erfolg der immens aufwändigen Maßnahmen ist indes mäßig: Schon der nächste Regen, Sturm, Waldbrand, Flut, Pollenflug oder schlicht die Dekontaminationsarbeiten nebenan können erneut radioaktive Stoffe herbeitragen – und alles ist aufs Neue verseucht.

    Um den Erfolg der Arbeiten zu dokumentieren und die Bevölkerung zu beunruhigen, stellt die Regierung überall Strahlenmessstationen mit großen Leuchtanzeigen auf. Dass deren Anzeige mit der Realität wenig zu tun hat, ist inzwischen ein offenes Geheimnis: Die Messstellen stehen weit über dem Boden, der zudem zuvor großflächig abgetragen und mit einem massiven, strahlenabschirmenden Fundament aus Beton und Stahl abgedeckt wird. Bleiakkus schirmen die Messgeräte zusätzlich ab. Messungen unabhängiger Organisationen kommen an denselben Orten in der Regel auf deutlich höhere Strahlungswerte. Kein Wunder, dass kaum jemand den offiziellen Angaben noch traut.

  • Ja, denn die radioaktive Kontamination reicht weit über die evakuierten Gebiete hinaus. Mindestens 8 Prozent der Landesfläche beziehungsweise 30.000 Quadratkilometer sind nach Angaben des japanischen Wissenschaftsministeriums mit mehr als 10.000 Becquerel Cäsium 137 pro Quadratmeter verseucht; die Zone erstreckt sich vom AKW bis zu 300 Kilometer weit ins Land.1 Auch Menschen, die weit außerhalb der Evakuierungszone wohnen, werden über Jahrzehnte mit einer erhöhten Strahlenbelastung leben müssen. Die Kläranlage in Yokohama, 300 Kilometer von Fukushima entfernt, hinterlässt seit dem Super-GAU im Jahr 170.000 Tonnen Atommüll: Die Asche aus der Klärschlammverbrennung strahlt.2 Und ein Kind, das beispielsweise in Iwaki-Stadt lebt, also außerhalb der Evakuierungszone, bekommt im Jahr nach dem Super-GAU eine 52-mal so hohe Schilddrüsendosis ab wie vor dem Super-GAU.3

    1Ministry of Education, Culture, Sports, Science and Technology Japan, Extension Site of Distribution Map of Radiation Dose etc., November 2011
    Proll, Japan aktuell: Radioaktives Cäsium erreicht weite Landesteile Japans, 21. November 2011

    2Sato, Vortrag auf der NURIS-Konferenz, April 2015

    3IPPNW, Critical Analysis of the UNSCEAR Report „Levels and effects of radiation exposure due to the nuclear accident after the 2011 Great East-Japan Earthquake an tsunami“, 5. Juni 2014
    UNSCEAR, 2013 Report, Levels and effects of exposure due to the nuclear accident after the 2011 great east-Japan earthquake and tsunami, 2014 (S. 186, § C92 und S. 255, § E43)

  • Ja. In ganz Japan sind nach dem Super-GAU von Fukushima radioaktiv kontaminierte Lebensmittel aufgetaucht: Reis und Fleisch, Fisch und Meeresfrüchte, Milch und Milchpulver, grüner Tee, Gemüse, Obst und Leitungswasser. 1 Nach offiziellen Angaben sind heutzutage nur noch nicht eigens angebaute Lebensmittel wie Wild, wild gesammelte Pilze und Ähnliches über den Grenzwerten belastet.2 Es ist aber fraglich, ob die staatlichen Stichprobenkontrollen auch wirklich alle verseuchten Nahrungsmittel finden. Vor allem Selbstversorger*innen haben ein hohes Risiko, erhöhte Strahlenmengen zu sich zu nehmen.

    Die japanischen Grenzwerte sind zwar niedriger als die der EU. Insgesamt liegen sie aber immer noch um das 20- bis 30-Fache über den Empfehlungen von Foodwatch und IPPNW. Der dauerhafte und ausschließliche Konsum von Lebensmitteln, die nach japanischen Grenzwerten noch zugelassen wären, würde zu einer Strahlenbelastung weit über dem führen, was die Strahlenschutzverordnung für zumutbar hält, und jedes Jahr Zigtausende von Toten fordern.3

    1IPPNW, Critical Analysis of the UNSCEAR Report „Levels and effects of radiation exposure due to the nuclear accident after the 2011 Great East-Japan Earthquake an tsunami“, 5. Juni 2014

    2Ministry of Health Labour and Welfare Japan, Sum up of radionuclide test results reported in FY2015, 30. November 2015

    3Foodwatch/IPPNW, Grenzwerte für die Strahlenbelastung von Lebensmitteln, 20. September 2011

  • Ein besorgniserregender Anstieg der Schilddrüsenkrebsrate bei Kindern. Insgesamt mussten bis März 2020 bereits 211 Kinder wegen metastasierten oder stark wachsenden Krebsgeschwüren in ihren Schilddrüsen operiert werden. Das sind 17 Mal so viele, wie ohne Atomkatastrophe zu erwarten gewesen wären. Bei weiteren 46 besteht akuter Krebsverdacht.1

    Allerdings werden mehr als die Hälfte der ursprünglich gut 380.000 Kinder und Jugendlichen aus der Präfektur Fukushima gar nicht mehr auf mögliche gesundheitliche Auswirkungen untersucht; zudem enden die Untersuchungen mit dem 25. Geburtstag. Und mindestens elf Kinder, die Schilddrüsenkrebs entwickelt haben, wurden sogar aus der Studie ausgeschlossen. Es gibt also berechtigten Grund zur Sorge, dass die wahre Zahl der Krebsfälle nie wirklich bekannt werden wird, zumal Krebserkrankungen oft erst nach vielen Jahren auftreten.

    1IPPNW, Jeden Monat neue Schilddrüsenkrebsfälle, Dezember 2015

  • Vier der 54 Atomkraftwerke, die in Japan vor 2011 liefen, hat der Super-GAU zerstört. Alle anderen 50 wurden binnen 14 Monaten Schritt für Schritt abgeschaltet und blieben es vier Jahre lang. Die japanische Regierung aber hält weiter an Atomkraft fest. Ungeachtet massiver Proteste aus der Bevölkerung gehen seit 2015 einzelne Reaktoren wieder ans Netz. Zehn Jahre nach der Katastrophe sind es insgesamt neun.

  • Einige Länder legten Atomprojekte auf Eis oder erklärten, nun doch auf den Einstieg in die Atomkraft zu verzichten. In Deutschland kam es zu den bisher größten Anti-Atom-Protesten der Geschichte. Die schwarz-gelbe Bundesregierung nahm die erst kurz zuvor beschlossene Laufzeitverlängerung wieder zurück und entzog den acht ältesten Meilern die Betriebsgenehmigung; drei weitere folgten bis 2020. In keinem anderen Land (außer Japan) sind nach Fukushima so viele AKW dauerhaft vom Netz gegangen – ein klarer Erfolg der Anti-Atom-Bewegung. Die sechs größten Reaktoren jedoch sind auch zehn Jahre nach Fukushima noch am Netz; der Brennstoffexport läuft gar unbegrenzt weiter.

Bücher

Bücher zu Fukushima – Unsere Empfehlungen

Alexander Tetsch: „Fukushima 360 Grad - das atomgespaltene Leben"

Fukushima 360Grad.JPG
 

Im Mai 2013 reiste der Fotograf Alexander Tetsch (geb. Neureuter) 4.000 Kilometer quer durch Japan. Anhand von 44 Einzelschicksalen zeigt er, wie sich das Leben für die Menschen vor Ort unwiderruflich verändert hat. Sein Bildband, erschienen in Kooperation mit der Ärztevereinigung IPPNW (Ärzte gegen Atomkrieg), zeigt die tief in den Alltag eingedrungene Präsenz der Nuklearkatastrophe.
204 Seiten, 158 meist großformatige Farbfotografien. Neureuters 2011, ISBN 978-3-00-044733

Katsuhiro Ichikawa 2014: Zuhause in Fukushima. Das Leben danach: Portraits mit Fotos

Zuhause-in-Fukushima.jpg
 

Kei Kondo hat seinen Bio-Bauernhof verloren. Sadako Monma musste ihren Kindergarten schließen. Der Arzt und Diplomat Ryohei Suzuki kehrte nach der Katastrophe nach Fukushima zurück, um im dortigen Krankenhaus zu arbeiten. Judith Brandner erzählt in diesem Buch in 13 sensiblen Porträts, wie sich die Katastrophe von Fukushima auf die dort lebenden Menschen auswirkt. Der japanische Fotograf Katsuhiro Ichikawa hat Judith Brandner bei ihren Recherchen begleitet und die Menschen fotografiert, mit denen sie gesprochen hat. Die Fotos zeigen auf berührende Weise, wie die Menschen heute dort leben und fühlen.
160 Seiten, Kremayr & Scheriau 2014, ISBN-10: 3218009065

Lisette Gebhardt, Steffi Richter (Hrsg.): Lesebuch Fukushima

Lesebuch Fukushima.JPG
 

Kurz nach der Dreifachkatastrophe in Fukushima wurde die Textinitiative Fukushima gegründet, die japanische Texte ins Deutsche übersetzt und so auch diejenigen an der innerjapanischen Debatte um Fukushima teilhaben lässt, die kein Japanisch verstehen. Die Ergebnisse wurden nun in einem Lesebuch veröffentlicht. Das Lesebuch ist interdisziplinär ausgerichtet und enthält vier Themenkomplexe: Atompolitik in Japan, Kunst nach Fukushima, Medienmanipulation durch die Atomlobby und Anti-AKW Proteste nach Fukushima.
Eb-Verlag 2013, 442 Seiten, ISBN:978-3868931037

Susan Boos: Fukushima lässt grüßen

Fukushima lässt grüßen.JPG
 

Man muss sich vorstellen können, was ein Super-GAU in unmittelbarer Nähe mit der eigenen Welt anrichten würde. Nach der Fukushima-Katastrophe reiste Autorin Susan Boos nach Japan, um das Geschehen in den verstrahlten Gebieten zu dokumentieren. Boos analysiert die Ereignisse und fragt: Was wäre, wenn ein solches Unglück in der Schweiz oder in Deutschland geschähe? Wie würde evakuiert? Wohin? Wer räumt auf? Wer trägt die Kosten?
271 Seiten, kartoniert, Rotpunktverlag 2012, ISBN-10: 3858694746

Coulmas, Florian / Stalpers, Judith: Fukushima. Vom Erdbeben zur atomaren Katastrophe

Vom-Erdbeben-zur-atomaren-K.JPG
 

Florian Coulmas und Judith Stalpers schildern in diesem Buch den verheerenden Verlauf des großen Bebens, analysieren, wie es zur Havarie der Reaktoren kommen konnte und beschreiben, wie die japanische Gesellschaft mit der Katastrophe umgegangen ist. Dabei lassen sie persönliche Erfahrungen und Erlebnisse einfließen und hinterfragen die Klischees der westlichen Berichterstattung. So entsteht eine subtile Einführung in das heutige Japan und seine besonderen Mentalitäten, Prägungen und Strukturen. Am Ende steht die Frage nach der Zukunft und den Folgen, die die Katastrophe für das Land haben wird.
192 Seiten, 30 Abbildungen und 8 Tabellen. Paperback, C.H.BECK 2011, ISBN 978-3-406-62563-3

Manga: Daisy aus Fukushima - Ein Comic im japanischen Stil von Reiko Momochi

afef309e11c7b4f93d3e8bedfd7e997f.jpg

Anderthalb Monate nach dem verheerenden Erdbeben vom 11. März 2011 kehrt Fumi an ihre Schule in Fukushima zurück. Es war eine unfreiwillige Schulpause, in der sich so vieles verändert hat … Die Strahlung und die damit verbundene Unsicherheit ist allgegenwärtig: Fumis kleiner Bruder darf nicht mehr draußen spielen und ein kleiner Regenschauer genügt, um die Schüler panikartig unter das Schuldach flüchten zu lassen. Fumi und ihre Freundinnen wollen sich davon aber nicht ihre Jugend kaputtmachen lassen. Doch das ist gar nicht so einfach, denn die Auswirkungen der Katastrophe ziehen immer weitere Kreise …
340 Seiten, von rechts nach links zu lesen, Egmont 2016, ISBN 978-3-770-49162-9

Fotos aus Fukushima
Pfeil links
Pfeil rechts

alle Fotos von Alexander Tetsch aus dem  Bildband: Fukushima 360°

Studien zum Thema

Weiterführende Links