Eric Epstein, 65, lebt unweit des 1979 havarierten Reaktors Three Mile Island 2 Harrisburg. Mit der Initiative Three Mile Island Alert kämpft er gegen die Wiederinbetriebnahme des 2019 eingemotteten Schwesterreaktors TMI 1.
Ich bin in Pennsylvania nahe den AKW Peach Bottom, Susquehanna und Three Mile Island aufgewachsen. Als es 1979 zur partiellen Kernschmelze im Reaktor Three Mile Island 2 kam, war ich in Kalifornien am College. Meine Familie hatte ein Unternehmen in Harrisburg und blieb in der Stadt. Mein Vater und meine Stiefmutter lebten in Lancaster, 40 Kilometer weiter. Nach dem Unfall flohen sie nach Wilmington, Delaware, 110 Kilometer vom Reaktor entfernt. Meine Stiefmutter war damals im ersten Trimester schwanger mit meinem Bruder. Eigentlich hatte der Gouverneur nur Schwangere und kleine Kinder im Umkreis von acht Kilometern rund um das AKW aufgefordert, die Gefahrenzone zu verlassen. Doch statt 5.000 Menschen verließen 144.000 die Region oder wurden evakuiert. Zahlreiche Menschen, die in der Nähe des Kraftwerks lebten, erkrankten oder starben in den folgenden Jahren. Viele weitere litten unter den psychischen Belastungen, und der Umgang der Regierung und des Betreibers mit dem Unfall machte die Sache nicht besser. Sie streiten bis heute ab, dass das Folgen des Reaktorunfalls waren. Es gab viele Rechtsstreitigkeiten, die Leute waren erschöpft. Three Mile Island 1, der andere Reaktor, war zum Zeitpunkt des Unfalls wegen eines Brennelementwechsels abgeschaltet und wurde 1985 wieder in Betrieb genommen. Danach wollten die Leute mit der Sache abschließen und nicht mehr drüber nachdenken.

Für mich hat Atomkraft nie einen Sinn ergeben, und der Unfall hat mich noch einmal darin bestärkt, dass sie zu riskant ist. Aktiv wurde ich erstmals 1978 in Kalifornien, wo ich Politikwissenschaften studierte, gegen das AKW San Onofre. 1984 zog ich dann nach Harrisburg und wurde Mitglied der 1977 gegründeten Organisation Three Mile Island Alert (TMIA).
TMIA hat sich immer für mehr Transparenz und Sicherheit eingesetzt. Zum Beispiel haben wir ein unabhängiges Strahlungsüberwachungssystem eingerichtet, das Messergebnisse in Echtzeit lieferte. Außerdem haben wir über 30.000 Jodtabletten verteilt, die helfen sollen, das Schilddrüsenkrebsrisiko zu reduzieren, falls es zu einem weiteren Atomunfall kommt. Das Three-Mile-Island-Archiv, das wir eingerichtet haben, sammelt Quellen über Three Mile Island, man findet dort alles von Dokumenten der Atomaufsicht (Nuclear Regulatory Commission, NRC) über Protestbanner bis hin zu T-Shirts und Buttons. Und unsere Webseite nutzen wir, um die Leute auf dem Laufenden zu halten. Dort findet man zum Beispiel auch viele Augenzeugenberichte über den Reaktorunfall.
Three Mile Island 1 wurde abgeschaltet, weil er total unwirtschaftlich war. Den inzwischen 50 Jahre alten Reaktor nun wieder hochzufahren und seine Laufzeit sogar um 20 Jahre bis 2054 zu verlängern, wie der Betreiber es vorhat, ist eine schlechte Idee. Das ist völlig antiquierte Technik aus den 1960er Jahren! Dafür gibt es keine Ersatzteile mehr, und Personal zu finden, wird auch schwierig sein. Über eine Wiederinbetriebnahme sprechen wir nur, weil die US-Regierung ein Darlehen in Höhe von 1,6 Milliarden Dollar zu sehr, sehr großzügigen Bedingungen gewähren und Microsoft den gesamten Strom kaufen will. Mit einem freien Markt hat das nichts zu tun: Hier privatisieren die Kapitalist*innen die Gewinne und sozialisieren die Kosten.
Auf der Insel Three Mile Island im Fluss Susquehanna, nach der das AKW benannt wurde, lagern schon jetzt 700 Tonnen hochradioaktive Abfälle aus Reaktor 1. Sollte dieser wirklich nochmal in Betrieb gehen und so lange weiterlaufen wie geplant, kämen nochmal Hunderte Tonnen hinzu. Der zerstörte Reaktorkern und geschmolzene Brennstoff aus Reaktor 2 wurden ins Idaho National Laboratory verfrachtet. Trotzdem strahlt Reaktor 2 immer noch, obwohl die Aufräumarbeiten bis 1993 gedauert und fast eine Milliarde Dollar gekostet haben.
„Für mich hat Atomkraft nie einen Sinn ergeben, und der Unfall hat mich noch einmal darin bestärkt, dass sie zu riskant ist.“
Dieses Wiederinbetriebnahmeprojekt ist auch eine Imagekampagne für die Atomindustrie. Die hat keinerlei Erfolge vorzuweisen – ganz im Gegenteil hat sie Milliarden in den Sand gesetzt, zu Lasten der Stromkund*innen und Steuerzahler*innen. Trotzdem setzt die Politik auf Atomkraft statt auf Vielfalt in der Energieversorgung. Wenn man den Klimawandel bekämpfen will, ist das das Worst-Case-Szenario: Man investiert in eine Technologie, die immer hinter dem Zeitplan zurückbleibt und immer über dem Budget liegt. Es kommt mir vor wie ein schlechter Film – Walt Disney trifft Frankenstein.
Eine politische Debatte um Atomkraft gibt es hier nicht. Ex-Präsident Biden, Präsident Trump, Gouverneur Shapiro, die Legislative von Pennsylvania, die Gewerkschaften – alle sind dafür. Da kommen viele Dinge zusammen im Moment: Bidens Inflation Reduction Act hat leider auch immense Gelder für die Atomkraft bereitgestellt. Mit dem Hype um neue Rechenzentren sind Effizienz und Verbrauchsreduktion plötzlich kein Thema mehr. Man will wieder mehr, mehr, mehr von allem. Und außerdem ist Atomkraft das einzige Thema, bei dem sich Demokraten und Republikaner einig sind. Gegen diesen Pro-Atomkraft-Zeitgeist kommt man mit gesundem Menschenverstand kaum noch an. Kritisch sind vor allem Ältere, die den Unfall noch miterlebt haben.
Als der Energiekonzern Constellation Energy Anfang September bekanntgab, dass er plane, Three Mile Island 1 wieder in Betrieb zu nehmen, waren wir nicht überrascht. Gerüchte darüber kursierten schon seit Monaten. Trotzdem war es gewissermaßen ein Schock. Als der Reaktor 2019 vom Netz ging, dachten die meisten von uns, dass der Kampf nun gewonnen sei. Aber schon im August 2024 standen wir wieder am Tor zu Three Mile Island und hielten Schilder hoch mit den Namen von Freunden, die nach dem Unfall an Krebs gestorben waren. Gene Stilp, ein Mitstreiter von TMIA, hat bei dieser Aktion bewusst die gelbe Linie zwischen öffentlichem Grund und Betriebsgelände überschritten, um auf dieses Unrecht aufmerksam zu machen. Wir werden immer wieder dort stehen und protestieren. Zum Glück sind wir nicht allein: Andere regionale Gruppen sind ebenfalls weiter oder wieder aktiv, und wir sind auch mit Gruppen an anderen Standorten vernetzt.
Im Moment konzentrieren wir uns auf die rechtlichen Auseinandersetzungen mit der Atomaufsicht (NRC), dem Umweltministerium (Department of Environmental Protection) und der für die Bewirtschaftung der Wasserressourcen des Susquehanna Rivers zuständigen Susquehanna River Basin Commission. Leider ist die NRC nicht nur für die Überwachung der Atomkraft zuständig, sondern auch für deren Förderung. Das ist natürlich fatal. Als Partner der Atomindustrie steht sie kritischen Bürger*innen sehr feindselig gegenüber. Das macht es schwer, einen Prozess zu gewinnen. Aber wir geben nicht auf.
Denn die Pläne, den Reaktor wieder in Betrieb zu nehmen, können immer noch scheitern. Denn wir wissen zum Beispiel, dass es Probleme gibt mit den Rohren in den Dampferzeugern. Deswegen wollen wir beim unabhängigen Ausschuss für Atomsicherheit der NRC, dem Atomic Safety and Licensing Board (ASLB), Beschwerde einlegen. Das hat bei einem ähnlichen Problem in San Onofre entschieden, dass die Dampferzeuger ausgetauscht werden müssen. Weil das dem Betreiber zu teuer war, hat der die Reaktoren daraufhin stillgelegt. Von der Susquehanna River Basin Commission wissen wir außerdem, dass nicht genug Wasser für die Kühlung des Reaktors zur Verfügung steht. Auch der lange Stillstand der Anlage wird Spuren hinterlassen haben.
Die nächste Generation von Aktivist*innen braucht einen guten und realistischen Plan. Trump wird den Ausbau der Erneuerbaren in den USA zwar ausbremsen, aber nicht stoppen können. Andererseits haben die fossile und die Atomindustrie viel Geld und mächtige Unterstützer*innen. Ich hoffe, dass nicht noch ein schrecklicher Unfall passieren muss, bevor die Leute umdenken.
Interview: Bettina Ackermann,
Übersetzung und Protokoll: Anna Stender
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