Verschwendung von Geld, Zeit & Ressourcen: Italien träumt von der Atomkraft

07.03.2025 | Jan Becker
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Foto: wikimedia / Simone Ramella / CC BY 2.0

„Es wird keine Großkraftwerke mehr geben, das ist etwas anderes.“ Mit diesen Worten unterstreicht Gilberto Pichetto Fratin, Italiens Minister für Umwelt und Energiesicherheit, die Pläne, wieder zur Atomkraft zurückzukehren. Geträumt wird von „Minimeilern“ und Atomfusion. Dahinter verbirgt sich allerdings „plumpes Atomlobby-Marketing“. Es werden Milliarden Euro in den Sand gesetzt.

Der GAU von Tschernobyl rüttelte die italienische Bevölkerung wach und führte 1987 zu einem Anti-Atom-Referendum. Die letzten beiden aktiven Atomkraftwerke wurden am 1. Juli 1990 für immer abgeschaltet. Bekräftigt wurde diese Entscheidung nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima, bei dieser Volksabstimmung mit 57 % Wahlbeteiligung lehnten 94,1 % der Abstimmenden den Wiedereinstieg in die Atomkraft ab. Nun wackelt diese Haltung – zu Gunsten völlig unrealistischer Ziele.

Die Regierung unter der rechtsgerichteten Giorgia Meloni kündigte im Mai 2024 an, künftig in die Atomkraft investieren zu wollen. Die Klimaziele sollen mit Hilfe der angeblich CO2-armen Atomenergie erreicht und die Versorgungssicherheit mit Energie auch in Bezug auf Engpässe mit Blick auf den Ukraine-Krieg sicher gestellt werden. Zwei leicht zu widerlegende Argumente. Trotzdem wurden kürzlich Vereinbarungen getroffen, welche den Zeitplan und die Methoden für die Umsetzung dieser Kehrtwende festlegen: Innerhalb der nächsten zwölf Monate muss die Regierung Gesetzesverordnungen zum Rückbau der alten AKW, der „Entsorgung“ der nuklearen Abfälle aber auch zur Forschung für Nukleartechnik und dem Neubau von Atomkraftwerken erlassen.

„Wir reden hier nicht über Fahrräder, sondern über Ferraris.“, so verteidigt Umweltminister Gilberto Pichetto Fratin den Gesetzentwurf, der seiner Meinung nach nicht im Widerspruch zum Referendum stehe. Man blicke in die Zukunft, es sei nicht geplant, wieder „Großkraftwerke“ zu bauen. Seine Regierung sei daran interessiert, kleine modulare Reaktoren (SMR) zu errichten, die in der Lage seien, „Atommüll zu verbrennen und Wasserstoff zu produzieren“. Der Plan sieht auch Investitionen in die Atomfusion vor. Der Traum von Pichetto, der „saubere, sichere und billige Energie“ verspricht: „Im Jahr 2027 werden wir das erste Licht des italienischen Atoms anzünden.“

Italien verschwendet Geld, Zeit & Ressourcen

Diese bedeutende Wende in der nationalen Energiepolitik sei „ein Irrweg, der zudem auch das Ergebnis von zwei Volksabstimmungen übergeht“, attestiert die italienische NGO „100% Rinnovabili Network“ in ihrem aktuellen „Report sui costi del nucleare“. Der Strom aus SMR, sollten sie denn in Italien (oder anderswo) gebaut werden, werde sogar noch teurer sein, als jener aus großen AKW, die schon nicht wirtschaftlich arbeiten. Bis heute gibt es keine Marktreife für SMR, im Gegenteil wenden sich einige Länder aus Kostengründen von diesem Konzept wieder ab. Mycle Schneider, Herausgeber des „World Nuclear Industry Status Report“, hält SMR für eine „orchestrierte Schaumschlägerei“ und einen „Riesenhype“.

Kleine Meiler, großer Hype
In Betrieb ist noch so gut wie keiner, medial aber propagiert die Atomlobby sie als das nächste große Ding. Was steckt wirklich hinter dem Hype um kleine modulare Reaktoren (SMR)?

Das Ziel der Energiesicherheit und einer größeren Unabhängigkeit von ausländischen Rohstoffen sei mit Atomkraft nicht erreichbar, warnt die Energieexpertin des Klima-Thinktanks Ember, Beatrice Petrovich. Denn Italien müsste 100% des benötigten Urans importieren. Das Land könnte stattdessen - so wie die allermeisten Länder Europas - seinen Strombedarf zu 100% aus erneuerbaren Quellen decken, schlägt das „100% Rinnovabili Network“ vor. Mit der Entscheidung zur Rückkehr zur Atomkraft verschwende Italien hingegen Geld und Ressourcen – und verzögert die Energiewende. Für gefährlichen und teuren Atomstrom würden Milliarden Euro in den Sand setzen, die für die Erneuerbare Energie und die Gebäudesanierung dringend gebraucht werden.

Es handle sich um „plumpes italienisches Atomlobby-Marketing“, bringt es Herbert Stoiber von atomstopp atomkraftfrei leben! aus Österreich auf den Punkt. SMR suggerieren, sollten sie irgendwann gebaut werden, sie würden klein, schnell auf- und abbaubar und damit irgendwie ungefährlich sein. SMR seien „nur ein weiterer Versuch der Atomlobby und ihr höriger Politiker_innen, mit immer neuen Volten von ihrem Versagen auf ganzer Linie abzulenken“, so Stoiber.

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Auszüge: euractiv.de, salto.bz, de.futuroprossimo.it, agenzianova.com, wikipedia.org, oekonews.at

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Jan Becker

Jan Becker hat jahrelang die Webseite www.contrAtom.de betrieben und täglich aktuelle Beiträge zur Atompolitik verfasst. Seit November 2014 schreibt der studierte Umweltwissenschaftler für .ausgestrahlt. Jan lebt mit seiner Familie im Wendland. Mit dem Protest gegen regelmäßig durch seine Heimatstadt Buchholz i.d.N. rollende Atommülltransporte begann sein Engagement gegen Atomenergie, es folgten die Teilnahme und Organisation zahlreicher Aktionen und Demonstrationen.

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