Kurz vor der Bundestagswahl wird Markus Söder (CSU) noch einmal sehr deutlich: Der Atomausstieg sei ein „fundamentaler Fehler“, er will Atomfusionskraftwerke bauen und drei alte AKW reaktivieren. Doch eine Renaissance der Atomenergie ist nur ein „frommer Wunsch“ - und selbst Bayern braucht die Atomkraft nicht.
2011, nach dem Reaktorunglück von Fukushima, war es Markus Söder, dem ein Atomausstieg bis 2022 nicht schnell genug ging. Er drohte gar mit seinem Rücktritt. Die Atomkraft gehöre nicht zum Markenkern der CSU, hieß es damals. Ausgerechnet Bayern, dessen Wirtschaft und Wohlstand maßgeblich der Atomenergie zu verdanken war, wurde damals zur Speerspitze des Ausstiegs. Horst Seehofer bezeichnete den Atomausstieg als „unumkehrbar“. Über ein Jahrzehnt hatten CDU und CSU Zeit, die Laufzeiten der damals noch aktiven Meiler erneut zu verlängern...
Und nun? Es ist tatsächlich eine „Schwachsinnsdebatte“, so wie Robert Habeck (Grüne) es kürzlich formulierte, denn es wird in Deutschland kein Atom-Comeback geben. Kein Betreiber ist bereit, einen abgeschalteten Meiler ernsthaft zu „reaktivieren“. Selbst wenn, wäre es teuer und würde Jahre dauern, bis wieder Strom produziert würde. Wer genau Söder beraten hat, dass ein AKW-Restart angeblich „zeitnah“ erfolgen könne und die Kosten „nicht sehr groß“ seien, danach fragte der BR drei bayerische Ministerien und die Staatskanzlei - eine inhaltliche Antwort gab es nicht. Der bayerische Energieminister Hubert Aiwanger schätzte vor drei Monaten allein den Aufwand für einen Neustart von Isar-2, dem zuletzt (15.04.2023) abgeschalteten deutschen Meiler, auf drei bis vier Jahre und Kosten von mehreren Milliarden Euro... Vergessen werden darf in dieser Debatte nicht: nirgendwo auf der Welt hat es einen solchen „Restart“ bisher gegeben. Eine belastbare Prognose zu Aufwand und Kosten ist daher fast unmöglich.
Die Atomenergie ist „sicherlich keine Lösung, das ist einfach viel zu teuer, viel zu langsam und viel zu gefährlich“, warnt deshalb aktuell der Klimaforscher Niklas Höhne, Mitautor des IPCC-Reports. Ihm fehlt der Aspekt Klimaschutz in der aktuellen Debatte - in der Atomkraft aus genannten Gründen nicht taugt. „Es gibt kein einziges AKW weltweit, das sich ökonomisch rechnet“, so Joe Käser, ehemaliger Siemens-Chef und derzeit Vorsitzender von Siemens Energy. Die stattdessen angepriesenen „Mini-Atomkraftwerke“ existieren heute nur auf dem Papier, ob sie jemals flächendeckend zum Einsatz kommen, ist höchst zweifelhaft.
- Auch die Wirtschaft lehnt ein „AKW-Comeback“ ab
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Außerdem: Der Traum von der unendlich verfügbaren und billigen Energie aus Atomfusion ist halt nur ein Traum, das nächste haltlose Versprechen der Atomfans. Die technischen Herausforderungen sind gigantisch, die Wirtschaftlichkeit nicht gegeben. Trotzdem kündigt Markus Söder an, er wolle „die Fusions-Chance“ nutzen - und hat Hochschulen zum Aufbau von deutscher „Fachkompetenz“ im Bereich Fusion „zunächst 100 Millionen Euro“ zur Verfügung gestellt. Man hätte auch „Lehrstühle für Warp-Antrieb ausschreiben können“, bringt es ein Experte in der Süddeutschen auf den Punkt.
Bayern braucht Atomkraft nicht
Weil dieses Södersche Wahlkampf-Getöse auch die Wirtschaft verunsichert, melden sich nun zum Beispiel die Stadtwerke Bayreuth zu Wort. Das Unternehmen vertreibt „Strom made in Oberfranken“, der zu 100 Prozent aus Erneuerbaren Energien stammt. Eine Rückkehr zu Atomstrom wäre „blanker Unsinn“, so der Stadtwerke Chef Markus Rützel. Die Wirtschaft brauche einen verlässlichen politischen Rahmen, wer die „Abkehr von der Energiewende“ und den Abriss von Windkraftanlagen einfordere, gehe den falschen Weg.
Deutschlandweit stammte im vergangenen Jahr mehr als die Hälfte des verbrauchten Stroms aus erneuerbaren Quellen. Würde man alle Windkraftanlagen abschalten, würden in Deutschland rund 140 Terrawattstunden Strom fehlen, das wären über 26 Prozent des gesamten Stroms - und damit in etwa so viel, wie die Atomenergie zu ihren Höchstzeiten in Deutschland je erreicht hat, bringt es Rützel auf den Punkt.
Für die Zukunft des Wirtschaftsstandortes Bayern ist der zügige und konsequente Ausbau der erneuerbaren Energien jetzt alternativlos, fordert auch Rudolf Hanisch, Buchautor, zwischen 2005 bis 2009 Vorstandsvize der BayernLB und zuvor unter Ministerpräsident Edmund Stoiber Chef der Staatskanzlei. Bayern sei „auf einem guten Weg, sich perspektivisch wieder selbst mit bezahlbarer, sicherer und sauberer Energie zu versorgen“, wenn es denn bei Windkraft und Speichern deutlich zulege. „Eine Renaissance der Atomenergie ist nur ein frommer Wunsch“, so Hanisch.
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