Wenn selbst führende Manager aus der Energiebranche ein „Comeback“ der Atomenergie in Deutschland ablehnen, sollte die Politik darauf hören.
Auch wenn wir uns derzeit im Wahlkampf befinden und damit politische Aussagen oft auf die Goldwaage gehören, diese hier von Bundeskanzler Olaf Scholz brachte es kürzlich erneut auf den Punkt: „Das ist alles hanebüchen, was da diskutiert wird“. Gemeint ist die Träumerei einiger führender Politiker u.a. aus Union, künftig in Deutschland neue Atomkraftwerke zu bauen – oder gar alte Meiler zu „reaktivieren“.
Statt einer Rückkehr zur Atomenergie benötige Deutschland „eine Strategie, wie wir die Versorgungssicherheit tatsächlich gewährleisten und wie wir Atomkraft und Kohle ersetzen können“, fordert zum Beispiel RWE-Chef Markus Krebber. Der Konzern gehörte einst zu den größten Atomstromversorgern und ist Inhaber von AKWs, deren „Reaktivierung“ diskutiert wird. Das Thema Atomenergie entscheide sich „rein kommerziell“, unterstreicht Krebber. „Es wird in Deutschland kein privates Unternehmen geben, das Geld in neue Atomkraftwerke investiert", brachte es E.on-Chef Leonhard Birnbaum auf den Punkt.
Würde die Politik dennoch Atomkraftwerke bauen wollen, gibt es viele Gründe, die dagegen sprechen: Nur der Steuerzahler könnte zu einem solchen kostspieligen Abenteuer gezwungen werden. Die meisten ehemaligen Beschäftigten der Atomkraftwerke dürften inzwischen im Ruhestand sein oder die Branche gewechselt haben. Um wirtschaftlich Strom erzeugen zu können, müssten Atomkraftwerke wie früher Vorrang vor anderen Energieträgern haben. Das würde Investitionen in günstigere Erneuerbare Energien entwerten.
Bevor auch nur an neue Atommeiler gedacht werden kann, müsste die Frage der „Endlagerung“ und ihrer Finanzierung geklärt werden. Bekanntlich gibt es weder einen Ort für den Abfall, sondern nur unsichere Zwischenlagerhallen, die den Standorten wohl noch über 100 Jahre erhalten bleiben. Niemand kann heute die Kosten für den Bau und Betrieb eines „Endlagers“ seriös abschätzen. Die deutschen „Pilotprojekte“ für die Endlagerung in Gorleben, Morsleben und Asse-2 sind gescheitert.
Auch die hohen Betriebsrisiken schrecken ab, nirgends gibt es eine Versicherung, die für die Risiken eines GAUs geradestehen würde. Um ein AKW wirklich sicher zu machen, wird es „extrem teuer“, unterstreicht Gunar Hering, Leiter von Enertrag, einem der großen deutschen Player für erneuerbare Energien.
Frankreich geht mit schlechtem Beispiel voran
Das AKW Flamanville-3 in der Normandie hat am 21. Dezember 2024 zum ersten Mal Strom ans lokale Netz abgegeben. Der Bau von Flamanville-3 begann 2007, die Fertigstellung war ursprünglich für 2012 geplant. Die Kosten sind laut einer Berechnung des französischen Rechnungshofs von geplanten 3,3 auf 23,7 Milliarden Euro angestiegen. Der deutsche Bundeskanzler Scholz bezifferte kürzlich die Kosten für einen AKW-Neubau in Deutschland sogar mit 40 Milliarden Euro.
Während der Rechnungshof empfiehlt, dass die französische Regierung nicht mehr in Atomkraft investieren soll und der Versorgungskonzern selbst von einem „Misserfolg“ spricht, sieht Präsident Macron einen „großen Augenblick“ für sein Land. Bis zu 13 Reaktoren sollen seiner Meinung nach in den nächsten Jahren errichtet werden. Dazu wird es wohl nicht kommen.
Was für die Energiewende spricht
Schon heute spielen grüne Energien eine ganz zentrale Rolle für den Wirtschaftsstandort Deutschland: 55 Prozent unserer Elektrizität waren 2024 erneuerbar, Tendenz steigend. Der Umbau der Energieversorgungsstruktur in Deutschland schreitet voran, wenn auch zu langsam. Erneuerbare Energien brauchen flexible Backup-Kapazitäten, um die sogenannten „Dunkelflauten“ zu überbrücken. Atomkraftwerke sind dafür denkbar ungeeignet. Weitaus sinnvoller und kostengünstiger sind Speicher, deren Preise im Sinkflug sind. Es braucht laut Gunar Hering einen „deutlichen Ausbau von Wind- und Solarenergie“, der allerdings regional gesteuert ist, sodass er volkswirtschaftlich günstig bleibt.
Die Forderung nach einem Rückbau der Erneuerbaren, wie sie manche Politiker erheben, gefährdet das Investitionsklima. Energieprojekte sind auf Jahrzehnte angelegt. Werden bestehende Anlagen aus politischen Gründen vorzeitig abgerissen, gerät die gesamte Finanzierung der Energiewirtschaft ins Wanken. Wollen die Deutschen zurück zur Atomkraft? Nein, das belegt eine aktuelle Umfrage. Sie wollen Erneuerbare Energien & kein AKW in der Nachbarschaft.
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Quellen (Auszüge): telepolis.de, derstandard.de, taz.de