Oleg Dudar beschreibt aus eigener Erfahrung, wie Rosatom an der Eroberung und Besetzung des ukrainischen AKW Saporischschja beteiligt war und währenddessen und in den folgenden Monaten elementare Regeln und Vorschriften nuklearer Sicherheit missachtete.
Hinweis der Redaktion: Dieses Statement wurde am 21.11.2024 im Rahmen des Erörterungstermins zur Erweiterung der Brennelementefabrik Lingen unter Beteiligung der russischen Atombehörde Rosatom verlesen.
Statment von Oleg Dudar
"Ich, Oleg Dudar, langjähriger Mitarbeiter und einer der Manager des KKW Saporischschja, bin kein Befürworter der Schließung der Kernkraftwerke. Aber in der hier verhandelten Frage unterstütze ich .ausgestrahlt gerne. Zu gefährlich ist das derzeitige Russland im Allgemeinen und Rosatom im Besonderen.
Eine Kooperation mit Rosatom wie die in Lingen geplante ist inakzeptabel. Wir sollten nicht vergessen, dass Rosatom nicht nur ein Betreiber russischer Kernkraftwerke und ein Hersteller von Kernbrennstoff ist, sondern auch ein Entwickler von Waffen, vor allem von Atomwaffen.
Als Einwohner von Energodar, einer Satellitenstadt des KKW Saporischschja, war ich Zeuge der Beschlagnahmung und Besetzung der Stadt und des größten Kernkraftwerks in Europa. Als Fachmann und einer der Leiter des Kernkraftwerks bin ich seit mehr als 2,5 Jahren Zeuge der Beteiligung von Rosatom an diesen Verbrechen sowie an den danach begangenen.
In der Nacht vom 3. auf den 4. März 2022 beobachtete ich auf meinem Computer, live von den Überwachungskameras, die auf dem Verwaltungsgebäude des KKW installiert waren, wie die russische Armee das Gelände des KKW erst mit Panzern, Kampffahrzeugen, Mörsern und Handfeuerwaffen aller Kaliber beschoss und dann besetzte. Der Beschuss dauerte 4 Stunden, aber wie sich später herausstellte, wurden keine sicherheitskritischen oder strahlengefährdeten Anlagen und Gebäude beschädigt. Beispielsweise wurde das Verwaltungsgebäude zerstört, aber die angrenzende Chemiewerkstatt blieb unversehrt. In ihr befanden sich brennbare, explosive und giftige Stoffe, die für das Funktionieren der KKW-Systeme in großen Mengen erforderlich sind. Die vereinzelten Schäden, die an den Gebäuden des Blocks entstanden, konnten keine tödlichen Sicherheitsschäden verursachen. Das Schulungsgebäude wurde irreparabel beschädigt – aber die direkt angrenzenden Simulatoren der Kraftwerksblöcke in Originalgröße nicht. Auch die offenen elektrischen Schaltanlagen des KKW, die Hunderte von Tonnen brennbaren Öls enthalten und deren Beschädigung zur Abschaltung der Kraftwerksblöcke hätte führen können, wurden nicht beschädigt. Aus all dem ziehe ich die offensichtliche Schlussfolgerung, dass der Beschuss und die anschließende Einnahme des KKW Saporischschja durch die russische Armee in enger Zusammenarbeit und Abstimmung mit den Spezialisten von Rosatom erfolgte.
Rosatom hat der russischen Armee damit ein bislang undenkbares Vorgehen ermöglicht: einen Angriff auf ein aktives Kernkraftwerk.
Etwa einen Monat später traf das erste Team von Rosatom-Spezialisten, von dem wir erfuhren, auf dem Gelände des KKW ein. Sie begannen mit der Untersuchung der Lage von Gebäuden, Ausrüstungen und Prozessdiagrammen der Kraftwerksblöcke. Diese Studie wurde zunächst anhand von Dokumenten, Plänen und Anweisungen durchgeführt, und dann begannen diese Leute, die Kraftwerksblöcke und andere Gebäude im KKW zu besichtigen. Sie akzeptierten keine Einwände, jede Kommunikation wurde zusammen mit russischen Militärs durchgeführt, die mit vorgehaltener Waffe dastanden.
Im Laufe der Zeit stellten wir jedoch fest, dass nach dem Studium der technischen Pläne des Kraftwerks ein Mörserangriff auf Anlagenteile erfolgte, die von den Russen zuvor auf den Plänen untersucht worden waren. Sie nutzten das KKW also als eine Art Übungsplatz, auf dem sie beobachteten, wie das ukrainische Personal mit den verursachten Schäden umgehen würde. Denn Russland verfügt über Kernkraftwerke, die größtenteils baugleich mit denen des KKW Saporischschja sind. Aber niemand wird zulassen, dass sie ihre eigenen KKWs bombardieren. Und die bei diesen unmenschlichen Experimenten gewonnenen Erfahrungen könnten sich als nützlich erweisen.
Im Sommer 2022 wurden der gesamte Umkreis des KKW und die angrenzenden Gebiete vermint. In einer Reihe von sicherheitskritischen Bereichen der Kraftwerksblöcke wurde ein Verbot für technische Rundgänge und Ausrüstungsinspektionen verhängt. Daraus haben wir geschlossen, dass diese Räume und Anlagen vermint waren. Die Minen wurden vom Militär gelegt, aber die Standorte der Minen wurden zweifelsohne von Rosatom-Vertretern angegeben. So wurden in allen sechs Kraftwerksblöcken und Nebenanlagen Räume derselben Art gesperrt. Da wir die Art und Bedeutung der dort befindlichen Anlagen kannten, kamen wir zu dem Schluss, dass der Feind die Voraussetzungen für die Verwirklichung eines sehr gefährlichen Szenarios geschaffen hatte, das zu einem Strahlen- und Nuklearunfall führen könnte, dessen Folgen das Ausmaß von Fukushima noch übertreffen könnten. Rosatom ist hieran direkt beteiligt.
Ab Herbst 2022 wurde Druck auf das Personal ausgeübt, um Verträge mit Rosatom abzuschließen und russische Pässe zu erhalten. Dieser Druck wurde über die Abteilungsleiter ausgeübt, die von Beamten des russischen Geheimdienstes FSB zu einem "Gespräch" vorgeladen wurden. Die Listen dieser Manager wurden jedoch auf Geheiß von Rosatom erstellt. Weder das Militär noch der FSB wussten, wer vorgeladen werden sollte, da sie die Aufgaben der Manager nicht kannten.
Die Rosatom-Mitarbeiter interessierten sich für fortschrittliche Technologien und Ausrüstungen, die in den KKWs betrieben wurden. In erster Linie ging es dabei um die Ausrüstung der amerikanischen Unternehmen Westinghouse und Holtec. Rosatom war an Anleitungen, Schaltplänen, Zeichnungen und anderen Unterlagen zu diesen Anlagen interessiert. Rosatom nannte dem FSB die Namen von ukrainischen Spezialisten, von denen man annahm, dass sie über diese Informationen verfügen könnten. Diese Personen wurden gefangen genommen und in Folterkammern gebracht, wo sie unter unmenschlicher Folter und unter Androhung der Hinrichtung gefoltert wurden, um diese Informationen preiszugeben. Ich kenne diese Menschen persönlich, und sie haben mir persönlich davon erzählt.
Es gibt eine ganze Liste von Verstößen von Rosatom gegen die eigenen, russischen Gesetze und Regeln der Nuklear- und Strahlensicherheit, die Grundlage des KKW-Betriebs sind. Die Belegschaft des Kraftwerks wurde von den 11.500 Personen der Vorkriegszeit auf derzeit 2.000 Personen reduziert. Und jeder von ihnen, einschließlich der Führungskräfte, verstößt gegen diese Vorschrift der Gesetze, Regeln und Vorschriften. Darüber hinaus muss die unmittelbare Leitung von Kernreaktoren von Fachleuten übernommen werden, die eine Genehmigung zum Betrieb von Reaktoranlagen erhalten haben, die ebenfalls von der staatlichen Aufsichtsbehörde nach Überprüfung der Einhaltung der einschlägigen Genehmigungsverfahren erteilt wird. Auch gegen diese grundlegenden Anforderungen hat Rosatom verstoßen. Jetzt werden die Reaktorblöcke des größten europäischen Kernkraftwerks von willkürlich bestimmten Personen betrieben, die oft von russischen Kernkraftwerken mit anderen Reaktortypen zwangsrekrutiert wurden. Sie verfügen nicht über die erforderlichen Kenntnisse für einen normalen Betrieb, da unsere Kraftwerksblöcke mit ukrainischen Kontroll- und Managementsystemen sowie elektrischen und instrumentellen Geräten ausgestattet sind. Außerdem sind sie nicht in der Lage, in Notfallsituationen und bei sehr wahrscheinlichen Unfällen angemessen zu handeln, und zwar aus den oben genannten Gründen sowie aufgrund der Tatsache, dass unsere Notfalldokumentation auf anderen Grundsätzen beruht als die in Russland angewandten.
Damit verstößt die Rosatom-Leitung sogar gegen russische Gesetze und setzt die Welt dem Risiko eines nuklearen Unfalls aus.
Die direkte Verbindung zwischen diesen von Rosatom begangenen Verbrechen und dem russischen Präsidenten Putin ist unübersehbar. Der erste stellvertretende Leiter der russischen Präsidialverwaltung, Sergej Kirijenko, ist ein enger Vertrauter Putins und der direkte Anführer und Aufseher aller Aktionen, die Rosatom im Kernkraftwerk Saporischschja begeht. Er besucht regelmäßig Energodar und das KKW Saporischschja, hält Sitzungen ab und gibt den lokalen russischen Medien Interviews. Daher können wir mit Fug und Recht davon ausgehen, dass alle Verbrechen, die Russland im KKW begeht, auf Putins direkten Befehl und mit seinem Wissen begangen werden.
Es ist daher wirklich erstaunlich, dass die deutsche Regierung die Zusammenarbeit mit einem Aggressorstaat, einem Diebes- und Räuberstaat, einem nuklearen Terroristenstaat, der von einem demokratiezerstörenden und mit internationalem Haftbefehl gesuchten Präsidenten geführt wird, auf einem so speziellen Gebiet erlauben will – und dass Teile der Bevölkerung dies unterstützen. Rosatom ist ein Staatsunternehmen, das sich mit dem Verbrechen der Beschlagnahmung und Besetzung einer Nuklearanlage befleckt hat, das seine eigenen grundlegenden Gesetze, Regeln und Normen im Nuklearbereich verletzt, und das Europa und die Welt durch sein Handeln an den Rand einer nuklearen Katastrophe gebracht hat und weiterhin bringt. Rosatom wird nicht zögern, jegliche Anforderung an nukleare Sicherheit auch in Deutschland und in jedem anderen Land zu verletzen, wenn dies zur Verwirklichung seiner Ziele und der Ziele Russlands beiträgt.
Europäische Geschäftsleute, die Maschinen und Technologie aus Russland kaufen, und deutsche Arbeiter, die mit diesen Maschinen und dieser Technologie arbeiten, bescheren Rosatom und damit dem russischen Staat Gewinne, mit denen Waffen, Panzer, Raketen, Flugzeuge und Granaten hergestellt werden, durch die jede Minute Ukrainer sterben. Das ist Blutgeld, und die Schuld für das vergossene Blut werden auch diejenigen Deutschen tragen, die heute für die Zusammenarbeit mit Russland sind."
Oleg Dudar, 21.11.2024
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