Das Wasser in der Asse macht erneut deutlich, dass die Zeit für die Bergung des dort abgekippten Atommülls drängt. Diese muss höchste Priorität haben. Der Streit um das nötige Zwischenlager sollte davon nicht ablenken.
Ein ehemaliges Salzbergwerk in der Nähe von Wolfenbüttel sorgt wieder für Schlagzeilen. Wasser, das sich unter Tage neue Wege sucht, Notfallpläne und eine alte Fehde zwischen Nord- und Süddeutschland um die Lagerung von Atommüll bieten viel Stoff für Berichterstattung. Auch die über sechzigjährige Geschichte der Asse hat alles, was eine spannende Story braucht: Skrupellose Wirtschaftsunternehmen, ungehörte Mahner*innen, unter dem Druck der Politik immer wieder wegschauende Behörden, unerwartete Überraschungsmomente, dazu die prickelnde Rahmenhandlung: ein instabiler Berg voller Atommüll, ein Wettlauf mit der Zeit und eine bei Scheitern des Unterfangens drohende Umweltkatastrophe.
Als in den 1960er Jahren die ersten AKW in Deutschland ans Netz gingen, suchten Atomwirtschaft und Politik eine schnelle Lösung für das wachsende Atommüllproblem. Das ehemalige Salzbergwerk Asse II, 70 Kilometer südöstlich von Hannover und unweit der Grenze zur DDR gelegen, schien ihnen dafür ideal: Die bereits vorhandenen Hohlräume im Salz könnten „ohne Bedenken zur Einlagerung radioaktiver Abfallprodukte genutzt werden“, schrieben die Behörden. Ein Wasserzutritt in das Bergwerk, vor dem Kritiker*innen damals schon warnten, sei „in höchstem Maße unwahrscheinlich“, ein Eindringen radioaktiver Stoffe in die Biosphäre angeblich ausgeschlossen.
„Versuche“, Müll billig loszuwerden
Die Einlagerung von Atommüll in Asse II startete 1967. Die vorher durchgeführten Untersuchungen zur Eignung des Lagers waren eher symbolischer Natur. Erlaubt war zunächst nur die Annahme von Fässern mit schwachradioaktivem Müll. Was wirklich in den Fässern war, weiß niemand so genau. Die Dokumentation war vollkommen unzureichend, die Strahlung wurde nur außen am Fass gemessen. Atomwirtschaft und Atomforschungszentren kamen schnell auf die Idee, mit Beton ummantelte dickwandigere Fässer zu nutzen, um – genehmigungswidrig – auch stärker strahlenden Abfall in Asse II loszuwerden. Kontrollen fanden kaum statt, Verstöße hatten selten Konsequenzen.
Offiziell firmierte die Asse II als „Versuchsendlager“. Die „Versuche“ befassten sich allerdings vornehmlich damit, wie noch größere Mengen Müll noch kostengünstiger in den Untergrund geschafft werden könnten. Ein Ergebnis war die fortan praktizierte „Abkipptechnik“, bei der die Atommüllfässer nicht mehr gestapelt, sondern einfach einen Abhang hinunter gekippt wurden. Beschädigungen der Fässer nahm man dabei in Kauf.
1973 genehmigten die Behörden offiziell auch die Annahme von mittelradioaktivem Müll. Die Atomwirtschaft hatte nun einen Weg, einfach und kostengünstig viele ihrer strahlenden Hinterlassenschaften zu entsorgen. Umso größer war ihre Panik, als eine Gesetzesänderung drei Jahre später ein ordentliches Genehmigungsverfahren für das Atommülllager verlangte. Allen Beteiligten war klar: Asse II mit seinen Schwachstellen konnte eine solche Genehmigung niemals erlangen. Bis zum Einlagerungsstopp Ende 1978 stiegen die angelieferten Mengen daraufhin stark an: Die Atomwirtschaft versuchte, so viel Atommüll wie noch möglich in der Asse loszuwerden. Hauptanlieferer war die Pilot-Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe, die abgebrannte Brennelemente aus deutschen AKW verarbeitete. Mehr als 90 Prozent der in die Asse verbrachten Radioaktivität stammt somit von den Atomkraftwerken.
Die Sicherheitsrisiken der Atommüllkippe zeigten sich schnell. Stollen brachen ein, Schächte wurden instabil. Das sogenannte „Fließen“ des Salzes führt bis heute zu unvorhersehbaren Verschiebungen. So vermuteten Expert*innen bei Kammer 7, dass diese aufsteige – bis man bei Bohrungen 2012 feststellte, dass sie vielmehr abgesunken ist. Schon 1979 kam es zu ersten Wassereinbrüchen. 1988 brach dann an einer Stelle eine letzte Salzschicht mit der nach außen schützenden Gipsschicht weg. Seither fließt permanent junges Grundwasser zu, täglich werden 12 Kubikmeter abgepumpt.
Gelangt das salzige Wasser zum Atommüll, könnte es die Fässer binnen weniger Jahrzehnte korrodieren. Die radioaktiven Partikel würden dann durch den Gebirgsdruck nach oben gepresst – bis in die Grundwasserschichten über dem Salzstock, die hunderte Kilometer weit reichen. Der billig „entsorgte“ Strahlenmüll droht so eine ganze Region zu verseuchen.
Erst 2009 wurde die Asse unter Atomrecht gestellt, zuvor galt für sie einfaches Bergrecht. Der Bundestag beschloss 2013, dass der gesamte Atommüll aus Asse II wieder zurückgeholt werden muss, die Kosten von mehreren Milliarden Euro tragen die Steuerzahler*innen. Doch das Projekt kommt nicht recht voran. Die zuständige Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) kann bisher keine großen Erfolge vorweisen, eine Lösung für die Bergung der zum Teil beschädigten Atommüllfässer ist auch nach über zehn Jahren noch nicht gefunden. Selbst für den zwingend erforderlichen neuen Schacht gibt es bisher nur eine Absichtserklärung, im nächsten Jahr einen Bauantrag zu stellen.
Hofft die BGE auf Wassereinbruch?
Zügig vorangetrieben wird nur der Bau der für eine Notflutung der Asse nötigen Anlagen. Eine solche könnte bei einem starken Wassereinbruch notwendig werden, der wie ein Damoklesschwert ständig über dem alten Bergwerk schwebt – und es mehren sich die Stimmen, die befürchten, dass die BGE genau darauf setzt. Eine aufwendige und teure Bergung wäre dann nicht mehr möglich. Die Gefahr, dass es früher oder später zu einer Verseuchung der Umwelt kommt, würde aber enorm steigen.
Dass noch nicht alles unter Kontrolle ist und die Asse bis heute und mit heutigem Wissen unberechenbar bleibt, zeigt der seit Mai veränderte Wasserweg in den alten Schächten. Große Teile des Laugenwassers, das bisher auf der 658-Meter-Sohle aufgefangen und von dort nach außen gepumpt wurde, hat trotz der Sicherungsmaßnahmen einen Abflussweg gefunden und tritt nun erst auf der 725-Meter-Sohle aus. Nach Angaben der BGE ist dieses Wasser bisher nicht mit den Atommüllkammern in Kontakt gekommen. Es wird nun in eine für Notfälle gebaute unterirdische Kaverne geleitet.
Streit um neues Zwischenlager
Für Diskussionen sorgt weiterhin die Frage, wohin mit dem Atommüll, wenn er denn geborgen werden kann. Unstrittig ist, dass es oberirdische Anlagen zur Behandlung und Verpackung direkt am noch zu bauenden Schacht braucht. Wo er danach lagern soll, ist unklar. Die Politik hofft, dass bei der Standortsuche nach einem sogenannten Endlager für den hochradioaktiven Müll auch ein Standort für die mittel- und schwachradioaktiven Stoffe abfällt. Ein eigenes transparentes Suchverfahren unter echter Beteiligung der Bürger*innen, wie es die Anti-Atom-Bewegung fordert, lehnt sie ab. In jedem Fall wird ein solches Lager aber aller Voraussicht nach erst im nächsten Jahrhundert zur Verfügung stehen.
Notwendig ist bis dahin also noch ein möglichst sicheres, auf viele Jahrzehnte ausgelegtes Zwischenlager. Dieses direkt auf dem Gelände des ehemaligen Bergwerks zu planen, wie es die BGE vorhat, könnte der nächste verhängnisvolle Fehler in der Geschichte der Asse werden. Wenn die brüchigen Stollen unter Tage einstürzen, drohen auch über Tage Bergschäden, die Gebäude beschädigen könnten. Ein Abtransport ins ferne Bayern, wie ihn Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer fordert, ist eher als populistische Retourkutsche an die Adresse bayerischer Politiker*innen zu werten, die immer noch allen Atommüll nach Gorleben abschieben wollen. Ein Transport der Atommüllmassen aus der Asse quer durch Deutschland würde jedenfalls neue – und vermeidbare – Risiken mit sich bringen.
Das Zwischenlager für den Asse-Müll müsste folglich möglichst nah am Schacht liegen, aber höchste Sicherheitsanforderungen erfüllen. Die BGE muss diese Diskussion transparent führen. Vor allem aber muss sie endlich alles daran setzen, den Atommüll so schnell wie möglich wieder ans Tageslicht zu holen. Der Müll muss raus, bevor das Bergwerk einstürzt und vollständig absäuft. Die jüngste Ankündigung der BGE, die Rückholung des Strahlenmülls erst für die 2060er Jahre zu planen, ist demgegenüber ein schlechter Witz.
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