„Bei einem Unfall wären wir unmittelbar betroffen“

Foto: Wladyslaw Sojka

Martina Matt (66) und Hans-Eugen Tritschler (71) leben in Südbaden, unweit der Schweizer AKW. Vom schweizerischen Energiedepartement fordern sie eine Umweltverträglichkeitsprüfung für den Langzeitbetrieb des AKW Leibstadt.

Martina Matt und Hans-Eugen Tritschler im .ausgestrahlt-Podcast über Atomkraft in der Schweiz:

Martina: Ich wohne in Laufenburg am Hochrhein, ungefähr 10 Kilometer Luftlinie vom AKW Leibstadt, 13 Kilometer von den Reaktoren in Beznau und 20 Kilometer vom AKW Gösgen entfernt. Bei uns auf der deutschen Seite sind die Kühltürme mit dem aufsteigenden Wasserdampf immer präsent. Bei einem Unfall in einem der schweizerischen AKW wären wir hier unmittelbar betroffen. Und das Risiko eines Unfalls nimmt stetig zu: Leibstadt ist das jüngste AKW in der Schweiz und erreicht im Dezember eine Laufzeit von 40 Jahren – dafür wurden die Anlagen ursprünglich mal ausgelegt. Beznau hat schon bald 60 Jahre auf dem Buckel, soll aber noch bis 2040 laufen. Und Leibstadt wollen sie jetzt 60 Jahre laufen lassen, das wäre bis 2045.

Hans-Eugen: Martina hat mich auf das Gesuch der Schweizerischen Energiestiftung (SES) wegen der Verlängerung der Laufzeit des AKW Leibstadt aufmerksam gemacht. Die Stiftung fordert vom Schweizerischen Energiedepartement – dem Ministerium – dass es für die längere Laufzeit des AKW Leibstadt eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) gibt, grenzüberschreitend natürlich.

Martina Matt
Foto: privat

„Es müsste öffentlich abgewogen werden, ob die Stilllegung des Reaktors nicht die bessere Variante wäre.“

Martina Matt

Martina: Wir sind insgesamt 15 Privatpersonen, die das Gesuch unterschrieben haben. Vier davon sind aus Deutschland, die anderen aus der Schweiz. Formal hat die Schweiz die Laufzeit der AKW nicht befristet. Deswegen lehnt sie eine UVP nach internationalem Recht ab. Wir sind aber der Meinung, dass eine UVP nötig ist, weil die AKW nur für 40 Jahre ausgelegt sind. Da muss man schon darlegen, welches Risiko ein solcher Weiterbetrieb mit sich bringt. Außerdem haben sich die äußeren Bedingungen vollkommen geändert in den letzten Jahren. Man denke nur an den Klimawandel und Terrorgefahren. Vor allem aber beinhaltet die UVP auch die Null-Variante, nämlich auf den Langzeitbetrieb zu verzichten, weil die Risiken zu groß sind. Es müsste also öffentlich abgewogen werden, ob die Stilllegung des Reaktors nicht die bessere Variante wäre.

Hans-Eugen: Da die Schweiz bisher keine grenzüberschreitende UVP plant, wird das Gesuch ans Energiedepartement wahrscheinlich abschlägig beschieden werden. Dann wollen wir klagen. Zuallererst wären die Schweizer Gerichte zuständig.

Martina: Uns ist klar, dass man für so etwas immer einen langen Atem braucht. Es ist aber gut, dass das Thema jetzt zumindest auf dem Tisch ist.

Hans-Eugen: Man könnte den Fall bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bringen.

Martina: Wenn man auf dem Rechtsweg allein nicht weiterkommen sollte, muss man gucken, ob nicht auch unsere Politiker*innen mehr Druck auf die Schweiz ausüben können. Das ist eine weitere Option.

Hans-Eugen: Wird dem Gesuch doch stattgegeben, müssen die Träger öffentlicher Belange gehört werden und es gibt eine Bürgerbeteiligung, bei der man Einwände erheben kann. Das wäre eine gute Gelegenheit, um das von den Reaktoren ausgehende Risiko wieder in den Vordergrund zu stellen. Ein solches Verfahren wäre ein Riesenerfolg, gerade in der Schweiz mit ihren eingefahrenen „Bürgerbefriedungsstrukturen“.

Martina: Das sehe ich auch so. Nicht nur für die SES, auch für Greenpeace und den trinationalen Atomschutzverband TRAS wäre es ein Erfolg. Alle drei unterstützen uns. Die Öffentlichkeit, die durch ein solches Verfahren entsteht, würde auch bedeuten, dass die Menschen hier die Gefahr weniger gut verdrängen können. Gerade die Jüngeren scheinen das zu tun.

Hans-Eugen: Ich habe als Vertreter des örtlichen Gewerbes an den Partizipationsveranstaltungen für die Endlagersuche in der Schweiz teilgenommen. Der Atommüll der Schweizer AKW soll ja ebenfalls unweit von hier, auf der anderen Rheinseite, verbuddelt werden. Mehrere Jahre war ich da in der sogenannten Fachgruppe Sicherheit dabei. Aber mit der Zeit habe ich gemerkt, dass es eigentlich darum ging, Sicherheit nach außen zu propagieren, wo keine ist. Diese Botschaft zu vermitteln, war einer der Hauptzwecke der sogenannten Bürgerbeteiligung, so mein Eindruck. Deshalb bin ich da ausgetreten.

Martina: Die Schweizer*innen gehen sowas zum Teil einfach anders an. Sie sind der Meinung, alles absichern zu können. Bei uns wäre manches davon kaum denkbar oder sehr viel schwieriger.

Hans-Eugen Tritschler
Foto: privat

„Es braucht weiter Druck, damit auch die Schweizer Reaktoren endlich abgeschaltet werden.“

Hans-Eugen Tritschler

Hans-Eugen: Die Geolog*innen wissen natürlich um die Potenziale und auch um die Risiken. Man nimmt sie einfach in Kauf, um wie ein Junkie zu jeder Zeit, an jedem Ort, in jeder beliebigen Menge einen Schuss Energie zu kriegen. Auch in Deutschland spricht man kaum darüber, dass wir zusätzlich zum Abschalten der AKW auch den Energieverbrauch reduzieren müssen – weil sich das direkt auf unser Leben auswirken würde.

Martina: In der Schweiz wird für 2050 ein Strombedarf von 70 Terawattstunden prognostiziert, 20 davon sollen aus AKW kommen. Aber nur wenige fragen, ob man diese 20 Terawattstunden nicht auch einfach einsparen könnte.

Hans-Eugen: Wenn man will, dass sich was ändert, sollte man selber aktiv werden. Gerade mit Blick auf die geplante Laufzeitverlängerung der Schweizer AKW. Man kann ganz klein anfangen, zum Beispiel mal nachfragen, was die Gemeinde, was der Kreis, was der Regionalverband in der Sache unternimmt. Damit wird das Thema öffentlich, das ist in jedem Fall sinnvoll. In den Gemeinden hier am Hochrhein hat man schon ein Auge auf die Entwicklung im Nachbarland. Aber seit die deutschen AKW aus sind, scheinen viele das Atom-Problem für erledigt zu halten. Das ist aber nicht so, gerade hier bei uns. Es braucht weiter Druck, damit auch die Schweizer Reaktoren endlich abgeschaltet werden. Das Mindeste ist, dass die Gemeinden hier, die baden-württembergische Landesregierung und die Bundesregierung von der Schweiz verlangen, sich an Verträge wie die Aarhus-Konvention zu halten und die möglichen Auswirkungen des geplanten Langzeitbetriebs zu untersuchen und öffentlich zu diskutieren.

Martina: Wichtig finde ich auch, die Leute darauf aufmerksam zu machen, wie abhängig die Schweiz und andere Länder vom Uran sind und woher es kommt. Leibstadt erhält 50 Prozent seiner Brennelemente aus Russland. Auch die Brennelemente-Fabrik Lingen beliefert Leibstadt, die will jetzt sogar mit dem russischen Staatskonzern Rosatom kooperieren. Immer wieder überall das Gespräch suchen, unser Anliegen in die Öffentlichkeit tragen, das ist wichtig.

Hans-Eugen: Es ist wie immer ein dickes Brett zu bohren. Aber auch in Deutschland hat es lange gedauert, bis die AKW abgeschaltet waren. Letztlich ist es eine politische Entscheidung, wie es mit den schweizerischen AKW weitergeht. Ich hoffe, es wird eine vorsorgliche Entscheidung sein und keine Reaktion auf einen westeuropäischen Super-GAU.

Interview: Bettina Ackermann,
Protokoll: Anna Stender

Das Original-Interview gibt’s auch zum Hören: ausgestrahlt.de/podcast

Dieser Text erschien erstmalig im .ausgestrahlt-Magazin 61 (Juni-September 2024)

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