Booster für die Energiewende

21.06.2024 | Armin Simon
Atomkraft? - Nie wieder!
Foto: Lars Hoff

Ein Jahr nach Abschaltung der letzten AKW sind die Erneuerbaren im Aufschwung, die Kohleverstromung ist drastisch zurückgegangen – Früchte des jahrzehntelangen Kampfs Hunderttausender gegen Atomkraft und für die Energiewende. Ein Überblick.

1. Erneuerbare statt Atomstrom

Das Plus bei den erneuerbaren Energien hat den weggefallenen Atomstrom der letzten drei Reaktoren nach nur einem Jahr bereits mehr als ersetzt. So erzeugten allein Solar- und Windkraftanlagen in den zwölf Monaten nach Abschaltung der AKW 32 Milliarden Kilowattstunden mehr Strom als im Jahr zuvor. Das ist mehr, als die AKW in den zwölf Monaten vor ihrem Aus ins Netz einspeisten.

Insgesamt haben die Erneuerbaren die Atomkraft bei der Stromerzeugung schon 2011 übertroffen. Seit 2015 erzeugen sie jedes Jahr sogar mehr Strom, als die AKW jemals in einem Jahr produziert haben. 2023 war die Ökostrom-Erzeugung mehr als anderthalb mal so groß wie das historische Atomstrom-Maximum und deckte bereits 54 % des gesamten Strombedarfs.01

Stromerzeugung vor und nach Abschaltung der AKW.JPG

2.    Kohleausstieg nimmt Fahrt auf

In den zwölf Monaten nach dem AKW-Aus ging der Einsatz von Steinkohle zur Stromerzeugung in Deutschland um knapp die Hälfte zurück, die Braunkohleverstromung nahm um knapp ein Drittel ab, und die fossile Stromerzeugung insgesamt reduzierte sich um fast ein Viertel. Ein maßgeblicher Grund dafür ist der Boom der erneuerbaren Energien, den die Anti-Atom-Bewegung technisch losgetreten, politisch durchgesetzt und wirtschaftlich ermöglicht hat: Der günstige Ökostrom drängt nun auch die fossile Stromerzeugung immer weiter zurück. Der Ausstieg aus der Atomkraft wirkt als Booster für die Energiewende. Geht es in diesem Tempo weiter, ist der Kohleausstieg in wenigen Jahren vollendet.

3. Stromimporte hauptsächlich erneuerbar

Im Vergleich zu den zwölf Monaten vor Abschaltung der AKW hat Deutschland zuletzt weniger Strom exportiert und zugleich mehr Strom importiert. Einer der Gründe dafür ist der europaweite Ausbau der erneuerbaren Energien: Auch auf dem europäischen Strommarkt ist immer mehr Stunden im Jahr viel sehr günstiger Wind- und Solarstrom im Angebot. Deutschland hat davon über Stromimporte kräftig mit profitiert und zugleich den Einsatz teurerer fossiler Kraftwerke weiter reduziert.

Von Mitte April 2023 bis Mitte April 2024 hat Deutschland etwa 47 Milliarden Kilowattstunden Strom exportiert. Von den 62 Milliarden Kilowattstunden, die es im selben Zeitraum importierte, stammte, den jeweiligen Strommix in den Importländern zugrunde gelegt, die Hälfte aus erneuerbaren Energien. Hauptimportland war Dänemark.

Nur je ein Viertel des Importstroms stammte demnach aus fossilen und Atomkraftwerken. Bezogen auf den gesamten Stromverbrauch Deutschlands entspricht dies einem Atomstromanteil von gut 3 %. Dieser wird mit zunehmendem Ausbau der erneuerbaren Energien in ganz Europa weiter sinken. Zu berücksichtigen ist ferner, dass Deutschland, auch als hierzulande noch etliche AKW liefen, regelmäßig Strom aus dem Ausland importiert hat, vermutlich sogar mit höherem Atomstromanteil. Der europäische Stromverbund ist erst dann vollständig atomstromfrei, wenn die AKW europaweit abgeschaltet sind.

4. Jede Menge Kraftwerke in Reserve

Ende 2023 waren in Deutschland Kraftwerke mit einer Gesamtnettoleistung von 254 Gigawatt am Netz, darunter 102 Gigawatt regelbare, von Wind und Sonne unabhängige Kraftwerke, plus Batteriespeicher mit einer Gesamtleistung von 8 Gigawatt.02 Die kurzzeitig maximal nachgefragte Spitzenlast lag demgegenüber bei unter 80 Gigawatt.03 Selbst bei absoluter Windstille und Dunkelheit hätte Deutschland seinen Strombedarf also jederzeit aus eigenen Kraftwerken decken können. Nötig war das allerdings nie.

5. Atom-Diskussionen im Aufwind, AKW im Rückbau

Alle drei 2023 abgeschalteten AKW sind im Rückbau, insbesondere ist inzwischen in allen dreien die Dekontamination des Primärkreislaufs abgeschlossen. Dabei wird der Reaktor mit einer aggressiven Säure durchspült, die auch die Rohre selbst angreift. Eine Wiederinbetriebnahme ist damit praktisch ausgeschlossen.

Dessen ungeachtet wettern insbesondere rechte Parteien und Kreise weiterhin (und bisweilen sogar vehementer als in den Jahren vor der Abschaltung der AKW) gegen das Atom-Aus oder fordern gar einen Wiedereinstieg. Es ist eine billige Forderung, die nicht nur sämtliche Sicherheitsprobleme und Risiken der Atomkraft ausblendet, sondern auch die technische, politische, gesellschaftliche, rechtliche und wirtschaftliche Realität: Für neue Atomanlagen sind weder Betreiber noch Financiers in Sicht, das Atom-Risiko will niemand tragen, die Energiewirtschaft ist längst auf einem anderen Pfad.  Auch eine Scheindebatte um Atomkraft aber lenkt von Wichtigem ab und behindert und bremst die Energiewende.

Dieser Text erschien erstmalig im .ausgestrahlt-Magazin 61 (Juni-September 2024)

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Armin Simon

Armin Simon, Jahrgang 1975, studierter Historiker, Redakteur und Vater zweier Kinder, hat seit "X-tausendmal quer" so gut wie keinen Castor-Transport verpasst. Als freiberuflicher Journalist und Buchautor verfasst er für .ausgestrahlt Broschüren, Interviews und Hintergrundanalysen.

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