Gamechanger im Streit um die Jülicher Castoren?

19.11.2023 | Sophia Hansen
None
Foto: Helge Bauer

Die Vorbereitungen für den Transport von 152 Castorbehältern aus dem Jülicher Zwischenlager nach Ahaus laufen auf Hochtouren. Dabei muss das Lager gar nicht geräumt werden. Das macht eine überraschende Entwicklung noch einmal deutlich.

„Erst im Jahr 2022 wurde der JEN seitens des BASE bestätigt, dass der Gesamtkomplex der seismischen Bemessung und der davon abhängigen sicherheitstechnisch zu bewertenden Auswirkungen mit positivem Prüfergebnis abgeschlossen werden könne.“ Das schreibt NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) Ende Oktober in einer Pressemitteilung. Die verklausulierte Aussage hat Sprengkraft. Auf Nachfrage von .ausgestrahlt bestätigt Neubaur, dass der Punkt Erdbebengefahr im Verfahren für eine befristete Neugenehmigung für das bestehende Lager in Jülich abgehakt sei. Das hatte kurz zuvor auch das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) übereinstimmend bestätigt.

„Erst im Jahr 2022“ – diese Formulierung ist insofern treffend, als die JEN und das bis 2015 federführende Forschungszentrum Jülich lange gebraucht haben, um die entsprechenden Nachweise zu erbringen. So lange, dass die Genehmigung für das Zwischenlager in Jülich 2013 auslief und das NRW-Wirtschaftsministerium als zuständige Atomaufsicht ein Jahr später anordnete, das Lager unverzüglich zu räumen. Als Knackpunkt nannte das Ministerium damals die fehlenden Nachweise zur Erdbebensicherheit und dass nicht absehbar sei, wie lange es dauern werde, bis die Unterlagen vollständig vorlägen.

Öffentlichkeit im Unklaren gelassen

Eigentlich müsste es aber heißen: „schon im Jahr 2022“. Denn während die Beteiligten seit über einem Jahr wissen, dass sich die Sachlage entscheidend geändert hat, wurde der Öffentlichkeit diese Information bisher vorenthalten. Dabei spielt sie eine wichtige Rolle bei der Frage, was mit den Brennelementkugeln passieren soll: Wenn das bestehende Lager die Anforderungen an die Erdbebensicherheit erfüllt, bedeutet dies auch, dass die Räumungsanordnung hinfällig ist. Das wiederum lässt den geplanten Transport der 152 Castorbehälter mit knapp 300.000 hochradioaktiven Brennelementkugeln aus dem Hochtemperaturreaktor AVR nach Ahaus noch überflüssiger erscheinen als ohnehin schon. Immerhin wird bei der „Ahaus-Option“ gerne darauf verwiesen, dass wegen der Räumungsanordnung der Faktor Zeit entscheidend sei.

Neue Genehmigung in greifbarer Nähe?

Der Nachweis der Erdbebensicherheit bedeutet auch, dass eine Neugenehmigung nun sehr wahrscheinlich ist. Das sieht offenbar auch die JEN so. Sie nennt die zu erwartende Genehmigung für das bestehende Zwischenlager sogar als einen der Gründe, warum die Option eines Exports in die USA vom Tisch ist. Denn mit einem genehmigten Zwischenlager in Jülich wäre der Export auch nach ihrer Auffassung laut Atomgesetz nicht mehr möglich gewesen. Um den genehmigungslosen Zustand zu beenden, fehlt laut JEN lediglich der Nachweis der Sicherung der IT-Systeme des Zwischenlagers gegen Angriffe von außen (SEWD-IT). Zum Bereich der nuklearen Sicherheit gebe es keine offenen Punkte. Offenbar lässt sich die JEN jedoch wieder einmal Zeit damit, die erforderlichen Unterlagen einzureichen.

Räumungsanordnung muss aufgehoben werden

Das alles geschieht unter den Augen der Vertreter*innen zweier Bundesministerien und eines NRW-Landesministeriums, die allesamt im Aufsichtsrat der JEN sitzen. Es ist höchste Zeit, dass die schwarz-grüne Landesregierung Worten Taten folgen lässt. Immer wieder hat sie sich für einen Neubau in Jülich ausgesprochen, in ihrem Koalitionsvertrag zugesagt, unnötige Atomtransporte verhindern zu wollen. Doch konkrete Schritte hat sie bisher kaum unternommen. Die erste Maßnahme wäre nun, die Räumungsanordnung unverzüglich aufzuheben. Dazu haben .ausgestrahlt und andere Anti-Atom-Initiativen und Umweltverbände Mona Neubaur bereits aufgefordert. Darüber hinaus muss sich die NRW-Landesregierung im Aufsichtsrat aktiv für einen robusten Neubau in Jülich einsetzen.

Ihrer Aufsichtsrolle gerecht werden müssen auch die Bundesministerien für Umwelt, für Finanzen und für Forschung. Sie lehnen die sicherste Option, nämlich die der weiteren Lagerung in Jülich, bislang ab. Grundlage für diese Position ist ein Bericht des Bundesrechnungshofs zu den bereits angefallenen und den zu erwartenden Kosten für die verschiedenen Räumungsoptionen.

Eine Frage der Kosten?

Doch ist die Ahaus-Option tatsächlich günstiger als ein Neubau in Jülich? Die Zahlen des Berichts lassen diesbezüglich zumindest Fragen offen. Er scheint beispielsweise anzunehmen, dass der Atommüll bis zur Endlagerung in Ahaus bleiben kann. Dagegen spricht nicht nur, dass die Genehmigung des Ahauser Lagers bereits 2036 ausläuft, sondern vor allem auch, dass der Strahlenmüll voraussichtlich nicht ohne umfangreiche vorbereitende Arbeiten in ein „Endlager“ gebracht werden kann. Allerdings schließt der Ansiedlungsvertrag mit der Stadt Ahaus den Bau einer dafür erforderlichen „Heißen Zelle“ ausdrücklich aus. Ein erneuter Abtransport der Behälter mit unbekanntem Ziel – womöglich sogar zurück nach Jülich – ist also wahrscheinlich. Verantwortlich für den Atommüll bleibt jedenfalls die JEN. Anders als bei den großen Leistungsreaktoren in Deutschland ist die Verantwortung für die strahlenden Hinterlassenschaften aus dem AVR nicht auf die Bundesgesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ) übergegangen.

Die Zeit drängt

Alle Weichen scheinen gestellt für einen Transport nach Ahaus. Die JEN erwartet eine Transportgenehmigung noch in diesem Jahr. Sind die ersten Castorbehälter erstmal nach Ahaus gerollt, soll die Option eines Neubaus nicht weiterverfolgt werden. Dabei würde sie überflüssige, gefährliche Transporte vermeiden und dafür sorgen, dass der Müll beim Verursacher bleibt, der sich auch weiter darum kümmern muss. Es ist also höchste Zeit, der Sicherheit bei Entscheidungen im Umgang mit Atommüll oberste Priorität zu geben. Das gilt übrigens nicht nur für die Lagerung des Atommülls aus Jülich, sondern generell für das ungelöste Problem der Langzeit-Zwischenlagerung in Deutschland …

weiterlesen:

 

Aus dem Blog:

  • Atommüll auf Abwegen
    12.10.2023: Schon bald könnten 152 Castor-Behälter mit hochradioaktivem Müll von Jülich nach Ahaus rollen. Von einer konzeptlosen Atommüll-Politik

  • Ein Erbe für 30.000 Generationen
    19.6.2023: Drei Generationen haben Atomstrom genutzt, etwa 30.000 Generationen werden von dem strahlenden Erbe betroffen sein. Zum Umgang damit stehen wichtige Entscheidungen an. Ein Überblick.

 

« Zur Blogübersicht
Sophia Hansen Profil-Bild

Sophia Hansen

Sophia Hansen beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit den Themen Atomkraft, Atomausstieg und erneuerbare Energien.

blog via e-mail abonnieren
RSS-FEED
Blog als RSS-FEED abonnieren.
abonnieren »